Im Land des Lächelns

Ostharz: Ein Roman in Fragmenten, hier der Prolog

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Nach Segelflug und Drachengleiten klingt das Wort Volatilität, beatmet wie Ebbe und Flut im Monatspuls den Kontopegel: Zwölf Gehälter zum Ersten, zur Mitte schon die Sozialabgaben, dickbäuchig wie Handelskoggen treiben die fälligen Abschlagszahlungen der Auftraggeber in den Hafen Kontokorrent.

Limit ist ein guter Monatsumsatz: Schuldet die Firma der Bank gegen fünfzigtausend, muss dringend eine Überweisung im System sichtbar sein: Wird in zwei Tagen gutgeschrieben, lautet die gute Nachricht dann wohl.

Ein guter Monat treibt den Pegel aus dem Soll in’s Haben. Ein schwacher Monat bläst das Schiff drei-, vier, sechstausend Schritt näher an das Limit, das liegt noch fern wie ein besonntes Riff in freundlicher Brandung.

Ein schlechter und zwei schwache Monate, dazu einige Sonderausgaben..... machen das Telefon klingeln: Bitte gleichen Sie das Geschäftskonto umgehend aus. Eine Stimme ohne Wenn und Aber. Wie lautet die richtige Antwort? Er sagt: Kann ich Sie besuchen? Am besten gleich morgen? In der Telefonleitung hört er kurz das Rauschen wie die Brandung am Riff, dann gibt die Stimme der Bank einen freien Termin morgen Nachmittag an.

Am Nordostsaum der Harzer Höhenzüge sucht der schwarze Wagen seine Routen über die Landstraßen nach Nordwest, überquert auf dem Weg die liquidierte Staatsgrenze, das Ziel liegt im alten Bundesland. In einem Vorort von Braunschweig, ausgelagert in einem ruhigen Wohnviertel findet er das unauffällige Haus wie beschrieben, klein der Name der Bank am Klingelschild. Die Tür lässt sich öffnen, pünktlich tritt er ein, jemand zeigt ihm den schlichten Besprechungsraum. Das Fenster steht weit auf, kaltfeucht hat der November das Zimmer geflutet.

Er muss auf die Stimme der Bank warten. Nein, er setzt sich nicht. So geht das Spiel. Er muss Geduld beweisen, fünf Minuten, zehn Minuten, zwölf Minuten....... Das Sakko hält zum Glück warm, denkt er noch.

Die Tür öffnet sich knapp eine viertel Stunde nach Termin. Die Stimme der Bank trägt einen grauen Anzug herein, eine Krawatte in blau vor einem weißen Hemd, Manschettenknöpfe, kein Händedruck.

Schön, dass Sie hergefunden haben, nicht jeder findet uns hier, leicht spöttisch das Lächeln, ich bin die Katze, Du die Maus, bedeutet ihm dieser freudlose Frohsinn.

Das Lächeln der Bank schließt zunächst das Fenster, ohne Entschuldigung: Wusste nicht, dass es noch offen ist..... dann setzt sichder graue Anzug und redet einfach weiter:... Ich habe mir gerade die Zahlen angesehen, der Umsatz ist bescheiden angesichts der Mitarbeiterzahl.... Vor drei Jahren lag der Jahresumsatz über achthunderttausend, im letzten Jahr gerade noch bei sechshundert, in den letzten zehn Monaten hat die Firma keine vierhundert erreicht, da ist noch Nachholbedarf bis zum Jahresende! Sie werden das Unternehmen erwerben, hat Herr Dr. Frantz uns informiert......

Ein erstes Gespräch, denkt er, es gibt noch keinen Termin, keine Zahl, warum redet Dr. Frantz schon mit der Bank?

Seit fünf Monaten sind Sie zum Geschäftsführer bestellt, die Monatsumsätze liegen deutlich unter den Zahlen aus dem Vergleichszeitraum des letzten Jahres.....

Verrat mir mal, wer Du bist, denkt er und sieht das Lächeln der Bank fragend an: Pardon...?

Das Lächeln flackert kurz, die Stimme der Bank nimmt etwas Druck aus dem Imperativ, nennt einen Namen, die Abteilung.... Wir sind hier bei der Konzernsanierung, meine Aufgabe ist das Controlling im Frantz-Konzern......

Konzernsanierung klingt nicht gesund, denkt er noch...in den nächsten Sekunden ordnen sich die Bilder der letzten Monate neu, die freundliche Großzügigkeit von Dr. Frantz, das zahnstrahlende Lächeln, die unzähligen Zahlen, der hastige Abschied des früheren Geschäftsführers (angeblich aus Altersgründen), mit schneidender Klarheit schreibt ihm dieser Moment eine neue Rolle in den Lebensplan: Besorg frisches Geld! Dr. Frantz will verkaufen, das ist seine Bedingung. Für einen Rückzug ist es zu spät.

Wir haben den Frantz-Konzern nie verstanden, Entsorgung und Recycling, Kiesgrube, Baustoffhandel, Baufirma, Planungsbüro, Lachsfarm, eine Strategie ist für uns nicht erkennbar... Wir stoßen ab, so schnell wie möglich, sagt die Stimme der Bank: Herr Dr. Frantz hat noch viele Aufgaben zu lösen.

Der Landkreis hat nach der Wende den Kreisbaubetrieb mit zweihundert Mitarbeitern an Dr. Frantz aus dem Westen verkauft, die Kiesgrube, die Baufirma, das Planungsbüro haben später als eigenständige Firmen firmiert, seit acht Jahren sind die Unternehmungen getrennt, aber beherrscht per Vertrag vom gleichen Eigentümer....alle mit Gewinnabführung an die Konzernmutter Frantz&Söhne, das ist uns bekannt, sagt der graue Anzug müde: Ich denke Sie stehen als Unternehmer in den Startlöchern, ich will Ihnen keine Steine in den Weg legen.... Wann ist das Konto wieder im Limit?

Die Gehaltszahlungen sollten am Ersten auf den Konten der Mitarbeiter sein.......... Dann müssen Sie früh genug für Deckung sorgen!

Zwei große Rechungen sind draußen, beide sind längst fällig, die Zahlungen müssen jeden Tag eintreffen......... Das Geld ist noch nicht auf dem Konto!

Die Zahlungsmoral ist nicht mehr so gut, manche Kunden zahlen erst nach vier oder sechs Wochen.......... Sie können gerne Geld aufnehmen, um die Liquidität des Unternehmens zu verbessern! Welche Sicherheiten können Sie einsetzen?

Die Firma hat im Monat vor meinem Eintritt noch ein Darlehen an Frantz&Söhne gegeben........ Von Dr. Frantz können Sie nicht viel erwarten, aber probieren Sie es ruhig!

Wir müssen mehr Aufwand treiben, um die Kunden zufrieden zu stellen, Rechner und Software ersetzen, junge Mitarbeiter dazuholen...... Sie denken nicht über Personalabbau nach? Sie sehen doch die Zahlen!


Ach, sagte die Maus, die Welt wird enger mit jedem Tag. Zuerst war sie so breit, dass ich Angst hatte, ich lief weiter und war glücklich, dass ich endlich rechts und links in der Ferne Mauern sah, aber diese langen Mauern eilen so schnell aufeinander zu, dass ich schon im letzten Zimmer bin, und dort im Winkel steht die Falle, in die ich laufe..... er muss an die kleine Fabel von Franz Kafka denken.

Nein, sie können keine Freunde werden.




Hier endet der 115. Eintrag: Dieser Blog mischt Fiktion und Realität. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind zufällig und in der historischen Überlieferung nicht verbürgt. Ich bin nur der Navigator, mein Name sei NEMO:

Ich schreibe um unser Leben. Bitte bleib dran.


Next

Back

Klick zum Gästebuch

Dieser Blog mischt Fiktion und Realität. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind zufällig und in der historischen Überlieferung nicht verbürgt. Ich bin nur der Navigator, mein Name sei NEMO:

Ich schreibe um unser Leben. Bitte bleib dran.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

archinaut

Ein Blick weitet den Horizont: Dieser Blog zieht um die deutschen Häuser

archinaut

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden