Vom Krematorium zum Kulturquartier

Veranstaltungsort Das 2013 gegründete Kulturquartier versteht sich als geschützter Raum, in dem gedacht, geforscht und experimentiert werden kann: Grenzen einzelner künstlerischer Disziplinen sollen verschoben werden, um sie zu neuen, hybriden Formen zu verknüpfen
Das silent green Kulturquartier hat in den historischen Räumlichkeiten des ehemaligen Krematoriums Wedding eine einzigartige Heimat gefunden
Das silent green Kulturquartier hat in den historischen Räumlichkeiten des ehemaligen Krematoriums Wedding eine einzigartige Heimat gefunden

Foto: Diego Castro

Das ehemalige Krematorium Wedding gehört zu den denkmalgeschützten Gebäuden in Berlin. Zwischen 1909 und 1910 als erstes Krematorium der Stadt und insgesamt drittes in Preußen erbaut, zeugt es vom kulturhistorischen Wandel, der mit der Einführung der Feuerbestattung als alternativer Beisetzungsform in Deutschland einherging.

Krematorien wurden im Zuge freidenkerischer Bewegungen zum Ende des 19. Jahrhunderts in ganz Deutschland errichtet. Neben der Einführung von Zivilehe und konfessionsloser Schulbildung gehörte die Etablierung der Einäscherung als rechtmäßige Begräbnisform neben der christlich tradierten Erdbestattung zu den erklärten Zielen der Freidenker. Gegen massive kirchliche Widerstände – die katholische Kirche räumte ihren Mitgliedern erst 1964 offiziell die Option der Feuerbestattung ein – wurde die erste Einäscherung 1878 im als liberal geltenden Herzogtum Sachsen-Coburg und Gotha durchgeführt und setzte sich danach als Ausdruck von Fortschritt, Säkularisierung, Umwelt- und Hygienebewusstsein zunehmend im gesamten Kaiserreich durch.

Das Gelände des Weddinger Krematoriums wurde 1828 als erster kommunaler Friedhof angelegt und als solcher bis 1879 genutzt. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts erbat sich der Berliner Verein für Feuerbestattung die Erlaubnis, auf dem inzwischen still gelegten Friedhof eine Urnenhalle mit angrenzendem Urnenhain zu errichten, die 1908 erteilt wurde. Noch bevor Feuerbestattung in Preußen gesetzlich legitimiert wurde, begann im Jahr 1909 der Bau der Urnenhalle unter dem Architekten William Müller, der eine potentielle Erweiterung zum Krematorium bereits in seine Baupläne integrierte. Nachdem 1911 die gesetzliche Grundlage für Feuerbestattungen in Preußen erfolgte, konnte das Fundament schließlich um zwei Brennöfen ergänzt werden. 1912 nahm das Krematorium den Betrieb auf und ging mit der feierlichen Eröffnung zugleich in städtischen Besitz über, ebenso wie der angegliederte Urnenhain.

Das Herzstück des Gebäudekomplexes ist die 17m hohe Trauerhalle mit ihrem achteckigem Grundriss und dem pyramidenförmigen Mansardendach. In die angrenzende Flügelanlage, die den ebenfalls achteckigen Innenhof umschließt, sind, ebenso wie auch auf zwei Ebenen rings um das Innere der Trauerhalle, Kolumbarien eingelassen. Obwohl das Gebäude in seiner Architektur frühchristliche und sakrale Elemente aufweist, finden sich infolge der Abgrenzung zu kirchlichen Praktiken insgesamt nur wenig religiöse Motive in der Gestaltung des Krematoriums; in den Terrazzo-Boden der Urnenhalle ist an zentraler Stelle eine Transformation symbolisierende Schlange eingelassen, das Portal zum Innenhof des Gebäudes wird von steinernen Greifen gerahmt, in die schmiedeeisernen Tore zum Gelände des Krematoriums sind Flammenschalen eingearbeitet. Bewusst vieldeutig ist die Gestaltung der Frauenfigur über dem Eingang zur Trauerhalle, die zwischen antiker Gottheit, Marienfigur und Tempeldienerin angelegt ist.

Nachdem das Krematorium zwischen 1993 und 1996 noch um eine unterirdische Leichenhalle vergrößert wurde und im Anschluss daran die Ofen- und Filteranlagen komplett erneuert wurden, ließ die Stadt es Ende 2002 schließen. Die Kremation in Berlin verstorbener Personen wurde danach von den Krematorien am Baumschulenweg und in Ruhleben übernommen. Vom Urnenfriedhof getrennt, wurde das Krematorium zum Verkauf ausgeschrieben. Das Konzept des silent green Kulturquartiers erhielt den Zuschlag. Im Jahr 2013 begannen die Umbau- und Renovierungsarbeiten: Die grundlegende Architektur blieb dabei im Sinne des Denkmalschutzes erhalten, ergänzt um wesentliche innenarchitektonische Änderungen, die helle und offene Strukturen in den Räumen schaffen, sie aus den alten Funktionen lösen und neue Nutzungen ermöglichen sollten. 2014 zogen die ersten Mieter im sanierten Gebäude ein, und noch im gleichen Jahr fanden die ersten Veranstaltungen im silent green statt.

15.09.2022, 10:19

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