Daniel Kehlmann hat, anders als vielfach vermutet, in Salzburg nicht mit dem Regietheater abgerechnet, das ihn nie interessiert hat. Er hat vielmehr einen Nachruf auf seinen Vater abgeliefert, den Regisseur Michael Kehlmann, der 2005 gestorben ist. Es ist mir schleierhaft, wie man das verwechseln kann und ich weiß auch nicht, ob die Eröffnung der dortigen Festspiele der richtige Ort, für die wohl immer schwierige Auseinandersetzung mit dem eigenen Vater sein kann. Gemessen an der Akribie, mit der Daniel Kehlmann sonst seine Gegenstände vermisst, ist ihm diese Auseinandersetzung eher diffus geraten - wie das bei Dingen, die sehr persönlich sind, eben leicht passiert.
Daniel Kehlmann macht keinen Hehl daraus, dass er sich nie wirklich für das Theater interessiert
st, ist ihm diese Auseinandersetzung eher diffus geraten - wie das bei Dingen, die sehr persönlich sind, eben leicht passiert.Daniel Kehlmann macht keinen Hehl daraus, dass er sich nie wirklich für das Theater interessiert hat, er wollte sich ja von seinem Vater, der für ihn das Idealbild eines Regiegottes zu verkörpern schien, absetzen. Ein Vater, der seinen Sohn tief beindruckte, indem er auf der Bühne Kronleuchter auf Kommando auf- und abfahren und leuchten lassen konnte, der nicht diskutierte sondern diktierte und, wie der allmächtige Vater im Himmel, schon alles immmer im voraus wußte.Ein schwacher VaterDer Sohn hatte nach seiner eigenen, in dieser Salzburger Rede formulierten Erinnerung, nur ein Bedürfnis: er wollte sich von diesem Übervater abgrenzen, wie man das eben als Sohn nötig hat, wenn man zu einem eigenständigen Leben finden will. Besonders dringlich ist das, wenn der Vater einen Beruf ausübt, der auch in Zeiten der Demokratie, zumindest für seinen Bereich noch so etwas wie absolute Herrschaft erlaubt. Aber nur eines ist für den Sohn noch schrecklicher als ein starker Vater: ein schwacher Vater.Kehlmann konnte es, wie er berichtet, nur schwer ertragen, dass sein Vater beim Theater aus der Mode kam und er muß eine fremde Instanz - er nennt sie "das Regietheater" - dafür verantwortlich machen, dass es mit dem Vater je älter er wurde immer mehr bergab ging. Während der Sohn von Walter Jens die Demenzerkrankung seines Vaters als Somatisierung des taktischen Gedächtnisverlustes in Bezug auf dessen Nazivergangenheit deutete und ihr damit einen in der Schuld des Vaters gründenden Sinn gab, trägt für den Sohn von Michael Kehlmann, ein äußere Instanz die Schuld, nämlich das Theater, das seinen Vater nicht mehr haben wollte, angeblich weil er sich nicht an den dort grassierenden Firlefanz anpassen wollte. Die tiefe Enttäuschung und die Unsicherheit, die damit einhergeht, dass die für omnipotent gehaltene Person plötzlich ohnmächtig wird, haben nicht nur die familiäre Tragödie als Hintergrund sondern verweisen auch auf ein großes Menschheitsproblem, das auch das Theater seit der Antike auf verschiedenste Art behandelt hat: das Thema der versagenden Allmacht, zum Beispiel in Sophokles' König Ödipus, Shakespeares König Lear, Grillparzers König Ottokars Glück und Ende oder in Ionescos Der König stirbt.Schwach und hilflosDass scheinbar allmächtige Vaterfiguren eines Tages schwach und hilflos werden und von der Welt verschwinden, hat uns wahrscheinlich dazu gebracht einen unsterblichen Vater im Himmel zu erfinden. Doch der hat den großen Nachteil, dass er sich nicht zeigt, wenn man ihn braucht, aber gerade deshalb ist er auch unverletzlich und unangreifbar. Der eigene Vater ist das leider nicht. Das erfahren alle Töchter und Söhne eines Tages bevor sie dann Waisen werden und auf sich allein gestellt sind. Das ist sehr existentiell und traurig. Es ist ein wichtiges Thema der Kunst und des Theaters, wahrscheinlich hat Kunst in dieser strukturellen Enttäuschung sogar einen ihrer Ursprünge. Nur was dieses unlösbare Vergänglichkeitsproblem mit so etwas Marginalem wie dem Begriff des modernen Regietheaters zu tun haben soll, ist mir völlig unerklärlich. Aber dieses abgegegriffene Thema passt offenbar irgendwie gut zu den Salzburger Festspielen, bei denen diese Rede ja auch sehr gut aufgenommen worden sein soll. Wenn einem das Theater so gründlich verleidet ist, wie Daniel Kehlmann (sein eigener Vater hat es ihm verleidet) und man sich dann trotzdem darauf einlässt, darüber öffentlich zu reden, vom Theater aber nicht viel kennt (er erwähnt keinen Regisseur der Gegenwart und keine Inszenierung), und folglich auch kein eigenes Urteil darüber entwickeln kann, dann versucht man am Besten das zu sagen, von dem man glaubt, dass es die Leute hören wollen, auch wenn man dabei regrediert und anfängt zu plärren.Die Rollen werden getauschtDie Vergeblichkeit, die sich in dem Vaterbild, das Kehlmann entwirft, zeigt, kann das Theater jedenfalls nicht ändern, es kann sie höchstens feiern: kathartisch, leidenschaftlich, ohne Beschönigung. Ob dies aktualisierend oder historisierend, in alten Kostümen oder "verfremdet" geschieht, ist dabei völlig gleichgültig und, wie auch Kehlmann betont, der Autonomie des Künstlers, des Regisseurs überlassen. Aber das reicht Kehlmann nicht. Seine Erinnerungen an seinen Vater bringen ihn auf einen seltsamen Gedanken. Vor allem habe sein Vater ihm eingeschärft, erinnert sich der Sohn, der Regisseur solle dem Werk des Autors dienen. Und das löst bei dem Sohn eine interessante, verkappte Wende aus. Er wird selbst Autor und so gelingt es ihm, sich den Vater zumindest virtuell zu seinem Knecht zu stilisieren, der Vater unterwirft sich dem Sohn, wie sich der Regisseur dem Autor unterwirft. Der narzistische Kindertraum von der eigenen Überlegenheit tritt an die Stelle des realen Traumas. Die Rollen werden getaucht. So ermöglicht der schwache Vater die Stärke des Sohns und begründet dessen großen Erfolg. Das hilft zwar dem Narzissmus des Autors, löst aber weder das Problem der Vergänglichkeit, noch hilft es dem Theater, sich gegenüber den neuen Medien als besondere Kunstform zu profilieren.