Tochter der Sonne

Vom Lieben: Und zum Weibe sprach er: Ich will dir viel Schmerzen schaffen, wenn du schwanger wirst; du sollst mit Schmerzen Kinder gebären... (1. Mose - Kapitel 3:16)

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Johnny durfte kurz an Deinem Kaninchen schnuppern, erzählst Du uns, heimlich hast Du Dich hinter dem Haus mit dem Nachbarskind getroffen... Dein Zwergkaninchen ist ein schlankes Weibchen, der Johnny ein großes, weißes Männchen, aber die beiden wollten sich nicht paaren: Deine Stimme klingt enttäuscht.

Bald fängt Dein Tierchen an Stallstroh zum Nest zusammenzuschieben, zupft sich feine Härchen aus, keilt sich mit der Stallgenossin: Bestimmt scheinschwanger, kommentiert altersklug die große Schwester...... oder hat Johnny sein Rammelwerk unbemerkt verrichtet? Aber nein, keinen Moment habt Ihr die beiden aus den Augen gelassen, Eure kindliche Neugier lauerte doch erwartungsvoll gespannt auf die Begegnung mit dem Geheimnis des Lebens!

Täglich schwerer hat das Kaninchen an seiner heimlichen Ladung zu tragen, der Bauch wölbt sich erkennbar und schmerzhaft: das Tier zittert nervös und verbirgt sich angstvoll in der dunklen Tiefe des Stalls

.... eines Morgens entdeckst Du: Deinem geliebten Kaninchen ragt etwas aus dem Hinterteil, dunkelrot wie ein lackierter Nagel im hellen Spiegel dicht unter dem flauschigen Schwanz..... an diesem Tag seid ihr lange beim Tierarzt.

Johnny war zu groß: Dein süßes Kaninchen darf nie wieder Junge bekommen..... erzählst Du. Den Fötus hat der Arzt herausgezogen, gepresst und deformiert zur Unkenntlichkeit, erzählt mir leise die Mama, Rettung in letzter Stunde, bald hätte das Ungeborene die Gebärmutter gesprengt....

Die Liebe und der Schmerz wohnen im selben Haus, das hast Du früh erfahren...

... der HERR sprach.... zu der Frau... : Ich werde sehr vermehren die Mühsal deiner Schwangerschaft, mit Schmerzen sollst du Kinder gebären! Nach deinem Mann wird dein Verlangen sein, er aber wird über dich herrschen!... muss ein liebendes Herz nicht unter dem empörenden Diktum des Alten Testaments ersticken?

... es geht los, glaube ich, mit dieser schlichten, aber wirkungsvollen Wendung weckt mich Deine Mutter... alles ist nass geworden.... die Uhr geht auf drei, das Haus schläft, die Stadt wälzt sich unruhig im Schlaf und hofft auf einen glücklichen Morgen... erwartungsvoll glänzen die leeren Straßen unter den Peitschenleuchten, Platz da für meine Liebste und ihre kostbare Fracht, ihre Wehen treiben unseren kleinen Wagen eilig durch die weite Stadt, das Ziel liegt fern im Wedding, die Station weiss schon Bescheid: Wir sehen uns bald, sagte ihr Arzt beim letzten Termin, wir werden erwartet.... wie schnell kann ich fahren, hoffentlich kommt keiner quer, keine Streife, kein Radar.... an die Novelle von Kotzwinkle muss ich plötzlich denken, die mit der Beisetzung eines kleinen Fichtensargs endet...

Vor uns liegt die letzte Chaussee, eine breite Wiese als Mittelstreifen, wir hetzen in die Zielgerade, da löst sich ein Scheinwerferpaar auf der Gegenseite, dreht auf die Wiese in der Mitte und sucht schlingernd einen neuen Kurs zwischen den vereinzelten Bäumen, auch zwei weitere Fahrzeuge jagen über den Grünstreifen und stellen den Ausbrecher, von unseren Augen entfaltet sich das Finale einer nächtlichen Verfolgungsjagd, Männer mit Handfeuerwaffen springen aus den Wagen, Blaulicht kreist über die Szenerie.... Halt, langsam, bleib doch mal, ist ja wie im Krimi, reckt die werdende Mutter den Kopf nach hinten und hat die letzte Wehe glatt vergessen, nein, ich werde nicht halten, ich biege schon in die Einfahrt des Krankenhausgeländes, bis zur richtigen Station sind es noch einige hundert Meter, ich kenne den Weg...

Da ist die Tür, der Flur, ein Warteraum, eine Schwester, Moment, gleich habe ich Zeit für Sie, schon baut sich die nächste Wehe auf zu dunkler Gewalt, Hilft Ihr Mann Ihnen beim Umziehen? Hier ist das Hemd.....Wollen Sie einen Einlauf zur Darmentleerung? ... und Eure schwere Arbeit beginnt.

Zu spät für Angst und Panik, langsam füllt sich ein dunkler Tunnel mit Schmerz und unendlichen Minuten, die Beine wollen rennen, aber der Kopf will ruhen, im Neonlicht glänzt Schweiß auf der Haut meiner Liebsten, dabei ist der Flur kühl, in dem wir auf und ab wandern, immer wieder eilt eine Schwester vorbei, aus den Zimmern dringen Schreie und Stöhnen der Frauen, die schon ein paar Stunden weiter sind...

Die Hebamme stellt sich vor, weist uns den Raum, ein kleines Zimmer mit einem frisch bezogenen Bett, das Fenster in einen nächtlichen Garten, ihr Arzt begrüßt uns kurz mit einem freundlichen Lächeln.... Es tut so weh! Ich kann das nicht! Es geht nicht, ich bitte Sie, ich will einen Kaiserschnitt, wie bei meiner ersten Tochter!... aber sein Lächeln bleibt unbeeindruckt, aufmunternd streicht er ihr übers Haar... Es ist alles in Ordnung diesmal, es wird alles gut, wir können nicht wieder schneiden...... heute werden Sie die Geburt erleben! Ihre Stimme pendelt zwischen Schmerz und Verzweiflung.... aber er geht dann und lässt uns mit der Hebamme zurück.

Die nächste Wehe rennt machtvoll an Eure Ufer, als wollte sie den biblischen Schmerz aus den tiefsten Erinnerungen der Geschlechter erwecken...

Die Hebamme hat den Wehenschreiber angeschlossen, die Geräte zwingen Euch auf die weißen Bettlaken nieder, Deine Mutter windet sich und stöhnt im Schmerz, und Dein Herzton ist schon im Raum zu hören.... die Hebamme muss jetzt nach den anderen sehen.

Wir sind noch zu zweit, Hand in Hand, die Wehe verebbt, Versprichst Du mir, dass Du gut bist zu unseren Kindern, wenn ich jetzt sterbe?... Natürlich verspreche ich das, aber Du wirst doch nicht sterben! Es ist alles in Ordnung, hat der Arzt gesagt... Der Tag graut bläulich vor dem Fenster.

Die Ausschüttungen der verschiedenen Hormone und übermächtige Muskelkonvulsionen erschüttern die Vertraute und verwandeln sie in ein zitterndes, schwer atmendes und stöhnendes Wesen, angstvoll verzerrt das Gesicht in der Anspannung gegen die unmenschlichen Zumutungen der tierischen Natur. Die Presswehen haben eingesetzt, die Austreibungsphase, so sagen die Hebammen.

Drücken! fordert sie stöhnend: Da! Drücken! Stärker! So fest Du kannst! Sie liegt auf der Seite, meine ganze Kraft soll ich gegen ihr Steißbein pressen, weil der Schmerz bald ihr Becken sprengt.... Sie flucht lauthals und beschimpft mich wütend, weil ich nicht die richtige Stelle, nicht den richtigen Druck, nicht den richtigen Wirbel treffe...... in ihrem Unterleib werden jetzt alle Gelenke, Sehnen und Knochen auseinandergeschoben, im engen Geburtskanal reist ein kleines pochendes Herz durch einen Kranz aus Feuer und Qual... keine Pause bleibt zwischen den Wehkrämpfen, die rollen als Sturmwellen über dem Meer der Pein, endlos die Marterungen, drängen in den hellen Herbsttag...

Du aber bist noch nicht dabei, auch wenn alle Bewegungen um Deine Ankunft kreisen, jede Hand in diesem kleinen Raum Dich erwartet, die Hebamme, Deine Mutter, die sich vor Schmerzen auf dem blutig-nassen Laken windet und wütend stöhnt: Du drückst nicht stark genug! Warum lasst ihr mich so leiden?! Noch bist Du ein Fleisch mit Deiner Mutter,die jetzt die Männer im Allgemeinen verflucht, auch den hartherzigen Arzt, und mich natürlich im Besonderen. Schließlich muss ich ihre Freundin rufen, damit sie ihr beistehe, sie ist Krankengymnastin: Du bist völlig unfähig! Kein Mann kann mir jetzt helfen!

Das Wort Kreißen kommt von krîzen, mittelhochdeutsch für schreien und stöhnen, erst später wurde aus diesem Stamm das Wort Kreischen abgeleitet, heißt es.... Dein Kopf ist schon zu sehen, glänzend wie ein geölter Ringer... vor Euch liegt ein neuer Berg der schier endlosen Hügelkette, der raue Atem des Mutterleibs stampft mit Pfeifen und Rasseln und Stöhnen bergauf, bäumt sich gegen die schwere Trächtigkeit mit der Wut einer schrecklichen Göttin Kali, sie treibt Dich mit einem letzten, furchterregenden Schrei endlich aus und die Hebamme hält Dich noch als kleines Bündel wie ein totes, nasses Fleisch, lächelt jedoch froh...in dem Moment, da sich Deine Augen öffnen wollen, spiegeln die hellen Augäpfel noch ein kurzes Flattern der zeitlosen Unendlichkeit, aber mit Deinem ersten Atemzug beginnt eine neue Uhr zu schlagen, zieht das Licht der Sonne Dich in die Sterblichkeit, das Pendel von Liebe und Schmerz holt wieder Anlauf....


Hier endet der 167. Eintrag: Dieser Blog mischt Fiktion mit Realität. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind zufällig und in der historischen Überlieferung nicht verbürgt. Ich bin nur der Navigator, mein Name sei NEMO:

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Geschrieben von

archinaut

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