Als Ulja Funk mir zum ersten Mal über den Weg lief, wusste ich noch nicht mal, dass ich Filme machen will. Das ist also schon ein paar Jahre her und das Mädchen damals hieß nicht Ulja, sie sah aber genauso aus. Ihr altbackener Rock, die schlichte Bluse, der biedere Anorak und die brave Frisur verrieten mir ihre Zugehörigkeit zur russlanddeutschen freikirchlichen Community, die mir durch Verwandte meiner russlanddeutschen Schwägerin schon zum damaligen Zeitpunkt nicht unbekannt war. Mich faszinierte, dass dieses Mädchen in ihrer beabsichtigten Unauffälligkeit ganz und gar auffällig war. Sie stach heraus unter Gleichaltrigen. Sie passte dort einfach nicht hin. Das erinnerte mich an ein bestimmtes Gefühl aus meiner Kindheit und Jugend, das sich am besten mit einem englischen Ausdruck beschreiben lässt: Not attached to the world. Das trifft wohl auch auf Ulja zu, die sich im Weltall wohler fühlt als hier unten auf der Erde. Dort glaubt sie, ihren Platz gefunden zu haben, hier gehört sie hin.
Wohin wir gehen, hängt aber auch immer damit zusammen, woher wir eigentlich kommen, und deswegen ist „Mission Ulja Funk“ nicht nur ein Film über den Konflikt zwischen Wissenschaft und Religion, sondern vielmehr ein Film über Familie und Freundschaft und darüber, dass man zueinander gehören kann, auch wenn der andere ganz anders ist als man selbst und scheinbar von einem anderen Stern kommt. So ist es doch schließlich auch in der Liebe und Freundschaft ist ja nichts anderes als das. Der Held meiner Kindheit hat mal gesagt: ‚In der Liebe und beim Käseraten ist alles erlaubt!‘ Leider hat er da eine Kleinigkeit vergessen, eigentlich müsste es nämlich heißen: ‚In der Liebe, beim Käseraten und im Kino ist alles erlaubt!‘ Und deshalb ist das Kino der Richtige Ort für einen Film wie „Mission Ulja Funk“— wo sonst können Bilder die Faszination für das Weltall und das Abenteuer eines Roadmovies besser transportieren? Wo sonst gibt es Platz für Skurrilitäten, laute genauso wie leise Töne, kleine Wunder und die winzigen Details des menschlichen Seins, des Mit-und Gegeneinanders? Das Thema des Films findet seinen Ursprung in den Figuren, die in ihrer Schrägheit leicht überzeichnet sind — Papa Evgenji will der Familie ein Nest bauen, Mama Irina flüchtet sich in Arbeit, Uljas Brüder schlüpfen ständig in andere Rollen, Henk sucht Halt und Oma Olga ist zwar wie Ulja der Meinung, dass der Platz des
Menschen irgendwo da oben im Himmel ist, aber eben nicht bei den Sternen, sondern bei Gott. Die Figuren handeln stets aus einer gewissen Lakonie und einem Pragmatismus heraus, was eine rationale und ernste Erzählweise ermöglicht und trotzdem viel Platz für Komik lässt. Dabei liegt allem und allen eine Wahrhaftigkeit zugrunde. Das alles immer im Sinne der Thematik der Geschichte — sich der Andersartigkeit des Anderen zu öffnen, um den eigenen Platz zu finden. Dabei dürfen Gott und Religion meiner Meinung nach nicht fehlen, denn vermutlich gibt es nichts, was Menschen einander näher bringen oder weiter voneinander entfernen kann. Ich selbst bin in einer katholischen Familie aufgewachsen und kenne daher die Konflikte, die Religion innerhalb der Familie auslösen kann aus erster Hand. So schließt sich dann auch der Kreis zwischen Ulja Funk, mir und dem Mädchen, das vor Jahren den Grundstein zu dieser Geschichte gelegt hat.
P.S.: Der Held meiner Kindheit heißt ALF.
– Barbara Kronenberg