Viele Paare brechen nach der Geburt des ersten Kindes auseinander. In England ist daher eine Debatte darüber entbrannt, wer mehr gefördert werden soll: Eltern oder Kind?
In den Wochen nach der Geburt ihres ersten Kindes waren Rachel und Richard Savage überfordert, erschöpft, verzweifelt. Sie stritten, die Beziehung litt. "Ich weiß heute nicht einmal mehr genau, worüber wir gestritten haben", sagt Rachel. "Ich weiß nur, dass ich unausstehlich sein kann, wenn ich müde bin.“. Richard kann sich erinnern, wie sie darüber stritten, wer aufstehen soll, um das Baby zu füttern und sich gegenseitig Schuldzuweisungen machten, wer welche Kleinigkeiten im Haushalt vergessen hat.
Eine Woche vor der Geburt ihres Sohnes hatte Rachel im südenglischen Bristol ein einstündiges Beziehungstraining absolviert: Let's Stick Together. Sie ist überzeugt: Das hat ihr geholfen, Schlimmeres zu vermeiden: „Man sagte uns
#8222;Man sagte uns, es würde erst einmal holprig werden, wenn das Kind da ist", berichtet Rachel. "Das einfach nur zur Kenntnis zu nehmen, war schon eine große Hilfe. Ich habe mir dadurch keine Sorgen um meine Ehe gemacht.“Im vergangenen Jahr hat ungefähr ein Drittel aller Erstgebärenden (ca. 900 Frauen) in Bristol einen solchen Kurs besucht, berichtet der anbietende Wohlfahrtverband. David Willetts, familienpolitischer Sprecher im Schattenkabinett der konservativen Tories, begrüßte die Maßnahme. Er würde das Modell gerne weiter ausdehnen. Die Konservativen werfen den britischen Sozialdemokraten vor, bei ihrer Familienpolitik zu ausschließlich auf das Wohl der Kinder zu achten und dabei die Familie vernachlässigen. In einem Positionspapier mit dem Titel Making Britain more Family Friendy argumentieren die Tories, die Zuneigung der Eltern sei für die Lebens-Chancen eines Kindes ebenso wichtig wie deren materielle Situation. Die Konservativen betonen hingegen, sich für „starke und sichere Familien“ einzusetzen.Im Vorfeld entschärfenIm Zentrum der Familienpolitik der Tories steht die Institution der Ehe. Sie soll durch Steuervergünstigungen in bislang unbekannter Höhe unterstützt und gefördert werden, zur Senkung der Scheidungsrate. Die Konservativen wollen die Aufmerksamkeit darauf richten, wie Staat und gemeinnützige Organisationen dazu beitragen könnten, dass nicht mehr so viele Familien auseinanderbrechen.Da kommt der Let's Stick Together-Beratungskurs mit seinem präventiven Ansatz gerade richtig. Er will nicht erst beraten, wenn die Beziehung in der Krise ist, sondern schon im Vorfeld entschärfen. Auch wenn man nichts gegen allein erziehende Mütter habe, gehen die Organisatoren der Kurse doch davon aus, dass „Eltern und Kinder für gewöhnlich am besten klarkommen, wenn der Vater sich aktiv beteiligt“, heißt es in einer Broschüre. „Ein Neugeborenes bedeutet oft schlaflose Nächte, Erschöpfung und Überforderung. Nur allzu leicht werden Eltern da wütend, machen sich gegenseitig Vorwürfe und entwickeln negative Gefühle füreinander.“Zukünftigen Eltern wird deshalb in dem Kurs beigebracht, dass schlechte Angewohnheiten zum Bruch einer Beziehung führen können. Vier negative Verhaltensweisen werden herausgestellt, die besonders geeignet seien, „den Saat der Zerstörung“ zu säen: 1. Den anderen in den Schatten stellen wollen 2. Immer das Schlimmste anzunehmen und zu unterstellen, andere wollten einem etwas Böses 3. Konflikten aus dem Weg zu gehen 4. Spöttische Bemerkungen.In dem Kurs wird einem auch kurz erläutert, welche Möglichkeiten es gibt, dem Partner seine Zuneigung zu zeigen: Zeit, Worte, Geschenke, Taten oder Berührungen. Paare müssen verstehen, wie der andere geliebt werden möchte, sonst kann es zu Missverständnissen kommen.Beziehungsberater Harry Benson, der den einstündigen Kurs entwickelt hat, ist sich im Klaren darüber, dass es sich bei seinen Lehrsätzen nicht um höhere Mathematik handelt. Mit einem einstündigen Kurs könne man nun einmal nicht die Welt verändern. Die Konzepte seien jedoch sehr leicht verständlich und gut zu merken. Auch wenn der Kurs noch nicht wissenschaftlich ausgewertet wurde, äußert Katherine Rake vom staatlich geförderten Family and Parenting Institute die Ansicht, Beziehungsberatung könne Bindungsfähigkeit und den Zusammenhalt von Paaren stärken: „Wenn die Regierung aber ernsthaft in derartige Programme investieren soll, bedarf es eines Pilotprogramms", meint Rake. "Dessen Ergebnisse müssten dann mit denen einer Kontrollgruppe verglichen werden, die keine Beratung erhält. Nur so lässt sich herausfinden, ob der Kurs einen Einfluss darauf hat, ob ein Paar zusammenbleibt oder nicht.“Auch die Labour Party stellte in der vergangenen Woche ein Papier zur Familienpolitik vor. Darin ist ebenfalls von starken Familien und der Unterstützung von Beziehungen die Rede. Kinder-, Schul- und Familienminister Ed Balls hob bei der Vorstellung des Papiers zwar die Bedeutung der Ehe hervor, fügte aber hinzu, es bleibe natürlich jedem selbst überlassen, ob er heiraten wolle oder nicht. Dies sei die persönliche Entscheidung erwachsener Menschen, in die der Staat sich nicht einzumischen habe. Die Regierung wolle alle Familien unterstützen, ohne sich zu stark in deren Familienleben einzumischen.