Warum ist es am Rhein so schön?

Gender-Erzählung Die Rheinromantik hat einen schwarzen und schwermütigen Urgrund, auf dem glimmern die Goldflitter. Eine Beziehungsgeschichte bei Niedrigwasser.

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Warum ist es am Rhein so schön?

(Zum Tag der Einheit, die sich derzeit und diesjährig in der Treibhaus-Stadt feiert)

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Mäuseturmlandschaft

Bill Rights

Bill Rights schaute auf den Turm der nah vor ihm im Fluss stand. Heute hätten die Mäuse keine Schwierigkeiten gehabt, nachdem sie den hartleibigen Bischof lange schon zernagt hatten, wieder zurück ans Ufer zu gelangen. Niedrigwasser, das ist Mäuse- und Hattozeit. Die Geschichte stammte aus jener antiquarischen Alternative zum einsamen Planeten, die er in Frankfurt gekauft hatte. Sie hatte ihm gut gefallen. Darum war er mit Tessa hier her gefahren.

Was sind das nur für Geschichten die sich überall ereignet haben? - Dann schob sich Cap Arcona in seinen Blick. Ein Container, noch einer, wieder einer und noch einer. Der Schiffsdiesel vibrierte und schickte seine Geräusche über das Wasser. Eine dünne, blassblaue Abgasfahne zeigte die zusätzliche Anstrengung an, die notwendig war, um den Schubverband ganz durch das Loch im Rhein zu drücken. - Der Rhein, er täuscht, das weiß ich jetzt, sagte er sich.

Tessa war nicht mitgekommen. Sie saß im Auto an der Uferstraße und ödete sich. Sie mochte das Mittagslicht nicht. Sie mochte diese ganzen langen und heißen Tage nicht. Sie hasste es früh aufzustehen und irgendwo hin zu fahren, an diesem Wasser entlang, in diesem Land, das nicht einmal eine echte Loreley mit goldenen Haaren zu bieten hatte.

Alles war so überblendet und ausgelaugt in diesem Sommer, heiß und ganz trocken gefallen, in den letzten Tagen. Ein paar Mal sah er von der Kiesbank zurück zum Wagen. Sah, dass sie ihm nachsah. Einmal winkte er ihr, ohne es auf eine Antwort anzulegen. Sie war eine Gute, aber sie langweilte sich mit ihm. Das wusste er schon länger. Die Reise, geplant als Ablenkung, sie würde zu Hause mit einer Trennung enden.

Der Kies knirschte bei jedem Schritt. An manchen Stellen lag feinerer Sand, und größere Kieskörnchen am Wassersaum, von den Wellenschleppen der vorbeifahrenden Schiffe immer wieder angefeuchtet, glitzerten kurz golden und vielfarbig auf, als seien sie besondere Kostbarkeiten. Schnell trockneten sie wieder stumpf. Rheingold, Katzengold, Schwarz, Rot, Gold, und doch nur Geröll und Geschiebe aus grauen Vorzeiten, fein gemahlen, auf dem halben Weg zur Küste.

Ihm gefielen solche Abschweifungen in Gedanken. Anderen Leuten erzählte er davon nichts. Er wollte nicht langweilen und hielt es nicht für wichtig, das, was ihm durchs Hirn schoss anderen Hirnen aufzudrängen. Dieses verbohrte Inwärtsschweigen war sein größtes Laster. Er konnte es aber nicht abstellen.

Ein paar flache Kiesel, Gneise und Granite, mussten daran glauben, während er das dachte. Sie flippten über die unruhige Wasseroberfläche und versanken. Er bückte sich immer wieder, um einen neuen, noch platteren Stein zu suchen, der besser über das Wasser springen würde. Mehr als drei Sprünge schaffte er nicht mehr, mit den eingerosteten Reflexen aus Kindertagen. Die Steine gehörten zurück auf den Grund des Flusses. - Rights hatte einmal in der Schule Brecht gelesen, ein Gedicht von ziehenden Steinen am Grunde der Moldau. Mehr wusste er nicht mehr, und hier stand er am Rhein.

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Wo es in der Ferne weit war, wird es nun eng

Das Containerschiff war bald weg, der Geruch des Schiffsdiesels blieb aber im Binger Loch hängen. Talfahrt, fiel ihm ein, und Bergfahrt. Vielleicht wäre das besser für die zerbröselnde Beziehung zu Tessa, in die Berge, auf Gipfel, in die Höhe und nicht hier an den Fluss, ins enge Tal zu diesen ganzen Märchengeschichten zu reisen.

Sie kam die Böschung herunter, schlitterte, rannte, als sei sie eine Gliederpuppe der man einen kräftigen Schupps gegeben hatte. Zu viel mechanische Energie, dachte er. Sie rief: „Hey, komm´ endlich zurück, ich hab´ Hunger. Es ist verdammt heiß in diesem Leihwagen. Keine Klimaanlage!“ - Das hatte er nicht gewusst.

Er drehte sich weg. Tat, als habe er sie nicht gehört. Er wollte ihr noch einen Augenblick stehlen, sollte sie später auch Protest anmelden. Rasch marschierte er auf eine mit Gestrüpp bestandene Sandbank zu. Der erste Reinfarn deckte ihn. Er ging weiter, bückte sich, und flippte wieder Rundlinge über das Wasser. „Blödmann!“, hörte er sie rufen. Sie war stehen geblieben. Sie wollte nicht laufen und sie würde nicht laufen, das wusste er. Er drehte sich nicht um.

Der Rhein hatte hier eine kleine Lagune in den Kiessand gegraben. Er patschte mit den Schuhen hindurch, fühlte, wie seine Socken nass wurden und hörte die Schuhe bei jedem Schritt quatschen. - Im Blick bewegte sich was.

Vor ihm tanzte ein großer, schwarzweißer Schmetterling mit geschweiften Flügeln über den Kies, ließ sich nahe einer Pfütze nieder, rollte seinen Rüssel aus und trank. So groß, dachte er. Bisher hatte er nur Tagpfauenaugen gesehen, die die Brennnesseln entlang des Flussufers absuchten und einen Haufen Kohlweißlinge. Dann kam ein zweiter Falter und noch einer. Dicht nebenan saßen weitere, die er fast übersehen hätte, zwischen dem geschliffenen Quarzit und Basalt. Alle rollten sie ihre Rüssel in die nassen Stellen. Als sein Schatten über sie fiel, flogen sie auf, und einen Moment lang stand er in einem Wölkchen aus Schmetterlingsflügeln. Er rief sie: „Komm´ her, das ist wunderschön! Komm doch!“ Sie kam nicht. Eine kleine Windböe erwischte die Segelfalter, dann waren sie fort.

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Segelfalter

Er ging zurück. Tessa war zum Wagen gegangen und wartete, das wusste er, bevor er es sehen konnte. Sie würde dumpf brüten und auf eine Gelegenheit zu Revanche warten. Er fügte sich in sein Schicksal, noch ein paar Tage.

Tessa Geradheraus

Dieses Auto, dachte sie, geliehen für viel Geld, es ist nichts wert. Der Schweiß lief ihr vom Haaransatz und in jede Falte. Was dachte er sich dabei, sie hier am Ufer sitzen zu lassen? Dieser kleine Punkt da, auf der Kiesbank, der jetzt in der Hitze flimmerte, sich fast aufzulösen schien, was hat er sich nur wieder dabei gedacht? - Diese Reise war die letzte. Sie hatten sich nicht ausgesprochen, aber wussten es beide.

Seit ein paar Tagen machte sie keine Anstalten mehr, ihren Frust mit ein paar Urlaubserlebnissen zu übertünchen. Sie langweilte sich mit ihm. Er blieb stumm wie ein Fisch, da reichte das Bett nicht. - Deutschland war kein Märchen.

Busse fuhren am Ufer vor und brachten neue Touristen, die vor ihr entlang zogen und auf den Turm im Wasser deuteten. - Dieser Turm, da war sie sich sicher, sah ganz gewöhnlich aus. Dieser gemauerter Turm, Zinnen als Krone, ein Fahnenmast obenauf, jedoch ohne Flagge, der Putz, eine Art Deckweiß, er sprach nichts, er sagte nichts. - Sagen und Erzählungen hatten sie noch nie interessiert.

Jetzt reicht es aber, dachte sie, und stieg aus. An der Uferböschung gab es einen Trampelpfad. Sie rannte hinunter und merkte, wie eingeschlafen ihre Beine waren. Beinahe wäre sie hin gestürzt. Nun hatte sie Sand in den Schuhen und kleine Steine. Das war ihr unangenehm.

„Hey, komm´ endlich zurück, ich hab´ Hunger! Es ist verdammt heiß in diesem Leihwagen. Keine Klimaanlage!“, rief sie. - Das hätte er doch wissen müssen.

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Der Reiter von Bingerbrück, Tales

Eine Weile sah sie hoffnungsvoll auf seinen flirrenden Umriss. - Er hat mich nicht gehört, er will mich nicht hören, dachte sie dann schnell hintereinander. Er war hinter einem Gebüsch verschwunden. „Blödmann!“, schrie sie, so laut sie konnte.

Das geht so nicht, das geht so gar nicht, entschied sie und kehrte um. Sie wollte heulen, hielt sich aber, wegen der Touristen auf der Böschung und weil die Sache so klar war, zurück. Die Hitze störte sie nicht mehr. Sie verfiel in ein dumpfes Brüten und wartete. Er würde zurück kommen und sie würde ihm eine Szene machen. Das hatte er sich redlich verdient.

Nun kam er langsam den Weg zurück und wurde zuerst ein fester Punkt, dann eine Figur auf der Kiesbank. Was kann ich bloß tun, überlegte sie, damit endlich was passiert, damit er redet Wenn er nicht Entschuldigung sagt, ist es jetzt sofort aus, und in ein paar Tagen sowieso. Sie lachte kurz über ihren Mut und lächelte ihm sogar entgegen. Fast stand er am Auto, da nahm sie sich vor, jetzt noch nicht rein Schiff zu machen, sondern damit bis nach dem Essen zu warten.

Christoph Leusch

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