Rostock Exodus - Stadt über Wasser

Vom Bauen: Jede Generation muss ihre Stadt neu erfinden

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Abgabe für den Wettbewerb zur Revitalisierung des Alten Hafens war im Januar 1991: Unruhige Nervosität am Vorabend des ersten Golfkriegs, in Berlin kursieren wilde Gerüchte über Geheimwaffen von Saddam Hussein.

Die Ausschreibung des Wettbewerbs richtet sich an den europäischen Architekten-Nachwuchs, aus vielen Städten Europas wurden die Aufgaben gesammelt. Die Hansestadt Rostock sucht eine Entwicklungsstrategie für „Das rote Gebiet“ in der Niederung der Warnow-Breite, Gewerbebrachen auf weitgehend kontaminierten Böden.

Ein städtebaulicher Ideenwettbewerb ruft dazu auf, neue Ansätze zur urbanen Identität einer Bürgerschaft, einer städtischen Arbeits- und Wirtschaftsgemeinschaft zu entwickeln nach der Devise „Städtebau ist Staatenbau.“ Thema ist nicht nur städtebauliche Ordnung oder Urban Design, vielmehr können Beiträge eines Ideenwettbewerbs auch Überlieferung und Erbe der Vergangenheit öffnen für die Zukunftspotentiale einer Civitas, einer Stadt oder einer Region. Relevante Einflussgrößen sollten angemessen berücksichtigt werden. Neue technische Erkenntnisse und Ziele prägen die Versionierung des städtischen Layouts, das gilt für technische Infrastruktur heute wie für die Befestigungsringe aus der Zeit des dreißigjährigen Krieges.

Stadtplanung ist ein Griff in die Zukunft. Katastrophen fordern Erfindungen zur Abwehr oder Überwindung heraus. Immer ist der Mensch das maßgebende Element der Stadt, damit eine Gründungsidee virulent und ein Stadtvertrag gültig bleibt.

Mit einem verkürzenden Szenario über die Jahre 1991 bis 2001 beschreibe ich einige Folgen der Klimaveränderung wie etwa den steigenden Wasserspiegel. Interpretierbar auch als Fabel skizziere ich den Gedanken einer schwimmenden Siedlung namens Rostock-Exodus, ein System, das man als Navitop beschreiben könnte:


2001: Während der Regenzeit schwimmt die Siedlung auf. Am 25. März werden die Grundanker gekappt. Die Lager sind gefüllt.....


Ein alter Mann schreibt einen Brief an seine Enkeltochter:


„Ich werde es nicht erleben, mein liebes Kind, ob dieses Experiment erfolgreich abgeschlossen wird. Und was wäre denn als Erfolg zu bezeichnen? Unsere kleine Insel erinnert an die verlorene Stadt, an eine Zeit, als die Menschen das Land mit großartigen Kunstwerken besiedeln konnten, also an eine versunkene Zeit, an eine Ruhephase von wenigen hundert Jahren.

Welchen Sinn diese Erinnerung hat, wenn es kein Morgen gibt, fragst Du? Ich bin ein alter Mann, ich bin hier geboren und werde hier sterben, ein kleiner Teil der Stadt wird sich mit mir zusammen auflösen. Aber wenn meine Stadt sich auch so verändert hat, dass man sich fragt, ob man sie noch „Stadt“ nennen kann: Solange es Menschen gibt, die sich als Bürger der Hansestadt Rostock bezeichnen und mit dieser sozialen und politischen Übereinkunft einträchtig zusammenleben, solange existiert ein Ort dieses Namens, und so ist es mit allen Städten über die Jahrhunderte hinweg. Jede Generation muss ihre Stadt neu erfinden, und wenn sie es vergisst, so ist die Stadt verloren, selbst wenn ihre Straßen, Plätze und Häuser noch vorhanden sind.“

Der alte Mann schließt den Brief mit einem Gruß, er rollt das Papier, versiegelt es in einer leeren Flasche und wirft sie von der Promenade weit in das graue Meer.

http://www.planQLB.de/freitag/freitagblog53E.jpg

1. Nachtrag (1991): Soweit ich später gehört habe, fand ein Mitglied der Wettbewerbsjury Gefallen an der Idee, der niederländische Architekt Jo Coenen, wenig Interesse zeigte dagegen der Vorsitzende der Jury, der deutsche Architekt Hans Kollhoff.

2. Nachtrag (2009): Achtzehn Jahre später wird unter dem Titel Rising Tides ein weltweit offener Wettbewerb ausgeschrieben mit dem Ziel, angesichts steigender Flutlinien in der Region der San Francisco Bay neue Strategien zu entwickeln.

Hier endet der 53. Eintrag: Dieser Blog mischt Fiktion und Realität. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind zufällig und in der historischen Überlieferung nicht verbürgt. Ich bin nur der Navigator, mein Name sei NEMO:

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Geschrieben von

archinaut

Ein Blick weitet den Horizont: Dieser Blog zieht um die deutschen Häuser

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