Mehr Würze für Ihr Depot – Investition Nachwuchs

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Der Eindruck, Investitionen fangen an, wenn der Nachwuchs das Licht der Welt erblickt, trügt. Gerade so groß wie ein Stecknadelkopf wird der Embryo bereits von der Boom-Branche „Schwangerschafts-Accessoires“ vereinnahmt.Es fängt die große Schwangerschaftsshow an, die dann von der darauf folgenden Elterngala abgelöst wird. Ein Glückspilz, wer sichin dieser florierenden Branche der „ Kinder-Accessoires“ oder besser des „Accessoires Kind“ einen Namen gemacht hat und sich nun mit überteuerten Anti-Streifenölenund personalisierten Stoffhüllen für den Mutterpass das eigene Leben finanziert.Das Designer-Label Klaka wirbt: “Wer kennt sie nicht- die langweiligen durchsichtigen Plastikhüllen für den Mutterpass. Abhilfe schafft ein Schutzumschlag, der noch dazu richtig was hermacht.“Die Schwangerschaft muss etwas hermachen! Überflüssig zu erwähnen, was das fertige Produkt „Kind“ in seinem Leben herzumachen hat. Kinderkriegen wird zum Event.

Zielen bemusterte Mutterpass-Hüllen für 25 EUR noch ausschließlich auf das Mode-Empfinden der Mami in Spe ab, wird bei den weiteren „Must-Haves“ an das Gewissenund die Angst der werdenden Eltern appelliert. So wird die höchstumstrittene Einlagerung des Nabelschnurblutes für eine mögliche Stammzellentherapieeifrig propagiert. Schlappe 2.400 EUR sollte den Eltern doch die Gesundheit des Nachwuchses wert sein.

Spätestens kurz nach der Entbindung, die wohl oder übel zumeist noch immer im altbewährten Stil vollzogen wird, fangen die Kurse an. Wer froh war, das verwirrende Vorlesungsverzeichnis der Uni schon vor Jahren hinter sich gelassen zu haben, hat jetzt ein Déjà-Vu. Die frischgebackenen Eltern hocken in einem Dschungel von absolut notwendigen Säuglings-Kursen, der seines Gleichen sucht: Pekip, Baby-Yoga gefolgt von Baby-Karate, Baby-Hockey, und das alles viersprachig. Es scheint, als ob Eltern panisch in ihr Kind investieren, um den bestmöglichen Benefit zu geben oder etwa später zu erzielen? Außerdem will sich eine Eppendorfer „Tutti“ (Kreuzung aus Mutti und Tussi) natürlich nicht vor ihren Freundinnen rechtfertigen müssen, warum dem Nachwuchs ausgerechnet der zweisprachige Kinder-Kundalini-Kurs verwehrt wurde.

Das erfolgreiche amerikanische Franchise Unternehmen „Fast TracKids“ (Zentren für besondere Förderung der Kinder) gaukelt Eltern bei Teilnahme eine zweimal schnellere geistige Entwicklungdes Nachwuchses vor. Die Fast Trac Kids werden es ihren Erzeugern danken.Ein Zwölfjähriger hat an der Uni bestimmt viel Spaß. Viele der Miniatur-Leistungsträger warten heutzutage mit einem Terminkalender auf, der so manchen Manager vor Neid erblassen ließe. Mami wird zur Shuttle-Mami. Einsprachiges „mono-linguales“ Spielen mit anderen Kindern ist passé.

Die Sendung 37 Grad in dieser Woche mit dem Thema „Nur das Beste für mein Kind“(37grad.zdf.de/) bestätigt den Trend.Dreijährige Kinder lernen mitchinesisch die bereits vierte Fremdsprache in ihrem zeitlich noch recht überschaubaren Leben. Der Kommentar der ehrgeizigen Mutter: "Als ich schwanger war, bin ich zum Logopäden gegangen, um mich zu erkundigen, wie viele Sprachen so ein Kind vertragen kann und er sagte, bis zu sechs.“ Der Geigenunterrichtist selbstverständlich pädagogisch ideal auf das Kindesalter abgestimmt. Beim kreativen Malen wird das Seelenleben der Dreijährigen anhand der gemalten Werke genauestens hinterfragt. Auf die Frage hin, welche Tätigkeit die kleine Stella am liebsten ausführe, ihre undankbare Antwort: „ Ich würde gern einmal auf den Spielplatz gehen!“ Auf die Frage hin, ob dem fünfjährige Tim die von Mami ausgesuchten Kurse gefielen, seine rationale Antwort: „Mami und Papi haben dafür viel Geld bezahlt.“ Früh lernt der Nachwuchs, dass Erfolg Kapital ist und Kapital erfolgreich macht.

Es bleibt abzuwarten, ob sich der erhoffte Return on Investment einstellt. Es bleibt zu hoffen, dass sich „speziell geförderte“ Kinder trotzdem charakterlich individuell entwickeln und Dinge kritisch hinterfragen. Charakter und Meinung sind zum Glück noch nicht online bei „Bellybutton“ bestellbar.

Es könnte jedoch sein, dass ein Filius, der sich trotz frühkindlicher Förderung eines eigenen Bewusstseins erfreut, bei der erst besten Gelegenheit den Mittelfinger ausfährt und eine Karriere als Punk einschlägt. Dabei hatte seine Mami doch so einen süßen Fliegenpilz auf ihren Mutterpass und kein aufgesticktes Dosenbier.

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