Es ist der 1. März 1983: In Zürich wird eine „unmögliche Uhr“ der Öffentlichkeit präsentiert: die Swatch-Uhr. Unmöglich deshalb, weil sie alles das konterkariert, wohfür bis Schweizer Uhren standen. Denn Swatch ist ein preiswertes Massenprodukt aus Plastik, das entgegen der Schweizer Tradition mechanischer Uhrwerke mit Quarztechnologie arbeitet und vollautomatisch in einer Produktionslinie gefertigt wird. Angepriesen als Unmöglichkeit, gilt die Swatch heute als späte Rettung der Schweizer Uhrenindustrie während ihrer größten Krise in den achtziger Jahren. Dabei hat vor allem das clevere Marketing, das dem Unternehmensberater Nicolas G. Hayek den Spitznamen „Mr. Swatch“ einbringt, dem Produkt den Ruf verscha
Politik : Schema Coolness
1983 wird in Zürich die erste Swatch vorgestellt. Sie rettet die Schweizer Uhrenindustrie, wird zu einem Stück Popkultur - und ist ein Paradebeispiel für cleveres Marketing
Von
Conrad Menzel
chafft, erfolgreichste Armbanduhr der Welt zu sein.Obwohl die Schweizer bereits Ende der sechziger Jahre die erste Quarzarmbanduhr als Prototyp entwickeln, halten sie die Technologie irrtümlicherweise für eine kurzlebige Modeerscheinung. Die Schweizer Uhrenindustrie, in der Tradition der Mechanik verhaftet, verschläft trotz der eigenen Erfindung den technologischen Wandel, der asiatischen Konkurrenten schon bald mit billig produzierten Quarzuhren immense Absätze im Niedrigpreis-Segment beschert. Während der internationale Marktanteil der Schweizer Anfang der Siebziger noch bei 80 Prozent liegt, sinkt er binnen eines halben Jahrzehnts auf 34 Prozent. An den Handgelenken baumeln bereits Quarzuhren von Casio, Citizen und Seiko und Uhren anderer Hersteller, die den Markt ungestört unter sich aufteilen können, während die Schweizer am mechanischen Uhrwerk festhalten.Erst 1979 erteilt die Allgemeine Schweizer Uhrenindustrie AG (ASUAG) – neben der Société Suisse pour l’Industrie Horlogère (SSIH) einer der Dachkonzerne, unter denen sämtliche Schweizer Uhrmacher seit 1931 in protektionistischer Manier organisiert sind – der Uhrwerkfabrik ETA im Solothurner Grenchen den Auftrag, ein Produktionsverfahren für eine Kunststoffuhr mit Quarztechnologie zu entwickeln. Ziel ist die vollautomatische Massenproduktion von hoher Schweizer Uhrmacherqualität zu einem möglichst niedrigen Preis für den Käufer. Bis dahin hat die Schweizer Uhrenindustrie schon 60.000 Arbeitsplätze verloren – in dieser prekären Lage sinkt der globale Marktanteil weiter bis auf zehn Prozent. Innerhalb von nur zwei Jahren kreiert das ETA-Team um den Projektleiter Erich Thonke eine Uhr, die nur noch aus 51 statt bisher über 90 Komponenten in einer Produktionslinie hergestellt werden kann. Als Kurzform von Swiss Watch erhält das serienreife Modell 1981 den Namen Swatch. Eine Schweizer Uhr für 50 FrankenAuch wenn Thonke und sein Team als Väter des Produktes Swatch erwähnt werden müssen, so war es doch der Unternehmensberater Nicolas G. Hayek, der Swatch als Marke erfolgreich und zum Zugpferd der Schweizer Uhrenindustrie machte. Hayek, der 1928 im Libanon geboren wurde, im Zweiten Weltkrieg nach Frankreich emigrierte und dann in die Schweiz ging, wurde 1982 mit der Neuorganisation der Schweizer Uhrenindustrie beauftragt. Die maroden Konzerne SSIH und ASUAG standen bereits unter Aufsicht der Banken. Hayek veranlasste die Fusion zu einem Unternehmen, das ab 1985 unter dem Namen Société de Microélectronique et d’Horlogerie (SMH) und ab 1998 als Swatch Group AG firmierte. Sofort erkannte er das große Potenzial der Swatch als Heilsbringer und richtete die Restrukturierung auf die Markteinführung aus.Als Nachzügler in der technologischen Innovation der Quarzuhr musste es gelingen, den tadellosen Nimbus der handgefertigten, mechanischen Schweizer Uhr als Kaufanreiz auch auf die Swatch zu übertragen. Hayek, dessen Unterarme bei öffentlichen Auftritten häufig diverse Armbanduhren zierten, setzte auf die Imagebildung der Swatch als Mode-Accessoire. In gesättigten Märkten heißt Innovation nicht mehr nur besser zu sein als die Konkurrenz, sondern auch anders. Die Bedeutung des Produktes verschiebt sich vom funktionalen Nutzen zum Image der Marke, die Markenwahl gerät somit zum Statement in der überfrachteten Produktwelt und suggeriert, versehen mit einer cleveren Marketing-Strategie, selbst dem Käufer eines Massenproduktes einen Distinktionsgewinn. Hayek kannte die Regeln. Als Geniestreich erwies sich dabei die Tatsache, dass schon die erste Swatch im Herbst 1983 in einer Kollektion von zwölf verschiedenen Modellen zu je 50 Schweizer Franken auf den Markt kam.Hayeks erfolgreiche Marketing-Strategie bestand in der symbolischen Innovation, mit der Swatch bei potenziellen Käufern das künstliche Bedürfnis nach mehr als einer Armbanduhr zu wecken – obwohl die bislang eher lebenslanges Einzelstück war – und damit die Nachfrage zu beleben. Die Swatch wurde auf diesem Weg tatsächlich zum modischen Accessoire, das man nach Lust und Laune wechseln konnte. Tüchern oder Hüten gleich, von denen man als Tuch- oder Hutträger auch nicht nur ein Exemplar besitzt. Die Swatch wurde zum „Modetick“. Bei avisierten 4,5 Millionen verkauften Exemplaren bis Ende 1984 knackte Swatch schon ein Jahr später die Zehn-Millionen-Marke. 1988 hatte man 50 Millionen Uhren verkauft, vier Jahre später 100 Millionen. Zur aktuellen Verkaufsbilanz gibt das Unternehmen in Biel keine Auskunft. Die letzten verfügbaren Angaben stammen aus dem Jahr 2008. Zum 25. Jubiläum hatte die Marke demnach rund 370 Millionen Swatch-Uhren abgesetzt.Die Uhr als ZeitgeistanzeigerAuch wenn der Absatz der zurückliegenden Jahre nicht mehr so hoch war, blieb das Verkaufsargument einer echten Schweizer Uhr zum niedrigen Preis ein schlagendes. So konnte die Eidgenössische Uhrenindustrie an der Swatch gesunden. Derart in Mode konnte die Swatch aber nicht allein dadurch geraten, dass sie eine Schweizer Uhr zum kleinen Preis war. Vielmehr liegt ihr Erfolg auch darin begründet, dass Hayek die Swatch von Anfang an als Teil der Popkultur inszeniert hat.Der Markenphilosophie folgend, zeigt eine Swatch demnach niemals nur die Zeit an, sondern ist in ihrem Design immer auch Zeugnis herrschenden Zeitgeistes und herrschender Trends. Jährlich werden zu besonderen Anlässen spezielle Swatch-Kollektionen von Künstlern gestaltet. In der frühen Unternehmensgeschichte der achtziger Jahre beispielsweise von Kiki Picasso und Keith Haring, auf dem Höhepunkt des Swatch-Hypes in den Neunzigern von Vivienne Westwood, Robert Altman, Pedro Almodóvar, Spike Lee und Nam June Paik. Für die Gestaltung einer Kollektion aus dem Vorjahr zeichnet das Künstlerkollektiv Kidrobot verantwortlich. Als früher Sponsor hat sich die Marke zudem schon Mitte der achtziger Jahre in beliebten, aber damals noch jungen Trend-Sportarten wie Freeskiing und Snowboarden positioniert.So gelang Swatch unter der Ägide von Hayek, der bis zu seinem Tod 2010 im Verwaltungsrat der Swatch Group wirkte (gar an seinem Arbeitsplatz in Biel verstarb), der Aufbau eines Images, das der Marke Swatch bis heute fortdauernd Einlass in das kognitive Schema Coolness gewährt. Die Kollektionsgeschichte von Swatch wurde als Chronik popkultureller Semiotik zum festen Bestandteil von Museen zeitgenössischer Kunst – man denke beispielsweise an das Pariser Centre Georges Pompidou.Im Schaufenster ist die Swatch noch heute eine günstige Quarzuhr, wenn auch nicht mehr ausschließlich aus Kunststoff. Wie sehr allerdings clevere Marketing-Strategien dafür sorgen, dass eine vermeintlich günstige Uhr unter Sammlern und Liebhabern mit weitaus höheren Werten aufgeladen wird, zeigt die Versteigerung einer großen Swatch-Sammlung im vergangenen Jahr im Hongkonger Auktionshaus Philips de Pury. Ein Chinese zahlte dafür knapp fünf Millionen Euro. Image ist alles.