Hanser, Rowohlt, Fischer. Wer die Liste von zwanzig Titeln durchblätterte, die die Jury des Deutschen Buchpreises vor einem Monat veröffentlichte, musste den Eindrucks gewinnen: Wieder einmal waren in dem Aufgalopp zur Sortierung für den mit 25.000 Euro gut dotierten Preis die bekannten Verlage vertreten, deren Namen jeder kennt.
Wieder einmal saßen in der Jury unter ihrem Vorsitzenden Hubert Winkels, Literaturredakteur beim Deutschlandfunk, die üblichen Verdächtigen. Martin Lüdkes, Iris Radischs oder Lothar Müllers Meinungen über Bücher können Bücherfreunde seit Jahr und Tag auf allen Kanälen vernehmen.
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ich bei soviel business as usual, dass sich die sogenannten „Independents“ bei dem Tamtam vernachlässigt fühlen. Auf der einen Seite werden diese lieben Kleinen, von A wie A1-Verlag bis V wie Verbrecher-Verlag, seit Jahr und Tag als Kreativmotoren der Branche gelobt: Sie trauten sich noch, unkonventionelle Bücher zu veröffentlichen, bei denen die großen Verlage vorsichtig geworden sind. Sie hielten das verlegerische Ethos hoch. Sie entwickelten noch Leidenschaft für gute Kunst. Während in den großen Verlagen nur noch die kalte Logik der Rendite regiere.Die Pfründe, die der Betrieb zu vergeben hat, verteilen die Etablierten dann aber doch lieber unter sich. Der Preis der Kurt-Wolff-Stiftung, den Kulturstaatsminister Michael Naumann einst ins Leben gerufen hatte, um Kleinverlagen finanziell unter die Arme zu greifen, ist nur ein schwaches Trostpflaster für entgangene Aufmerksamkeit. Für das Publikum ist dieser Preis quasi nicht existent.Und für die Werbung zahlt er sich quasi nicht aus. Nun haben sie also zur Selbsthilfe gegriffen und eine eigene Liste vorgelegt, die auf der Frankfurter Buchmesse prämiert werden soll.Zwischen Kunst und MarktMan kann sich fragen, ob der Deutsche Buchpreis, dem die Kleinverlage Renommee und vor allem Medienresonanz neiden, wirklich ein begehrenswertes Objekt ist. Denn immer litt die 2004 begründete Auszeichnung unter dem Dilemma, einerseits „den besten deutschsprachigen Roman“ auszeichnen zu wollen und andererseits ein Instrument zur Aufmerksamkeitserzeugung auf dem immer härter umkämpften Buchmarkt zu sein: Ein unappetitlicher Spagat zwischen Kunst und Markt.Echten Literaturliebhabern war der Buchpreis deswegen nie recht geheuer. Und die Bücher, die dabei ausgezeichnet wurden, waren ein Jahr später oft wieder vergessen. Wer kennt noch die Preisträgerin von 2007, Julia Franck und ihren Roman Die Mittagsfrau?Als Gegenargument wird immer Uwe Tellkamps Roman Der Turmbemüht. Doch die 500.000 Exemplare, die von seinem wirklich lesenswerten Epos nach und wegen der Auszeichnung verkauft worden sein sollen, wären womöglich auch ohne Buchpreis verkauft worden.Sicher: Listen gehören zur Kulturgeschichte. Von der Genesis der Bibel bis zu den Pop-Song-Listen des Plattenhändlers Rob, die Nick Hornby in seinem Roman High Fidelityberühmt gemacht hat, ließe sich die Kontinuitätslinie dieses Mediums ziehen. Seitdem gelten Listen als Prototyp der postmodernen Ästhetik. Man kann mit ihnen sammeln und inventarisieren, ohne zu bewerten.Teufelsregister und NatursammlungenIn seinem neuen Buch Die unendliche Liste geht Umberto Eco den Gründen für die Faszination von Listen nach: von mittelalterlichen Teufelsregistern über feudale Natursammlungen bis hin zu Jose Luis Borges' fiktiver Bibliothek von Babel. Kulturhistorisch gesehen sind Listen also nicht verboten. Trotzdem haben sie ihre Nachteile.Listen täuschen Objektivität vor, wo Subjektives ausschlaggebend war. Hubert Winkels Wort von der „kommunikativen Ausnahmesituation“ in der Jury, bei der die Diskussionen „manchmal auch schmerzhaft“ waren, gibt einen Hinweis auf Motive und Umstände dieses Ausscheidungsprozesses.Seit Mittwoch stehen an dessen Ende nur noch sechs Romane. Wie sie dorthin gelangt sind, weiß man: durch Abstimmung. Warum, leider nicht.Listen geben also eine Hierarchie vor, deren Kriterien im Dunkeln bleiben. Und man kann ihnen so schlecht widersprechen. Es sei denn, man stellt eine eigene Liste auf. Mit anderen Worten: Statt den notwendigen Diskurs um Buch und Literatur zu entfachen, geben (Bücher-)Listen eine Rangfolge vor. Sie setzen auf die Logik des Konsums.Independents. Das Wort hat seine Tücken. Das Monopol auf wild und unangepasst, das es suggerieren soll, löst sich bei näherer Betrachtung oft in Schall und Rauch auf. Es sind nicht nur literarische Kleinodien, die sich in den Herbstkatalogen der Kleinverlage oder auf ihren Backlists finden.Noch 'ne ShortlistUmgekehrt sind „etablierte“ Verlage nicht zwangsläufig angepasst oder langweilig. Sonst hätte ein Verlag wie Hanser - auch nicht viel mehr als ein prekärer Mittelständler - nicht einen Roman wie Roberto Bolanos Roman 2666 verlegt, ein Paradestück poststrukturalistischer Literatur, der kaum so gut „gehen“ dürfte wie die Vampirromane der amerikanischen Erfolgsautorin Stephenie Meyers, die derzeit reißenden Absatz finden.Auch Clemens Setz' ungewöhnlich sprachlustiger Roman Die Frequenzen, der auf der Shortlist des Buchpreises steht, hätte gut in einem Independent-Verlag erschienen sein können. Ist er nun, nur weil er beim Salzburger Verlag Residenz erscheint, angepasst, gar etabliert?Inzwischen zieht die Manie ihre Kreise: Auch das Berliner Haus der Kulturen der Welt hat jetzt einen internationalen Kulturpreis für zeitgenössische Erzählliteratur in deutscher Erstübersetzung ins Leben gerufen. Auch da ist aus der Longlist inzwischen eine „Shortlist“. geworden.Man sieht schon: Die Segmentierung und geistige Lagerbildung, die sich mit dem grassierenden Hang zu Listen in die Buchwelt einschleicht, steht quer zum Grundanliegen der Literatur: Öffnung, Perspektivenwechsel, neue Horizonte.Bislang standen die Kleinverlage für Inhalt statt Marketing, für Leselust statt Wettbewerb. Jedenfalls solange sie sich nicht als Imprint von etablierten Verlagen übernehmen ließen, wie vor zwei Jahren der Tropen-Verlag von der Stuttgarter Klett-Cotta-Gruppe. Nun wollen auch sie ihr Stück vom Kuchen abhaben.