Lieber Jonas Lüscher, kann man Ihren neuen Roman Verzauberte Vorbestimmung nacherzählen?
Ja, natürlich kann man die Handlung nacherzählen. Vielleicht nicht in Art eines Elevator Pitch, also in der Zeit, in der ein Fahrstuhl ein paar Stockwerke überwindet, aber mit etwas mehr Zeit geht das schon. Die Frage ist eher, ob man diesem Roman damit gerecht wird, ob es nicht viel mehr um die Zusammenhänge geht, darum, in welchem Verhältnis die verschiedenen Erzählstränge zueinanderstehen. Interessanter ist es wie so oft, darüber zu sprechen, welche Verbindungslinien sich zwischen den Geschichten finden lassen.
Über Ihr Schreiben wurde oft gesagt, dass es unsere komplexe Gegenwart ein Stück weit erzählbar und verstehbar macht. Was wollten Sie mit Verzauberte Vorbestimmung verstehen?
Eigentlich wollte ich im Schreibprozess etwas über die Beziehungen von uns Menschen zur Technik herausfinden. Am Ende geht es aber vielleicht viel mehr um mein eigenes idiosynkratisches und zutiefst ambivalentes Verhältnis zu Technik. Aber das passt auch zu meiner Vorstellung, dass die Literatur nicht dazu da ist, Allgemeinaussagen zu machen, sondern dass sie von Einzelfällen erzählt.
Man kann so viele Dinge tun im Leben – wozu Romane schreiben, was können Romane Ihrer Meinung nach leisten?
Für mich als Schreibender sind sie vor allem eine Gelegenheit besonders intensiven Nachdenkens. Für die Leser:innen sind sie eine Möglichkeit, mit Altem und Neuem, mit Fremdem und Vertrautem in Beziehung zu treten und so ein paar neue Knoten in ihr ganz persönliches Netz aus Erzählungen zu knüpfen, am Ende also ein dichteres Wissen über sich selbst und die Welt zu haben.
Der Roman handelt ungleich heftiger auch von Ihnen als Ihre Bücher zuvor. Warum sind Sie so viel näher an sich selbst herangetreten?
Die Arbeit an dem Buch wurde von meiner schweren Coronaerkrankung unterbrochen, ich lag für sieben Wochen an diverse Maschinen angeschlossen im Koma. Es wäre intellektuell nicht redlich, danach ein Buch über Mensch-Technik-Beziehungen zu schreiben, ohne zuzugeben, dass man sein Überleben nur der Technik zu verdanken hat, und ohne darüber nachzudenken, was es mit einem macht, wenn man einige Zeit als Cyborg gelebt hat. So bin ich in den Roman hineingeraten, und weil ich schon mal drin war, habe ich die Gelegenheit ergriffen, schreibend auch über ein paar andere Aspekte meines Lebens nachzudenken.
Wen wünschen Sie sich insgeheim als Leser:in?
Ich denke eigentlich beim Schreiben nie an die Leser:innen. Aber jetzt, wo aus dem Manuskript ein Buch geworden ist, wünsche ich mir natürlich solche, die neugierig genug sind, mir auf seiner Reise zu folgen und denen meine Sprache Vergnügen bereitet.