Formbar, wasserfest, leicht und vor allem haltbar: Das ist Plastik. Seine Anwendungsmöglichkeiten erscheinen unbegrenzt, sein Nutzen unschätzbar. Tatsächlich aber hat sich der Segen dieses vom Menschen geschaffenen Materials längst als Fluch erwiesen: Seine Langlebigkeit zeitigt gigantische Müllberge, die besonders eindrucksvoll die Ozeane verschmutzen. Im Nordpazifik etwa, zwischen Hawaii und dem amerikanischen Festland, treibt ein Abfallteppich von der Größe Mitteleuropas. Zahllose Seevögel, die ihre Mägen mit Plastikteilchen statt Nahrung füllen, gehen zugrunde. Und: Die Herstellung von Kunststoff verbraucht Erdöl. Je knapper die Ölreserven werden, desto teurer wird der Rohstoff – und damit auch das Plastik.
Doch ein schli
ein schlichter Verzicht auf den problematischen Wunderstoff erscheint fast unmöglich: Das Zeug ist überall. Allein im Lebensmittelbereich haben Plastikschalen und -folien zentrale Bedeutung, auch ökologisch erzeugte Ware kommt meist nicht ohne Kunststoff aus. Ganz abgesehen von all den Autoteilen, Computerkomponenten, Büroartikeln, Hightech-Produkten, Alltagsgegenständen. Wo ist der Ausweg?Industrie und Wissenschaft sehen eine Alternative – in sogenannten Biokunststoffen. Wie Biosprit gewinnt man sie ganz oder teilweise aus nachwachsenden Rohstoffen wie Mais- oder Kartoffelstärke, oder man synthetisiert sie als biologisch abbaubar. Oder beides. Das Interesse an diesen Materialien hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen: Forscher beschäftigen sich mit Synthese und Eigenschaften, halten Konferenzen ab, erstellen Studien.Das Geschirr mit den Speiseresten entsorgenKunststoffe aus pflanzlichen Rohstoffen sind dabei natürlich nicht neu. Mitte des 19. Jahrhunderts erfand man das Zelluloid, ein Plastik aus Zellulosenitrat und Kampfer, aus dem sich mittels Spritzgusstechnik in Massenfertigung Imitate wertvoller Naturprodukte wie Elfenbein, Bernstein oder Perlmutt fertigen ließen. Insbesondere in der Fotografie und Filmtechnik wurde Zelluloid genutzt. Mit der Erfindung petrochemischer Kunststoffe verlor der Biostoff jedoch schnell an Bedeutung, da die neuen Materialien sich als haltbarer erwiesen und sich (im Gegensatz zu Zelluloid) nicht so leicht selbst entzündeten.Moderne Biokunststoffe sind – ähnlich wie konventionelle Polymere – vielfältig. In Europa leiten sich die meisten der abbaubaren Materialen aus Thermoplastischer Stärke (TPS) ab, einem kurzlebigen, kompostierbaren Material, aus dem Pflanzfolien, Müllbeutel oder Füllstoffe fabriziert werden. Doch auch die langlebigeren Polylactide (PLA) gewinnen zunehmend an Bedeutung. Für sie werden Glukose, Mais- oder Weizenstärke zu Milchsäure vergoren, welche sich dann mithilfe von Wärme und einem Katalysator zu langkettigen PLA polymerisieren lässt.Bislang findet man Polylactide vor allem in medizinischen Produkten und in der Innenausstattung von Autos, wo sie die herkömmlichen Kunststoffe immer häufiger ersetzen. Auch Verpackungen und Textilien können aus PLA hergestellt werden, teilweise gibt es sie schon zu kaufen, denn sie haben auch durchaus Vorteile gegenüber herkömmlichen Kunststoffen: In der Medizin ersparen sie Patienten die operative Entfernung von Schrauben oder Implantaten, da ihre Abbaugeschwindigkeit im Körper dem Heilungsverlauf entspricht. Im Catering kann das Geschirr gleich mit den Speiseresten entsorgt werden und PLA-Verpackungsfolien für Obst und Gemüse lassen Wasserdampf hindurch und beugen so Schimmel vor.Nahrung oder Plastik?Wachsender Nachfrage erfreuen sich auch Polyethylenteraphthalate (PET) und Polyethylene (PE) auf Zuckerrohrbasis. Sie haben den großen Vorteil, dass die Industrie zur Verarbeitung dieselben Maschinen und Verfahren verwenden kann wie für petrochemische Stoffe. Damit sind die Produkte nur wenig teurer als die vollsynthetischen Vorbilder. Doch in vielen anderen Fällen verhindern die Herstellungskosten eben doch einen endgültigen Durchbruch der Biokunststoffe. Laut Hans-Josef Endres, Leiter des Biopolymer-Instituts an der Fachhochschule Hannover, sind Produkte aus Bioplastik heute etwa doppelt so teuer wie herkömmliche Plastikerzeugnisse. Erst der steigende Ölpreis beginnt die Kluft zu schließen, zugleich sinken die Kosten für Biokunststoffe mit zunehmendem Kenntnisstand und größeren Produktionsmengen – wie sich schon heute bei den Polylactiden zeigt. Die Verbreitung der Biokunststoffe läuft ingesamt aber eher langsam an: Rund 250 Millionen Tonnen Kunststoff werden weltweit jährlich produziert, gerade mal eine davon ist bio. Im Jahre 2015 sollen es nach Angabe des Hersteller-Verbands European Bioplastics e.V. rund zwei Millionen Tonnen sein. Dabei wächst der Markt in Südamerika am stärksten.Endres ist davon überzeugt, dass auch Deutschland in der aufstrebenden Branche eine wichtige Rolle spielen wird, zwar nicht quantitativ, dazu sind die Agrarflächen zu klein, aber qualitativ: „Wir haben sehr viele Chemiefirmen, die sich nun mit Biokunststoffen auseinandersetzen und solche mit besonderen Eigenschaften herstellen“, sagt er. Der Erfahrungsschatz in der traditionellen Kunststoffproduktion kommt ihnen zugute, denn immerhin sind fast 10 Prozent allen Plastiks weltweit made in Germany. Auch Endres und seine Mitarbeiter versuchen bestimmte Anwendungen weiterzuentwickeln: „Wir forschen daran, wie wir die Langzeitstabilität der Biokunststoffe für ihre Außenverwendung erhöhen oder sie einfärben können“. Auch Recycling, Verbrennung und Umwandlung der Biokunststoffe in Biogas sind wichtige Forschungsthemen.Aber es gibt auch Probleme. Nicht zuletzt erinnert der nötige Anbau von Pflanzen für Biokunststoffe an die Debatte um Biosprit: „Die landwirtschaftlich nutzbaren Flächen auf unserem Globus nehmen ab, die Hungerkatastrophen zu. Damit steigt der Druck auf die nutzbaren Flächen“, sagt Severin Beucker vom Berliner Borderstep Institut für Innovation und Nachhaltigkeit. So stellt sich immer öfter die Frage, wofür Agrarflächen genutzt werden: für Nahrungsmittel, Energiepflanzen – oder Rohstoffe für Biopolymere? Wie beim Biosprit der zweiten Generation taugen für Bioplastik aber auch landwirtschaftliche Abfälle wie Stroh oder Grünschnitt, derzeit wird erforscht, wie sich diese Ausgangsstoffe am besten nutzen lassen. Nötig ist darüber hinaus auch Entsorgungskonzept für Biokunststoffe – und Aufklärung: Viele Verbraucher wissen etwa nicht, was „biologisch abbaubar“ tatsächlich bedeutet. Der Begriff meint nicht, dass ein Müllbeutel sich auf dem Komposthaufen mir nichts, dir nichts in Humus verwandelt. Vielmehr zersetzt sich das Material nur unter den spezifischen Bedingungen industrieller Kompostierungsanlagen zügig. Andere Biokunststoffe verrotten überhaupt nur langsam. „Das ist von Hersteller und Verbraucher auch so gewünscht“, erklärt Beucker. „Terrassenbohlen aus Wood Plastic Composite (einem Gemisch aus Holz und Biokunststoffen) etwa sollen sich ja nicht schnell abbauen.“RessourcenverschwendungBeständige Biopolymere wie das Bio-PET oder Bio-PE könnten recycelt, aber auch verbrannt werden. In letzterem Fall ließen sie sich sogar noch energetisch nutzen. Im Gegensatz zu den Erdöl-basierten Produkten setze Bioplastik nur so viel CO2 frei, wie die verwendeten Pflanzen vorher aus der Atmosphäre aufgenommen haben.Dennoch wird auch scharfe Kritik geübt: Der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) mahnt, dass die vermeintlichen Bioprodukte meist weder kompostiert noch recycelt werden könnten und zumeist ohnehin im Restmüll landeten. „Dem Verbraucher wird vorgegaukelt, er tue, indem er biologisch abbaubare Plastiktüten verwende, der Umwelt etwas Gutes“, moniert BUND-Referent Heribert Wefers. Ein Wegwerfprodukt wie eine Plastiktüte verschwende aber auch dann Ressourcen, wenn es aus nachwachsenden Rohstoffen hergestellt werde.Mit der Zunahme von Biokunststoffen im Handel wird die Frage nach ihrer Entsorgung immer drängender. Gleichzeitig steigt die Bereitschaft der Politik und Entsorgungsbetriebe, Konzepte dazu zu erarbeiten. Angesichts der begrenzten Flächen und des nicht unbeträchtlichen Energieverbrauchs für die Biokunststoff-Herstellung ist die bloße Substitution petrochemischer Kunststoffe keine nachhaltige Alternative. In Kombination mit einem guten Recycling, weniger Verpackungen und langlebigeren Produkten könnten sie jedoch einen wertvollen Beitrag für ein ökologischeres Wirtschaften leisten.