Der polnische Schriftsteller Andrzej Szczypiorski schrieb in einem Aufsatz, der Anfang der neunziger Jahre in einer Schrift der deutsch-polnischen Versöhnungsstiftung erschien: "Tag für Tag gibt es immer weniger Menschen, die vor einem halben Jahrhundert Opfer der Gewalt waren. Diese Menschen scheiden aus dem Leben mit einem Gefühl der Niederlage. Für die, die noch dableiben, muss es eine große Herausforderung sein."
Die Odyssee der Czeslawa Ziembowa begann im September 1939 - die damals 17-jährige Oberschülerin hatte sich als freiwillige Hilfsschwester zur polnischen Armee gemeldet und nach dem deutschen Überfall auf Polen an der Bzura-Schlacht teilgenommen - unmittelbar danach geriet sie in Kriegsgefangenschaft. Nach einigen Monaten aus dem Lager en
m Lager entlassen, wurde sie zur Zwangsarbeit in Breslau (heute Wroclaw), verpflichtet. - Czeslawa Ziembowa gehörte damit zu jenen etwa 30.000 Polinnen und Polen, die in dieser Stadt als Arbeitssklaven in die nazistische Kriegswirtschaft "eingegliedert" wurden und nach der Befreiung Anfang 1945 als freie Menschen in Wroclaw blieben.Zunächst musste Czeslawa bei einem Funktionär der Deutschen Arbeitsfront (DAF) in der Breslauer Innenstadt als Hausmädchen arbeiten, den Garten bestellen und zwei Kinder betreuen, sie hatte im Keller zu schlafen und durfte einmal in der Woche zwei Stunden am Nachmittag ausgehen - dafür erhielt sie monatlich 17 Reichsmark. Nachdem sie sich geweigert hatte, den Herrschaften die Schuhe zu putzen, wurde sie auf der Gestapoleitstelle am Stadtgraben unter dem Vorwurf der Sabotage verhört und in die zu Villeroy Boch gehörende Steingutfabrik - ebenfalls in Breslau - strafversetzt. Dort hat sie bis zum Januar 1945 in einer Schicht 20 Waschbecken gießen müssen. Vom Stücklohn, der bei 32 Pfennigen lag, wurde ihr die Hälfte abgezogen, neben anderen Abgaben auch die für eine "Altersversicherung". - Doch hat die inzwischen knapp 80-jährige aus dieser Versicherung bis heute nichts erhalten.In Auslegung des im März 1940 befohlenen "Polen-Erlasses" hatte es in einem Rundschreiben des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA) geheißen, "der Pole hat keine Arbeitsrechte im normalen Sinne des Wortes". Zu dieser Erniedrigung gehörte die zynische Praxis, dass jeder Pole nach seiner Verhaftung und Deportation auf dem örtlichen Arbeitsamt ein "Gesuch" um Arbeitserlaubnis zu unterschreiben hatte. Damit waren polnische Arbeiterinnen und Arbeiter völlig der Willkür des jeweiligen Arbeitgebers ausgesetzt, denn sie hatten es ja so gewollt. Dem "Betriebsführer" stand nicht nur ein Recht auf Züchtigung zu, ihm wurde in einem Merkblatt des Generalbevollmächtigten für den Zwangsarbeitseinsatz, Fritz Sauckel (*), außerdem dringend nahegelegt: "Lasst kei nerlei Zweifel daran, dass ihr die Herren seid!"Czeslawa Ziembowa erinnert sich: "Bei der Einweisung in das Arbeitserziehungslager bei Ratowitz - das war ein Ort mit einem Zweigbetrieb der Krupp-Werke, in dem Panzerteile hergestellt wurden - mussten die wegen ÂArbeitseinsatzersetzungÂ, wie sich das seinerzeit nannte, von der Gestapo verhafteten Polen schriftlich bestätigen, dass sie die Strafe verdient hätten. Das bedeutet, wenn vielleicht in 100 Jahren einmal jemand ausgerechnet auf diese Dokumente stößt und nicht viel oder gar nichts über die millionenfachen Deportationen des III. Reiches weiß, dann muss ja der Eindruck entstehen, dass wir das alles genau so gewollt haben. Sie können bereits jetzt von Deutschen die Behauptung hören, immer schon seien die Polen völlig freiwillig und gern zur Arbeit nach Deutschland gekommen."In der Tat waren Ende 1939 im sogenannten Generalgouvernement etwa 70.000 Menschen "freiwillig angeworben worden" - das änderte sich schlagartig, als bekannt wurde, wie es diesen "Freiwilligen" erging. Und was das "immer schon" betrifft, sei angemerkt, dass im Mai 1939 - also drei Monate vor dem deutschen Überfall - 130.000 Polen im gesamten Deutschen Reich beschäftigt waren.Als Czeslawa Ziembowa ihre Erinnerungen zu Protokoll gibt, wird im Teleexpress, den Abendnachrichten des polnischen Fernsehen, die Meldung ausgestrahlt, dass Otto Graf Lambsdorff, der Bevollmächtige der Bundesregierung, vor der nächsten Washingtoner Verhandlungsrunde über die Entschädigung der Zwangsarbeiter in Warschau Gespräche führe. Dem Bericht schließt sich ein Interview-Versuch an. Ein Reporter fragt den Grafen nach der deutschen Position zu den zwischen 1939 und 1945 in der Landwirtschaften beschäftigten ausländischen Arbeitskräften, der Angesprochene reagiert mit einer nervösen Handbewegung - ach, lass' doch davon ab, soll das wohl heißen. Lambsdorff sagt schließlich kein Wort und lässt den Reporter einfach stehen.In Wroclaw sind die heute noch lebenden einstigen polnischen Zwangsarbeiter des III. Reiches in der Regel zwischen 75 und 85 Jahre alt. Czeslawa Ziembowa: "Es ist ja richtig, dass die meisten schon einmal Geld von der deutsch-polnischen Versöhnungsstiftung bekommen haben. Als die vor acht Jahren gegründet wurde, haben wir geglaubt, da werden wir endlich für diese furchtbare Zeit, für unsere Arbeit damals, entschädigt. Aber für 60 Monate Arbeitseinsatz im III. Reich betrug die höchste Zahlung etwa 15 Millionen Zloty - 1991 der Gegenwert von ungefähr 750 bis 800 Mark. Ich brauche wohl nicht zu sagen, was sich die Leute gedacht haben. Und ich brauche auch nicht zu erwähnen, was sie jetzt denken, wenn es um den Entschädigungsfonds geht. Nehmen Sie nur die deportierten Landarbeiter, von den betroffenen Männern lebt in Wroclaw niemand mehr, es sind nur noch einige alte Frauen übrig geblieben ..."Sauckel wurde im Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess im Oktober 1946 zum Tode verurteilt und gehängt.