Abschied aus Jerusalem mit Kunst und ungebrochenen Rippen

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Uri wurde die Hand, Ro'i eine Rippe, Dani ein Finger gebrochen. Elisheva erlitt eine Rückenprellung. 14 wurden festgenommen, erfahre ich über einen Facebook-Kontakt. Das bezog sich auf die Demonstration im arabischen Stadtteil Sheik Jarrah vor zwei Wochen.

Hier finden jede Woche Proteste gegen orthodoxe Siedler statt, die arabisches Land enteignen liessen und darauf gebaut haben. Die Initiatoren der Demonstrationen sind Studenten der Universität von Jerusalem, die von weiteren Gruppen unterstützt werden.

Sheik Jarrah ist ein Stadtteil jenseits der green line (armistice line - Waffenstillstandslinie; green line deswegen, weil die Linien mit einem grünen Stift auf die Karte gezeichnet wurden). Damit haben israelische Siedler dort nichts verloren.

Darum kümmern sich aber weder die Siedler, noch Ministerpräsident Netanjahu. Der hat unlängt im Interview den Amerikanern klar gemacht hat, wo es langgeht:

The building in Jerusalem – and in all other places – will continue in the same way as has been customary over the last 42 years.

Gegen vier Uhr kommen die Demonstranten Gruppe um Gruppe in die abseits gelegene Tobler-Straße, nahe der sogenannten Amerikanischen Kolonie. In diesem Viertel, das direkt an das jüdisch-orthodoxe Mea Schearim grenzt, sind mehrere Konsulate, Hotels und die UNWRA untergebracht.

Heute sind relativ wenig Aktivisten und Sympathisanten da. Vielleicht zwei- bis dreihundert, aber sie sind gut ausgestattet mit Plakaten und Trommeln. Man hört einige englische, aber auch spanische und französische Stimmen unter ihnen. Die Nachrichtenagenturen Reuters und AP sind vor Ort.

Der Protestzug positioniert sich gegenüber der Einfahrt zur Straße, die zu den neuen Gebäuden der Siedler führt. Die Einfahrt ist durch die Polizei gesperrt. Außerdem sind ein Dutzend Soldaten in voller Montur da, ein paar davon mit Schnellfeuergewehren. Das irritiert. Es handelt sich eindeutig um eine zivile Protestaktion. Selbst für den Fall, dass es zu Ausschreitungen kommt, hätte die Polizei das jederzeit im Griff. Wozu Militär da ist, kann kaum befriedigend beantwortet werden. Offenbar dient es der Einschüchterung.

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Die Aktion besteht darin, die aus der Straße kommenden oder in sie hinein fahrenden Orthodoxen mit Sprechchören wie "Keine Siedlungen in Sheik Jarrah", oder "Free Sheik Jarrah" zu beschallen. Auf einem gr0ßen Plakat wird an ein Motto der Universität von Jerusalem* aus dem Jahr 1948, also anlässlich der Gründung Israels, erinnert:

The Hebrew University of Zion will advance the tremendous cause of building a moral society in the spirit of the prophets of Israel.

Die Hebräische Universität von Jerusalem will die gewaltige Aufgabe unterstützen, eine moralische Gesellschaft im Geist der Propheten aufzubauen.

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Dazu lauten die Sprechchöre als Kontrast "Es gibt nichts Moralisches in einer besetzten Stadt!"

Nach etwa einer halben Stunde kommt Unruhe auf. Eine Gruppe bewegt sich über die Straße auf die Absperrung zu. Sofort setzen sich die Soldaten, die zuvor auf einem kleinen Hügel in Warteposition waren, in Bewegung um sich hinter der Absperrung aufzubauen.

Im Mittelpunkt des kleinen Tumults streitet sich ein Demonstrant - vielleicht Mitte Dreissig - mit dem Einsatzleiter der Polizei. Offenbar fordert er Zugang zur eigentlich öffentlichen Straße. Neben ihm ist eine Palästinenserin mit einem Plakat, das mehrere Bilder zeigt, wie sie und ihre Familie aus ihren ursprünglich dort befindlichen Häusern vertrieben wurden. Dieses Schicksal haben mit ihr weitere 50 Familien geteilt. Der Zugang wird der Gruppe natürlich verwehrt.

Abends berichte ich einer Jerusalemer Bekannten wie es war: Bei allem Respekt vor den Aktivisten sei meine Befürchtung, dass die Geduld von Steinen größer ist als die Ausdauer von Demonstranten. Die Gebäude stehen bereits. Und just an diesem Wochenende wurde zwei weiteren palästinensischen Familien der Räumungsbescheid ausgehändigt. Die Bekannte stimmt resigniert zu. Wenn schon die Proteste von Millionen weltweit nichts nützten, was dann? Aber dennoch, so fügt sie an, müsse man das Richtige tun. Für sich und für die nächste Generation. Ja.

Eine wundervolle Freiluft-Kunstausstellung

Auch das ist Jerusalem: In der äußerst noblen Flanier- und Einkaufsmeile der Mamilla Avenue befindet sich derzeit eine Ausstellung von Bildern und Skulpturen moderner israelischer Künstler. Zuerst dachte ich, es seien nur ein paar Stücke zur Zierde ausgestellt. Es sind aber bestimmt über 100 Exponate. Und was für welche! Kann mich kaum erinnern, wann ich das letzte mal so beeindruckt war. Die Stücke waren meist paarweise, also Bild plus Skulptur, angeordnet. Insbesondere die Skulpturen waren wundervoll, da sie wirklich neue Ideen zum Ausdruck brachten. Hier nur drei Kostproben. Mehr Bilder gibts ein andernmal:

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Was schrieb ich zum Auftakt? Das erste, woran ich beim Stichwort Israel denken müsste, wäre "Attentat". Ich weiß noch nicht, was sich dieses mal am eindrücklichsten festsetzt. Eins steht fest:

Next year in Jerusalem.

Shalom aus Israel, Schlesinger

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Photos: FREITAG / Schlesinger

* Teile des Lehrkörpers der Universität unterstützt die Demonstranten und nehmen teilweise daran teil

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Geschrieben von

schlesinger

"Das Paradies habe ich mir immer als eine Art Bibliothek vorgestellt" Jorge Louis Borges

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