In Frankfurt an der Oder müssen im Herbst zwei First-Solar-Werke schließen. Als Betriebsrat Sven Hennig dagegen protestieren will, landet er auf der Straße
Was für eine Woche. Noch vor sieben Tagen hat Sven Hennig als Beschichtungstechniker im Werk von First Solar die Produktion überwacht, Platten abgemessen, Solarmodule gewartet. Die Arbeit gefiel ihm, er wurde anständig bezahlt, fühlte sich wohl, ließ sich sogar zum Betriebsrat wählen. Und jetzt sitzt er hier, im Arbeitsamt und muss der Dame erklären, was da bei ihm los war. Ja, was eigentlich?
Es beginnt am 17. April, das ist der Tag, an dem die Stimmung in Frankfurt/Oder kippt. Sven Hennig eilt in eine hastig einberufene Betriebsratssitzung: Die beiden Werke von First Solar werden zum 31. Oktober geschlossen, teilt der Geschäftsführer mit. Er weiß nicht, ob er weinen oder lachen soll. „Eine Frechheit!“, denkt er sich. „Das
„Das Unternehmen schreibt schwarze Zahlen, hat letztes Jahr noch ein zweites Werk gebaut. Was soll das jetzt?“ Der 36-Jährige mit der Kurzhaarfrisur will das nicht einfach hinnehmen. Er lässt sich von der Arbeit freistellen, um sich um die Mitarbeiter zu kümmern. Er will über Sozialplan und Transfergesellschaft mitverhandeln. Und er will das Schweigen brechen, das bleiern über Frankfurt/Oder liegt.Kampf ums ÜberlebenDie Stadt an der Grenze zu Polen hat die Krise der Solarindustrie so hart getroffen wie keine andere in Deutschland. Während im rund 200 km entfernt liegenden „Solar-Valley“ rund um die Städte Bitterfeld und Wolfen der Insolvenzverwalter von Q-Cells den Beschäftigten wieder Mut macht, sieht es in Frankfurt an der Oder für die Branche wirklich düster aus. Conergy kämpft ums Überleben, Odersun hat erst vor wenigen Wochen, also Anfang des Jahres, Insolvenz angemeldet, und First Solar, der zweitgrößte Arbeitgeber der Stadt, will, wie gesagt, nun auch seine beiden Werke im Herbst schließen. Die Führung des US-Konzerns macht dafür auch die deutsche Politik verantwortlich. Weil die Bundesregierung große Solarparks, die First Solar vornehmlich bestückt, nicht mehr so stark fördern will.Frankfurt/Oder muss sich also eine neue Zukunft suchen. Schon wieder. Nach der Wende wurden hier, wie überall im Osten, die Fabriken bereits einmal stillgelegt, Tausende verloren ihre Arbeit. Mitte der neunziger Jahre keimte Hoffnung, als sich der Chiphersteller Communicant ansiedeln wollte und einen Rohbau zu errichten begann. 2003 platzten die Pläne – zu teuer war es den Investoren geworden.Dann begann der deutsche Solarboom, und mit ihm kamen die drei Firmen Odersun, First Solar und Conergy. Optimismus und Selbstvertrauen kehrten zurück: Plötzlich war Frankfurt/Oder die Solarstadt. Conergy zog 2006 in den Rohbau der ehemaligen Chipfabrik. Von Strukturschwäche war keine Rede mehr. „Wir rollen den Weltmarkt von Frankfurt an der Oder auf“, beschrieben Mitarbeiter von First Solar noch 2011 die Stimmung.Und jetzt soll das alles zu Ende sein? Die Solarstadt nur noch die Grenzstadt mit Europa-Uni?Im Technologiepark am Stadtrand ist die Stimmung gespenstisch. Es nieselt, alle zehn Minuten fährt ein Auto vorbei. Schon auf der Treppe, die zum Eingang von Odersun führt, kommt einem die Rezeptionsdame entgegen und versperrt den Weg. Nein, hier sei keiner befugt, mit der Presse zu reden, das mache die Situation nur schwieriger. Mit der Situation meint sie das Scheitern, einen neuen Investor zu finden. „Wir dürfen nicht, wir können nicht und wir wollen auch nicht“, schickt sie dem Fremden noch hinterher.Aber einer will dann doch etwas sagen. Udo Berger fing als einer der ersten Mitarbeiter bei Odersun an; ein Urgestein, nennt er sich. Er zeigt über den Parkplatz auf einen bereist leeren Betonkasten. „Die Stimmung ist depressiv wie damals Anfang der neunziger Jahre, als die Industrie platt gemacht wurde“, sagt der 58-Jährige mit der verdunkelten Brille. Nur die Kollegen redeten mehr miteinander als früher: Wie geht es weiter? Soll man bleiben oder wegziehen? Nach außen aber sagt fast keiner etwas. „Sie sind überfordert von der Situation und wissen keine Antwort“, sagt Berger. „Sie sind wie paralysiert.“Ein paar hundert Meter weiter stehen die beiden First Solar-Werke, neben der Autobahn, inmitten von Wiesen, ein Reh hüpft vorbei. Mitarbeiter, die das Gelände verlassen, eilen weiter. Der eine muss zum Arzt, der andere zur Straßenbahn, der nächste steigt wortlos in sein Auto und fährt los. Ein zwei Meter hoher Maschendrahtzaun führt um das Gelände. An den Eingängen stehen Sicherheitsmänner. „Hier darf niemand rein“, sagen sie.Auch Betriebsrat Sven Hennig kennt das inzwischen: Draußen bleiben heißt es immer wieder. Am Tag nach der Schließungsankündigung, sprechen die Kollegen ihn an, wollen von ihm wissen, wie es denn jetzt weiter gehe. Er rät ihnen: „Sammelt eure Gedanken und sagt die mir morgen.“ Das ist zu viel. Am Freitag wird er aus der Betriebsratssitzung ausgeschlossen. „Wir wollen jetzt über deine Person diskutieren“, heißt es. Schon am Nachmittag lassen ihn die Sicherheitsleute nicht mehr in die Firma. Der Geschäftsführer kommt zum Eingang. „Sie sind hier nicht mehr tätig“, so gibt Hennig die Worte seines Chefs Burkhard von Westerhold wieder. Der übergibt am Werkstor die fristlose Kündigung.„Mit welcher Begründung?“, fragt Hennig.„Sie wissen schon warum.“„Ich weiß gar nichts.“A great place to workAll das hat er nun der Dame vom Arbeitsamt erzählt. Von wegen, was da bei ihm los war. Nun hockt er im Büro der IG-Metall Ostbrandenburg, in dem endlos Zigaretten vor sich qualmen und ein Sonnenschirm mit Gewerkschaftslogo parkt. Mit am Tisch sitzt Siegfried Wied, Gewerkschaftssekretär, vor 22 Jahren kam er aus Schleswig-Holstein hierher, Schnurrbart, auf die Stirn geschobene Brille. „Still ruht der See hätte nichts gebracht“, redet er Hennig gut zu. „In den ersten 14 Tagen entscheidet sich immer alles, das ist meine Erfahrung und deswegen haben sie ihn rausgeschmissen“, sagt er. Hennig hört zu, unter seine Augen haben sich Ringe gegraben.„Schwerwiegender Eingriff in den Produktionsablauf“ – so hat der Geschäftsführer die Kündigung begründet. „Dabei habe ich doch nur meine Arbeit gemacht“, sagt er und wirkt mit seinen muskulösen Armen unter dem Poloshirt dabei sehr robust. Als einer der wenigen hat er geredet. „Die Leute haben Angst“, sagt Wied. Von Protest sei hier nichts zu spüren. Viele fürchten, keinen Job mehr zu bekommen, wenn sie was sagen und ihr Name dann in der Zeitung stehen könnte. „Das scheint ziemlich tief drinzustecken“, sagt der Gewerkschaftssekretär und zündet sich schon wieder eine Zigarette an. „Es erinnert schon fast an sektenhaftes Verhalten.“Für die drei Lehrlinge von Solar First, die dabeisitzen, ist Hennig ein Kumpel und auch ein Held. Wenn „Henni“, wie sie ihn nennen, erzählt, hören sie andächtig zu, manchmal witzelt einer dazwischen. Hennig fragt die drei: „Habt ihr auch schon eure ‚Great-Place-to-work‘-T-Shirts gekriegt?“„Wir müssen sieben Euro dafür zahlen.“„Was? Ich glaube, ich habe noch welche“, sagt Hennig.Galgenhumor. Gerade erst wurde First Solar als einer der besten Arbeitgeber ausgezeichnet, als einziges Unternehmen in Ostdeutschland. Jetzt müssen sich die Mitarbeiter neue Jobs suchen. „Die Region stirbt nach und nach aus“, sagt Hennig. Was das für ihn selbst bedeutet, blendet er aus. Noch steht er zu sehr unter Strom. Seit einer Woche war er nicht mehr einkaufen, essen könne er derzeit sowieso kaum etwas. „Scheiße, mein Akku ist leer“, sagt er und meint das Handy, nach dem er greift. Für ihn selbst gilt das aber auch. Als Betriebsrat kümmert er sich nach wie vor mit um die Abwicklung von First Solar. „Betriebsrat bin ich ja eigentlich noch“, sagt er halb fragend in die Runde; die stimmt ihm zu. Dann denkt er wohl doch kurz an seine Lage. Die Augen röten sich, ein paar Tränen stauen sich an. Vielleicht ist es nur der Qualm oder die Müdigkeit. Oder der Rauswurf. Oder alles zusammen.Verordneter OptimismusIm Rathaus ein paar Straßen weiter, nahe der träge strömenden Oder, die Deutschland mit Polen verbindet, ist die Katerstimmung noch nicht spürbar. Im Zimmer 207 des Ziegelsteingebäudes sitzt Christian Hirsch, der Sprecher des Bürgermeisters und hat eine Überraschung parat: Klar, das Aus von First Solar und die Insolvenz von Odersun sei ein Schlag für die Stadt, mit dem niemand gerechnet habe. Aber man könne das Intermezzo der Solarfirmen auch positiv sehen. „Das Bild der Stadt hat sich durch die Solarindustrie geändert“, sagt er, steht auf und geht zwei Schritte auf eine Wandkarte von 1993 zu. Er zeigt auf eine Fabrikruine mit Schlot nahe der Oder – „abgerissen“. Eine verfallene Häuserzeile in der Nähe des Rathauses – „saniert“. „Die Steuereinnahmen durch die Solarfirmen haben die Stadt positiv beeinflusst“, sagt Hirsch. Und wirklich: Die Altstadt glänzt, Kopfsteinpflaster ist ausgelegt, die Hauswände gestrichen, Dächer neu gedeckt, Cafés, Theater, Bibliotheken und Museen eröffnet. Erst südlich des Bahnhofs, außerhalb der Altstadt, beginnen die Plattenbauten mit ihren bröckelnden Fassaden und der blätternden Farbe. Hier, in einem grauen, fünfstöckigen Gebäude der ehemaligen Stasi-Zentrale sitzt die Arbeitsagentur. Die soll nun zum Ort der Hoffnung werden für viele, die noch in den Solarmodulfirmen beschäftigt sind.„Die Menschen hier sind einiges gewöhnt“, sagt Hirsch. Seit 20 Jahren müssten sie sich immer wieder umstellen. Das sei ein Vorteil, jetzt, wo es darum gehe, neue Investoren zu finden. Nun hat der Bürgermeister seinen Zypern-Urlaub abgeblasen und hetzt von Krisentreffen zu Krisentreffen; gerade ist er zur Handelskammer gefahren. Ersatz muss her und zwar schnell. Ein Fraunhofer-Institut könne sich hier doch ansiedeln, überlegt Hirsch, auch „aus Übersee“ hätten sich ein paar Interessenten gemeldet, aus der Elektronik- und Energiebranche. Möglicherweise könne die Zukunftsagentur Brandenburg (ZAB) Projekte in die Stadt locken.Zuschüsse gestrichenEs scheint wie die Suche nach dem rettenden Halm, an den sich die Stadt klammern kann. Als redete Hirsch sich selbst Mut zu. Auch der Bürgermeister, der First Solar und Conergy in die Stadt geholt hatte, muss nun schnell etwas präsentieren, irgendetwas, damit die Stadt nicht wieder in die Abwärtsschleife gerät. Denn im Herbst, wenn das First Solar Werk dicht macht, stehen auf einen Schlag 1.200 Mitarbeiter auf der Straße. Dazu kommen Hunderte Zulieferer, Fuhrunternehmer, Hoteliers. Und schon jetzt liegt die Arbeitslosenquote der Grenzstadt bei über elf Prozent.Aber auch Millionen an Gewerbesteuereinnahmen brechen weg – 28,5 Millionen insgesamt pro Jahr. Die Antwort des Bürgermeisters: Haushaltssperre. Auf die Sparliste kommen zuallerst die freiwilligen Ausgaben: Zuschüsse für Vereine, Bootstourismus, Radwege, Orchester, Theater, Museen. Alles Standortfaktoren, die Investoren und Stadtbesucher anlocken könnten, die so dringend gebraucht werden.Wird hier gekürzt, dürfte sich auch das größte Problem von Frankfurt noch verstärken: die Abwanderung. Seit der Wende ist die Stadt um ein Drittel geschrumpft, zuletzt hielt sie noch die Marke von 60.000 Einwohnern. Viele Studenten, Dozenten und selbst Lokalreporter wohnen aber lieber in Berlin und pendeln in die Grenzstadt.Auch Sven Hennig wohnt im Umland. Gerade hat er ein Haus in Neuzelle gebaut, muss die Raten abzahlen. Darum will er bleiben. Vielleicht kann er wieder als Industriemechaniker arbeiten. Dass er den Mund aufgemacht hat, bereut er jedenfalls nicht. Im Gegenteil. Nach dieser Woche hat er für sich eines gelernt: dass man sich nicht alles gefallen lassen soll.