Horizons – Horizonte

Fokus Das B3 Festival des bewegten Bildes 2023 zeigt in diesem Jahr Werke, die unterschiedliche Aspekte der Metapher des Horizonts aufnehmen und einen eigenen Blick auf die Gegenwart des Bewegtbildes und Storytellings eröffnen. Seien Sie gespannt!
Der Horizont: Viel mehr als eine bloße Linie
Der Horizont: Viel mehr als eine bloße Linie

Foto: Matt Knighton/Abu Dhabi Ocean Racing/Volvo Ocean Race via Getty Images

In der Kunst wird der Horizont häufig als einfache Linie dargestellt, die den Himmel von der Erde trennt. Diese Linie kann als Grenze angesehen werden, die den Betrachter einlädt, darüber hinaus zu denken und sich vorzustellen, was jenseits dieser Grenze liegt. Der Horizont fordert unsere Neugier auf neue Erfahrungen, die uns jenseits des Horizonts erwarten. Er repräsentiert gleichzeitig eine Hoffnung, eine Grenze, einen Übergang und eine Warnung vor dem Unbekannten.

Der Horizont als metaphorische Markierung zwischen dem Bekannten und dem Unbekannten, zwischen dem Möglichen und dem Potenziell-Möglichen, spielt seit Jahrhunderten eine zentrale Rolle in so verschiedenen Disziplinen wie Philosophie, Psychologie, Soziologie, Literatur, Kunst, Film und auch der zeitgenössischen Videokunst. In der Philosophie wird der Horizont als metaphorische Markierung der Grenzen unseres Wissens und Verstehens verstanden, bedingt und begrenzt durch die jeweiligen kulturellen und historischen Kontexte. Psycholog:innen haben hinter dem subjektiven Sinnhorizont jedes Einzelnen einen neuen Raum für persönliches Wachstum, Selbstverwirklichung, Transzendenz und die Entwicklung individueller Potenziale identifiziert. Soziolog:innen und Politolog:innen erkennen jenseits des gegenwärtigen Horizonts sozialer und kollektiver Strukturen und Systeme immer auch die Freiheit, sich die Zukunft unserer Gesellschaft aktiv handelnd und gestaltend anzueignen. Das digitale Zeitalter des Anthropozäns hat die Horizonte unseres Wissens, Verständnisses und unserer Erfahrungen sowie die Art und Weise, wie wir miteinander und mit unserer Umwelt interagieren, erheblich verändert und erweitert. Aktuelle globale Herausforderungen, wie Klimawandel, soziale Ungleichheit und politische Konflikte erinnern uns daran, dass der Horizont nicht nur ein Raum für spannende Erkundung und Entdeckung ist, sondern auch als eine Grenze gesehen werden kann, die wir ethisch verantwortungsvoll überwinden müssen, um konstruktive Lösungen für drängende Probleme unserer Zukunft zu finden.

Als wirkungsvolles Symbol für kreatives Denken entfaltet die Metapher des Horizonts vielfältige künstlerische Räume der Gegenwartsbeschreibung. In der Literatur, Kunst und im Film hat der Horizont stets als Symbol für die Suche nach neuen Erfahrungen, die Untersuchung der menschlichen Existenzbedingungen oder die Erkundung der Grenzen menschlichen Wissens und Verstehens gedient.

Schriftsteller:innen wie Herman Melville oder Virginia Woolf nutzten die Metapher, um ihre Sehnsucht nach Freiheit, Abenteuer und existenzieller Selbsterforschung zu veranschaulichen, während Maler:innen wie Caspar David Friedrich oder Mark Rothko den Horizont als ästhetisches Element und Mittel zur Darstellung von Emotionen, Stimmungen und räumlichen Beziehungen einsetzten.

In Filmen wie Andrei Tarkowskis "Solaris" oder Christopher Nolans "Interstellar" wird der Horizont als Grenze verwendet, die Protagonisten trotz verschiedener Gefahren und Ängste überwinden müssen, um Antworten auf existenzielle Fragen zu finden oder sich ihrer Vergangenheit und inneren Konflikte zu stellen. Im Film wird die Wahl des im Bild gesetzten Horizonts auch bewusst als gestalterisches Stilmittel innerhalb der Erzählstruktur eingesetzt. Meisterhaft wurde der Horizont als Bildgestalter immer wieder in Szene gesetzt von Regisseur:innen wie Jane Campion, John Ford, Stephen Spielberg, oder Wim Wenders.

Zeitgenössische Videokunst nutzt den Horizont als mehrdimensionale, ambivalente Metapher, die eine differenzierte Betrachtung menschlicher Erfahrungen, gesellschaftlicher Fragestellungen und ästhetischer Herausforderungen ermöglicht. Videokünstler:innen wie Bill Viola, Pipilotti Rist und Marina Abramović bedienen sich des Horizonts als metaphorisches Bindeglied zwischen Realität und Fiktion, um damit sowohl die Möglichkeiten der menschlichen Existenz als auch die Auseinandersetzung mit sozialen und politischen Themen künstlerisch zu erkunden.

Interaktive Videoinstallationen, wie sie von Künstler:innen wie Rafael Lozano-Hemmer oder Olafur Eliasson geschaffen wurden, erweitern das Konzept des Horizonts um eine Dimension der Virtualität und Interaktion. Die Bedeutung von Teilhabe und Interaktion in der digitalen Welt gerät dabei ins Blickfeld der Videokunst. Diese künstlerischen Ansätze reflektieren nicht nur die zunehmende Verschmelzung physischer und digitaler Realitäten und deren jeweiligen Verständnishorizonte, sondern legen auch die zugrunde liegenden Machtstrukturen und sozialen Implikationen offen, die mit dieser Verschmelzung verbunden sind.

Die aktuelle digitale Kunst entwirft darüber hinaus inklusivere und vielfältigere Narrative, die die gegenwärtigen Herausforderungen menschlicher Erfahrungen einbeziehen und damit die Notwendigkeit einer permanenten Horizontverschiebung reflektieren. Die Verwendung von CGI, VR und AR im Bereich des digitalen Bewegtbilds schafft hyperrealistische und interaktive Umgebungen, die die Grenzen zwischen Realität und Fiktion zunehmend verwischen. Die Verwendung von KI in der bewegten Bildkunst wirft aktuell sehr grundlegende Fragen zur Natur von Kreativität, Autorenschaft und menschlicher Handlungsfähigkeit auf, die für die Kunst und das Storytelling produktiv gemacht werden können.

29.09.2023, 16:33

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