Lied der Peitsche

Werkstatt Arbeit ist kein Vergnügen

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Heiß die Presse, groß wie ein Bett, Hitze wie Herdplatten, stöhnt die Hydraulik und öffnet den glatten Stahl, brennend rollt die Luft, der Geselle stößt die dampfenden Platten mit dem Schieber in meine Richtung, brüllt: Greif zu, Arschloch...Ist es Winter? Ist es Sommer? Jeden Freitag wird die Furnierpresse aufgeheizt, ein Geselle, ein Lehrling, drei Stapel Furnier, Spanplatten für Seiten, für Böden, für Türen, Rühr’ den Leim an! Schlaf’ nicht ein! Der erste Eimer, zweite Eimer, dritte, Konsistenz wie Hafergrütze, Farbe auch: Rühr weiter, bis die Klumpen glatt sind!

Er meint’s nicht ernst, denke ich, beiß’ besser die Zähne zusammen, hast es doch selbst gewählt....

Träum nicht, gieß’ den Leim in die Maschine, stell’ Dich rüber, pass auf, hier kommt die Erste! Durch die beiden Führungsrollen derMaschine wächst mir die erste Platte zu, gleichmäßig verteilt, gelb und glitschig der Leim oben wie unten: Greif zu, wenn Du loslässt, geht sie in’ Arsch! Press die bloßen Handflächen seitlich gegen die Kanten, der Geselle springt um die Maschine, greift auch, wir legen die Platte ab auf dem vorbereiteten Furnier, die passende Furnierlage obendrauf, wisch die Hände ab an der blauen Schürze, greif die nächste Platte bis die Lage voll ist...... Das ist Dein Job, Du bist hier der Lehrling!

Heiß die Presse, groß wie ein Bett, Hitze wie Herdplatten, stöhnt die Hydraulik und öffnet den glatten Stahl, brennend rollt die Luft, der Geselle stößt die dampfenden Platten mit dem Schieber in meine Richtung, brüllt: Greif zu, Arschloch... Greif mit bloßen Händen mir die dampfendheiße Platte, eine, die nächste, vergiß’ den Schmerz, der Leim an den Handflächen brennt, kein Handschuh (würd’ nur mit der Haut verkleben): Raus mit der Scheiße, die Presse darf nicht auskühlen!

Hundert Grad braucht der Heißleim zum Abbinden, Duroplast kommt bei Hitze, hab’ ich gelernt, alle fünf Minuten wird die Presse entladen, mit verklebten, verbrannten Händen greif’ ich die nächste Platte, greif’ in die brechenden Furnierkanten, greif’ in die scharfkantigen Leimnähte am Plattenrand, reiß’ die erhitzte, ausgebackene Platte aus dem Herd, in den Stapel mit Zwischenholz, nächste, nächste, letzte.....

Los jetzt, wo bleibst Du, weiter, weiter! Lass die frischgeleimten Platten fliegen, ordne flink auf dem glühenden Herd, der Geselle fährt die Presse zu, achte jetzt auf Deine Finger.... steht er schon an der sauberen Seite der Leimmaschine?

Grindig wie Echsenhaut sklerotisiert der Leim die Haut meiner Hände ..... nächste Woche ist das wieder weg!

Termin! Termin!

Furnier am Freitag!

Zuschnitt am Montag!

Furnier die Kanten am Dienstag!

Bohren und Schleifen am Mittwoch!

Spritzen am Donnerstag (Lack, farblos)!

Termin zum Aufbau beim Kunden: Freitag!


Erstens: Wir sagen hier nicht Azubi, wir sagen Lehrling.

Zweitens: Ich möchte Sie duzen, weil ich alle Lehrlinge duze.

Drittens: Die Lehrlinge fegen hier jeden Abend die Werkstatt aus, am Freitag wird richtig sauber gemacht, auch die Filter der Spanabsaugung.

Und wenn Sie die anderen Lehrlinge aufwiegeln, weil Sie schon volljährig sind und Abitur haben, dann beenden wir das Ausbildungsverhältnis am gleichen Tag.....

die Fronten sind schon im Vorstellungsgespräch geklärt.


Großenheidorn liegt am Steinhuder Meer, Klein Heidorn einige Kilometer entfernt zwischen Ackerflächen, Kuhweiden und einem Fliegerhorst der Bundeswehr, 300 Einwohner vielleicht, das höchste Haus ragt über drei Stockwerke, hochtrabend immer noch Möbelfabrik genannt, in dritter Generation hat mein Lehrmeister das Etablissement übernommen.

Mein Vater hat die Lehrlinge noch mit Holzschuhen unter die Bank getreten! brüllt er, wenn sein Jähzorn Futter sucht....später höre ich: Nachts verprügelt er die Frau.

Meine Monate unter der Sonne Floridas verblassen als Erinnerung, nachts im Traum höre ich deutsche Stimmen, wie man sie nicht mag in vielen Ländern, als Reiseandenken trage ich nur noch ein Lächeln, das ich mitgebracht habe, keep smilin’.

Warum lachst Du immer so blöd! Denkst wohl, Du wärst was Besseres? Eine rhetorische Frage, wenn ich den Gesichtsausdruck des Gesellen richtig deute... wir sind auf Montage beim Kunden: Bohrmaschine, 8er Schlagbohrer rein, danach holst Du die Zwingen aus dem Wagen!

Das Lied der Peitsche ist nie verstummt.

Hier endet der 89. Eintrag: Dieser Blog mischt Fiktion und Realität. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind zufällig und in der historischen Überlieferung nicht verbürgt. Ich bin nur der Navigator, mein Name sei NEMO:

Ich schreibe um unser Leben. Bitte bleib dran.


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Geschrieben von

archinaut

Ein Blick weitet den Horizont: Dieser Blog zieht um die deutschen Häuser

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