„Wie weit sind wir mittlerweile von Stillers Männer- und Frauenbild entfernt – und wie sehr prägen und beeinflussen uns diese tief eingelagerten Identifikationsmuster heute noch?“
Auch nach knapp 70 Jahren sind die Themen, die in Max Frischs Roman „Stiller“ (1954) behandelt werden hochaktuell. Unsere Unfähigkeit zur Liebe, unsere Suche nach Identität, unser Gefangensein in gefestigten Vorstellungen und Bildern unseres Gegenübers, von uns selbst, unsere Fragen nach „lebbaren“ Beziehungen, nach unserer Liebesfähigkeit, das Gefangensein in narzisstischer Ich-Bezogenheit, genauso wie die Sehnsucht, diese überwinden zu können: das sind zeitlose Themen, die im Roman auf eine solch packende Art und Weise aufgegriffen werden, dass es sehr spannend ist, sie in neu adaptierter Form auf die große Leinwand zu bringen. Im Landesmuseum Zürich war vor einigen Jahren eine vielbeachtete Ausstellung zu sehen: „Der erschöpfte Mann“. Dort war zu lesen: „Im Laufe der Geschichte haben Männer zahlreiche heroische Ideale für sich geschaffen: strahlende Sieger, selbstherrliche Schöpfer, Abbilder Gottes. Doch jedes Ideal entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als Überforderung, an der der Mann schließlich zerbricht.“ Genau daran leidet unser Stiller.
Vor dem Hintergrund der heute breit diskutierten Genderthematik und in einer Zeit, in der Männlichkeit in einer Krise steckt und zu Recht hinterfragt wird, gibt es somit Gründe genug, die Geschichte eines Mannes zu erzählen, der mit seiner männlichen Identität hadert, der sein eigenes Bild von Männlichkeit hinterfragen muss und auf radikale Weise nach einem neuen sucht. In unserer filmischen Adaption geht es aber nicht nur um die Männer, auch die Frauenfiguren wurden gestärkt und ihre Geschichten gleichermaßen hervorgehoben. Letztlich ist Stiller eine Liebesgeschichte. Nicht romantisch, im Sinne von: „Am Ende kriegen sie sich, und sind glücklich“. Nein, es geht um die Fragen: Wie geht das eigentlich: Liebe? Welche Sehnsüchte sind da im Spiel? Welche Besitzansprüche? Welche fixen Bilder, von uns selbst, vom Mannsein, vom Frausein? Welche Ängste? Und wie sehr kann es gelingen, sich neu zu erfinden, nochmals zu beginnen, alleine – und auch gemeinsam?
– Stefan Haupt, Regisseur von Stiller