In "Die Hütte - ein Wochenende mit Gott" kümmert sich William Paul Young fiktional um das Theodizee-Problem. Verkaufen sich Glaubensbücher nur noch mit Betroffenheitskitsch?
Die Hütte – ein Wochenende mit Gott von William Paul Young.
Seitenzahl: 248 Seiten
Amazon-Verkaufsrang: 21
Warum habe ich es gelesen?
Ein amerikanischer Freund sagte mir: „This book changed my life“. Das sagen Amerikaner schnell. Klar. Andererseits: Der Mann ist gläubig und cool. Eine erstrebenswerte Kombination, die man selten sieht. Zudem: Das Buch kam vor einem Jahr raus und hat sich 7,5 Millionen Mal verkauft. 11 Monate lag es auf Platz 1 der New York Times-Bestsellerliste. Aktuell Platz 5 der Spiegel-Bestseller. Ich wurde neugierig.
Worum geht es?
Um das Theodizee-Problem. Also um die eine, große Frage des Glaubens: Wie kann es einen Gott geben, wenn es soviel Leid auf der Welt gibt? Die Frage ist eingewoben in einen Stephe
blem. Also um die eine, große Frage des Glaubens: Wie kann es einen Gott geben, wenn es soviel Leid auf der Welt gibt? Die Frage ist eingewoben in einen Stephen-King-artigen Schocker-Plot: Die siebenjährige Tochter einer gläubigen Familie wird von einem Kinderschänder entführt und in einer abgelegenen Hütte bestialisch ermordet. Die grausame Ungewissheit, die Entdeckung des furchtbaren Verbrechens, die zerstörerischen Selbstvorwürfe des Vaters, der zum Zeitpunkt der Entführung allein mit den Kindern war – all das wird rücksichtslos genau beschrieben. Die Wut und die bodenlose Traurigkeit zerfressen ihn. Die Familie zerfällt. Der Mann verliert – eigentlich logisch – den Glauben an Gott. Es beginnt etwas, das er „die große Traurigkeit“ nennt; den Versuch weiterzuleben, obwohl das Leben nicht mehr lebenswert scheint.Vier Jahre nach dem Mord erhält der Mann, er heißt Mack, eine Nachricht. Mack befindet sich zu diesem Zeitpunkt in einer Phase, die wohl jeder kennt, der je ernsthaft getrauert hat: Es ist jene Phase, in der keiner mehr und am allerwenigsten man selbst von der Trauer etwas wissen will, sie aber unverwüstlich wie ein Ölfleck auf einem weißen Hemd zurückbleibt. In dieser Phase also erhält der Mann eine Botschaft: „Ich habe dich vermisst, komm und besuche mich in der Hütte. Papa“. Ist es ein bösartiger Streich? Ist es sein verhasster, verstorbener Vater? Ist es Gott? (Seine Frau nennt Gott „Papa“). Oder ist es der Mörder, der ihn aus irgendeinem perversen Grund heimsuchen will? Das sind die ersten, starken 80 Seiten des Buches.In der Hütte trifft Mack dann nicht auf den Mörder, sondern auf einen unendlich liebenden Gott (eine schwarze Frau), auf Jesus (ein Typ in Jeans) und auf den Heiligen Geist (eine asiatische Frau). Mit der Dreifaltigkeit hat er eine Art Therapiewochenende. Und der Autor dreht ein ganz großes Rad: Wie kann es Gott geben, wenn er Mord zulässt? Wie kann man an Gott glauben, wenn er sich nie zeigt? Was spricht gegen Selbstmord? Gibt es Liebe ohne Macht? Im Laufe der Gespräche verzeiht Mack zuerst Gott, dann sich selbst, dann seiner Tochter (warum?) und am Ende dem Mörder. Zurück in der wirklichen Welt erkennt er, dass man mit jedem Schmerz, wie groß und untragbar er auch scheinen mag, leben kann. Weil wir nie alleine sind. Schön.Was bleibt hängen?Ich bin möchtegerngläubig. Ich stelle mir vor, dass es einen liebenden Gott gibt, dass es mehr gibt als das, was wir sehen und dass wir nicht einsam sind, wenn wir alleine sind. Ich stelle mir nicht vor, dass das alles wahr ist, es würde mir halt gefallen. Dabei tue ich mich weniger schwer mit der Vorstellung, dass man in einer Hütte ein Zwiegespräch mit Gott führen kann, als mit den Inhalten, die dieser dann vermittelt: Ich halte Selbstlosigkeit für eine überschätzte Tugend und Vergebung und Toleranz für merkwürdige Konstrukte, die nur aus einer Position der Überlegenheit heraus funktionieren. Das war nicht immer so: Es gab Zeiten, in denen ich glaubte, gläubig zu sein. In denen ich auf Knien Gott anrief und in mehrtägiger Stille meiner inneren Stimme lauschte. Ich fürchte heute, er hat mich nicht, und ich habe sie nicht gehört, weil es sie beide gar nicht gibt.Aber warum rede ich von mir? Weil es heißt, dieses Buch würde niemanden kaltlassen. Und das stimmt. Das Buch berührt. Es berührt, weil Young in Die Hütte einen kongenialen Trick benutzt, um selbst Möchtegerngläubige zur Besinnung zu bringen: Er skizziert den denkbar schlimmsten Fall, den Tod des eigenen Kindes. Und wenn das eigene Kind stirbt, werden Gläubige an der Existenz ihres Gottes zweifeln und Ungläubige sich irgendwann an einen Gott wenden. Beide also werden sich also mit ihrem Glauben beschäftigen. Und genau darum geht es William Paul Young.Das Interessante: Offensichtlich kann man die Menschen in einer komplett durch-individualisierten Welt nur noch mit Gott locken, wenn man ihnen einen privaten Kontakt mit ihm anbietet. Allgemeine christliche Werte wie Gemeinschaft, Nächstenliebe oder Solidarität funktionieren nicht mehr, oder hätte sich das Buch auch verkauft, wenn der Autor gefragt hätte: „Gott, warum lässt du halb Afrika verhungern?“ Es gibt vermutlich tausende Gründe, den Glauben an Gott zu verlieren. Bemerkenswert ist aber, dass im 21. Jahrhundert die spannende Theodizee-Frage anhand von persönlichem Betroffenheits-Gesülze abgehandelt werden muss, um Bücher damit zu verkaufen.Wie liest es sich?In den Dialogen viel Religionskitsch, der zum Querlesen einlädt. Im Aufbau aber: Stephen King.Das beste Zitat?Eine Beschreibung der Depression, in die Mack nach dem Tod seiner Tochter verfällt: "Er aß, arbeitete, liebte und träumte in einem Gewand, das wie ein Bademantel aus Blei an ihm zerrte.“Wer sollte es lesen? Gläubige und Nichtgläubige. Möchtegern-Gläubige eher nicht.Was lese ich als nächstes?Dig This von Terry Southern.