Die Ungeliebte

Baukultur Ob wir Architekten süchtig sind? Angefixt schon als Student, die ersten Beiträge zu Wettbewerben eingesandt...

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Das Wort „Sucht“....ist nicht verwandt mit „suchen“. Es geht auf „siechen“ ...... zurück, das Leiden an einer Krankheit, erklärt Wikipedia.

Ob wir Architekten süchtig sind? Freund und Fachgenosse H. spricht mich an im Frühjahr 200?: Ich habe jetzt die Unterlagen für den Wettbewerb....Willst Du mitmachen? Sollen wir uns treffen, zum Brainstorming für den Entwurf?

Als junger Architekt hat H. vor über zehn Jahren mit drei Freunden den Wettbewerb für die Dresdner Waldschlösschenbrücke gewonnen. Ein junges Büro hat selten die Gelegenheit zu einem so fulminanten Einstieg: Wir alle haben gehofft, dass unsere Gefährten aus Studentenzeiten nach dem Wettbewerbserfolg auch den Planungsauftrag erhalten. Der zweite Preisträger war ein schlechter Verlierer: Seit der Wende haben wir alle Brücke über die Elbe gebaut... es wurde gebaggert und intrigiert. Um die Stadt Dresden zu überzeugen, mussten die vier Freunde mindestens zehn Computer-Arbeitsplätze nachweisen, dafür ganz schnell neue Räumlichkeiten beziehen... sie wähnten sich endlich in der warmen Sonne der gesellschaftlichen Zustimmung wie wohl jeder, der eine größere öffentliche Aufgabe angetragen bekommt.

Architekturwettbewerbe sind eine aufreibende Liebhaberei, anstrengend und teuer wie das Segeln... stell Dich im Ölzeug unter die kalte Dusche und zerreiß Geldscheine... nein, die Arbeit der Teilnehmer wird in der Regel nicht bezahlt, nur die glücklichen Preisträger können ihren Aufwand durch die Preisgelder ganz oder teilweise ausgleichen. Für die übrigen bleibt die Ehre - und ein virtueller Eintrag im Großen Archiv der verdämmernden Visionen.

Ob wir Architekten süchtig sind? Angefixt schon als Student, die ersten Beiträge zu Wettbewerben eingesandt, kurz vor Mitternacht trifft man sich zur Schlange vor dem Postschalter im Westberliner Bahnhof Zoo, um noch den richtigen Poststempel zu ergattern. Schlaflos die Nächte und rastlos die Tage davor, Anspannung und Konzentration, jede Nervenfaser arbeitet an der Aufgabe, jede Minute zählt, jeder Einfall, jede Lösung, Skizzenpapier füllst Du und verwirfst, entwirfst neu, ist der Kühlschrank noch voll, reicht das Geld für Papier und teure Kopien, Du spürst keine Müdigkeit, die Flamme leuchtet strahlend, trägt Dich kraftvoll.

Mit Freund H. habe ich das erste Mal kurz nach dem Studium gearbeitet, unser Beitrag WurzelKinderKita schafft es nicht weit in den Entscheidungsrunden der Jury......gelegentlich wiederholen wir den wettbewerblichen Paarungsversuch.....

Jetzt liegt das Programm zum Wettbewerb Wiedererrichtung Berliner Schloss / Bau des Humboldt-Forums Berlin auf seinem Tisch, ein mächtiges Skript, Freund H. ist zugelassen für die erste Runde.

Grundsätzlich sind wir uns einig, der geplante Wiederaufbau ist eine trostlose Verirrung...... aber das Preisgeld lockt: In der zweiten Runde ist einBearbeitungshonorar für jeden Teilnehmer vorgesehen..... Wir werfen ein paar Phantasien durch die Luft: ...einfach nur die zerschossene Sandsteinkulisse aufstellen, ruinös zernagt wie auf den letzten Fotos vor der Sprengung..... aber nicht als Fassade, sondern Umfassung für einen geheimnisvoll labyrinthischen Park im schrundig patinierten Schloss-Korsett......

Die Leidensgeschichte der Dresdner Waldschlösschenbrücke will ich hier nicht wiederholen. So viele Prozesse, so viele Klagen, nicht nur Günter Grass hat dagegen demonstriert, inzwischen wird das Bauwerk bereits in der örtlichen Folklore zitiert..... Ein Architekt überlebt ein derartiges Desaster nur, wenn er sich als Autor verabschiedet, solange jeder im Projekt mitreden will, oder aber er gibt die wütende Furie, die ihr Junges bis zum letzten Blutstropfen verteidigt....

Lieber Freund, möchte ich ihn trösten, auch wenn sie Dich beschimpfen, die Dir einst einen Siegerkranz flochten, wenn sie Deinen Entwurf schmähen, die sich Kollegen nennen, wenn sie uns Kulturschänder nennen, weil sie Veränderung fürchten, versteh’ ich Dich, weil ich doch weiß, woran Du leidest, wir haben die gleiche Krankheit.... aber weil Architekten so nicht reden, sage ich etwas anders:

Nein, mein Freund, beim Wettbewerb zum Wiederaufbau des Berliner Schlosses werde ich nicht mitmachen: wir wissen beide, dass wir mit einer guten Idee nicht gewinnen können, die Aufgabenstellung ist zu eng gestrickt, sieh Dir den dicken Skript mit den vielen Vorgaben an, da haben lauter Stallbewohner mitgeschrieben.... Die wissen doch ganz genau, was sie haben wollen!

Lieber Auslober, möchte ich rufen, das Wettbewerbswesen beruht auf dem Prinzip der Freiwilligkeit und soll der Meinungsvielfalt dienen. Wer eine Lösung weiß, bringe sie vor die Jury: Taugt der Ansatz, belohnt die kluge Jury durch einen Sonderankauf. Nur Idioten sind ihrer Sache ganz sicher.... aber weil Architekten so nicht reden, sage ich etwas anders:

In der ersten Runde werden sie alle Arbeiten rauswerfen, die nicht in das Raster passen. Mit diesem Programm findet man einen Architekten, der so schwach ist, dass man ihm hinterher alles reindrücken kann. Gewinnen wird, wer am wenigsten Fehler in der Rekonstruktion macht. Die den Wettbewerb ausgeschrieben haben, werden den Sieger später bis auf die Knochen blamieren. Sie werden ihm jeden Strich vorschreiben, und sie werden ihm andere Architekten in den Vertrag schreiben, die seinen Job zu Ende bringen.

Mein liebes Herz, möchte ich flüstern, was meine Flamme all’ die Jahre nährte, war doch die unbändige Freude, der Erste zu sein in meinem Entwurf, auf dem feinen weiß-schimmernden Papier die wundervolle neue Welt zu erfinden, die Welt von morgen, die im ersten Moment nur ganz alleine mir gehört, die ich dann nur zu gerne teilen will mit der Welt von heute, und nur darum gibt es diese Wettbewerbe, nach deren Bildern wir süchtig sind, nur darum türmen wir die ungebauten Entwürfe himmelwärts über jedem Grundstück, weil das unsere Krankheit ist, unsere Sucht, schweig still, mein Herz, schweig still, sag’ nicht, die Flamme sei kalt geworden, ausgebrannt in der Asche, täglich werden neue Gräben gezogen, fragil bangen die Brücken.... aber weil Architekten so nicht reden, sage ich das nicht.


Hier endet der 87. Eintrag: Dieser Blog mischt Fiktion und Realität. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind zufällig und in der historischen Überlieferung nicht verbürgt. Ich bin nur der Navigator, mein Name sei NEMO:

Ich schreibe um unser Leben. Bitte bleib dran.


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Diesen Text widme ich Rainer Kühn,

wegen der Brücken und so

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Geschrieben von

archinaut

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