Mauerfall in Leipzig

Vom Bauen: Über das Elsterbecken im Leipziger Westen, vorbei am Kleinmessefeld trifft die Jahnallee auf die Lützener Straße - ein neues Entrée für Lindenau

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Was will die Stadt? fragen wir frei nach Freud, aufmerksam suchen wir die unsichtbaren Spannungslinien und umkreisen geduldig empathierend die sensiblen Räume, Wirbel in den Strömungen, Knoten der Widersprüchlichkeit, Schlick und Verhärtungen der Zeitläufte, lass Deinen Drachen steigen....

An die dunkle, brüchige Ziegelmauer erinnere ich mich noch gut: Die steht unter Denkmalschutz, die kriegt man nicht weg, sagt man mir im Stadtplanungsamt im Herbst 200?...... muss man denn warten, bis sie von alleine umfällt? Aber dann spielt Tiefensee Cello für Leipzig.....


Über das Elsterbecken im Westen, vorbei am Kleinmessefeld trifft die Jahnallee auf die Lützener Straße, knickt dabei leicht ab, rechterhand liegt der Betriebshof Angerbrücke der Leipziger Verkehrsbetriebe hinter der besagten altersmüde Ziegelmauer wie ein Kasernenhof..... dahinter verkrautet ein verwahrloster Garten, unsichtbar schläft hinter wildwuchernden Bäumen und Büschen eine kräftig zernarbte, patinierte Villa der Gründerzeit, noch genutzt von verschiedenen Brigaden, jetzt Abteilungen der Leipziger Verkehrsbetriebe, ACHTUNG RÖNTGEN steht an einer Tür..... im Bereich der Haltestelle ersetzt ein rostender Zaun die baufällige Ziegelmauer, dahinter abgestellte Kraftfahrzeuge, die unter schattigen Bäumen aus grünveralgten, blinden Scheinwerferaugen durch rostige Gitterstäbe auf das Treiben im engen, hier nur noch zweispurigen Straßenraum der Haltestelle Angerbrücke starren.

In Sekunden füllt sich die Fahrbahn mit Aus- und Einsteigenden, mit Umsteigern und Wartenden, die zur Seite wechseln. Die bewährten Regeln zwischen privaten und öffentlichen Verkehrsmitteln müssen an dieser Stelle ihre Regelungskraft noch lange beweisen: Du musst hinter der Straßenbahn anhalten! warnt mein Bruder mich beim ersten Besuch in Leipzig erschrocken, damit ich nicht zum Verkehrsrowdy werde.

Im Gedankenspiel skizziert eine leichthändigen Studie: was wäre..... wenn die Mauer fiele? Wenn sich ein Platz spannte bis weit auf das Betriebshofgelände? Bis zu einer grünbunten Vorgarten-Fläche mit Rasen, mit niedrigen Buchshecken, mit Blüten und geschwungenen Pfaden? Mit Wasserplätschern? Wenn dieser Platz sich ausbreiten wollte über das gesamte Querprofil der Jahnallee, damit jeder Kraftfahrer bemerken müsste: hier hat der Fußgänger Vorfahrt... Ein Platz mindestens so lang wie die beiden Straßenbahnzüge, die hier halten.

Das Konzept ist leicht zu vermitteln, bereits der Leipziger Augustusplatz zeigt sich freigeräumt, durchgehend der helle Plattenbelag für alle Verkehrsteilnehmer... Ein neues Entrée für Lindenau: mit Sympathie und Engagement nehmen die Leipziger Verkehrsbetriebe den zugeworfenen Ball auf, Worte und Bilder finden Freunde auch im Leipziger Rathaus......


Im Namen der Leitung rufe ich an, ich soll Ihnen mitteilen, dass die Leipziger Verkehrsbetriebe Sie beauftragen möchten, entsprechend Ihrer Studie weiter zu planen. Mit der Stadt Leipzig zusammen wollen die Verkehrsbetriebe den Betriebshof und die Haltestelle umbauen...

Frisches Geld durchspült die Messestadt an der Pleiße, Olympia-Bewerbung heißt das Zauberwort, das die Kassen aller Länder öffnet, im Olympia-Sofortprogramm sollen auch Haltestelle und Betriebshof Angerbrücke umgebaut werden, weil die Spielstätten in der Nähe liegen, ein Glücksfall, richtiger Ort, richtiger Zeitpunkt: Die Stadt frisst unser Projekt auf, verleibt es sich ein, die alte Ziegelmauer fällt und nach gut zwei Jahren Arbeit sind alle Linien neu gezogen, alle Verkehrsströme überdacht und gegliedert, Raumkanten sinnvoll geordnet, frische Grünflächen laden ein, freigestellt behauptet die Villa sich jetzt am Platz, eine neue Ordnung ist gefunden, die zwanzig, dreißig oder fünfzig Jahre überdauern mag, vielleicht länger.


Der Erfolg eines städtischen Projekts kann sich auch darin beweisen, dass keine Propaganda erforderlich ist.

Das Bild von Wolfgang Tiefensee am Cello hat die Medien, auch die Menschen erreicht, seine Partei ruft ihn als Bauminister in die Hauptstadt.... Ach, hätte er dort doch eine Linde auf der Schlosswiese gepflanzt und dem jungen Baum gelegentlich ein Ständchen gegeben!

Verlangt die Kunst der Politik immer, sich an der Spitze der Bewegung zu behaupten? Ist es verdächtig an der richtigen Stelle zu sagen: Nein, mit mir nicht?


Hier endet der 107. Eintrag: Dieser Blog mischt Fiktion mit Realität. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind zufällig und in der historischen Überlieferung nicht verbürgt. Ich bin nur der Navigator, mein Name sei NEMO:

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Geschrieben von

archinaut

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