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Kultur : Trostlos neben Mozart

Wenn der Zusammenklang für eine gesellschaftliche Utopie steht: Helmut Lachenmann auf CD

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Helmut Lachenmann, der im November 75 Jahre alt wurde, hat wie sein Lehrer, der Italiener Luigo Nono, serielle Musik komponiert, aber er hat sie weitergedacht und verändert; davon legt die CD (mit einer der ersten Einspielungen seiner Werke) Zeugnis ab.

Hans Zender, Clytus Gottwald und Michael Gielen dirigieren drei Kompositionen der 1960er und 70er Jahre. Damals hatte Lachenmann sein Konzept geklärt: Serielle Musik ja, aber nicht als Selbstlauf der „Parameter“, sondern als hörbare Antwort auf andere Musik außerhalb der jeweils seriell konstruierten Binnenwelt. Antwort auf andere Musik ist Musik ja schon immer gewesen. Zum Beispiel antworten die „Themen“ der Klavierkonzerte c-moll von Beethoven und d-moll von Brahms auf dasjenige des Klavierkonzerts c-moll von Mozart; das hört man und soll es hören. Ein Stück von Lachenmann indes antwortet nicht mit Melodien auf andere Melodien, sondern mit der Gesamtstruktur auf eine andere Gesamtstruktur.

Davon ist „Accanto“, die „Musik für einen Klarinettisten mit Orchester“ (1975/76), ein zugespitztes Beispiel. Das Stück ist als durchlaufender Kommentar zum Klarinettenkonzert von Mozart angelegt: Unhörbar, so Lachenmann, läuft (im Kopf) eine „Tonbandaufnahme“ davon mit, und was man hört, sind gleichsam seine Randbemerkungen, Unter- und Durchstreichungen. In der Komposition ist Mozart nicht mehr herauszuhören außer an der Stelle, wo vom Tonband direkt etwas in die Komposition hineinspielt. Lachenmann will die scheinbare Unmittelbarkeit des Mozart-Hörens im 20. und inzwischen 21. Jahrhundert durchbrechen, das er übrigens nicht für naiv hält, sondern für verwundet durch warenästhetische Glättung.

Um zu einer Wahrnehmung zu erziehen, die mit Bewusstsein von heute aus hört, isoliert er etwa in einer Passage das unendlich fortstampfende Tap, tap, tap, das uns aus älterer tonaler Musik in Fleisch und Blut eingegangen ist: Früher fühlte man „Fortschritt“ dabei, heute ist es primitives Ticken einer Uhr, und man sollte es von Problementwicklung unterscheiden können. Mozarts Schönheit jenseits warenästhetischer Aufbereitung würde sich erst erschließen, wenn wir das Ticktack, das zu seiner Zeit Konvention war, im Hören einklammern und beiseite lassen könnten. „Accanto“ heißt auf deutsch „daneben“.

„Kontrakadenz für großes Orchester“ (1970/71) erschließt ein anderes Außen der seriell konstruierten Binnenwelt, dasjenige des Klangs. Wie ein Kontrapunkt Tonhöhenverläufe so überlagert, dass sie zusammenpassen, überlagert Kontrakadenz Klänge und tut es in dem Stadium, wo man noch hört, dass der Zusammenklang für eine gesellschaftliche Utopie steht.

Weil man nicht so tun soll, als sei sie schon verwirklicht, homogenisiert Lachenmann die Klänge nicht, sondern macht die Mühe der Tonerzeugung und allerlei Nebengeräusche hörbar. Es sind meist keine schönen Töne – wenn man sich das anhört und gleich anschließend mit Küchengeräten hantiert, meint man, die Komposition setze sich fort –, aber wegen der raffinierten rhythmischen Serie und ihrer Einzelereignisse, der von Lachenmann so genannten „Strukturklänge“, hört man gebannt zu.

Die CD enthält außerdem „Consolation I für 12 Stimmen und 4 Schlagzeuger“ (1967), eine Vertonung von Sätzen des expressionistischen Dichters Ernst Toller – für Lachenmann eine Artikulation existenzieller Trostlosigkeit, in der er die Vorbedingung jeder realistischen Hoffnung sieht.

Helmut Lachenmann Accanto / Consolation I / Kontrakadenz, Wergo 2010

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