Das Trojanische Pferd

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Justizministerin Beate Merk reitet auf einer populären Welle und erfindet neues Denglisch

Lange hat es nicht gedauert, bis die Schamfrist vorüber war. Von der Erstaussendung des „Tatort Internet“ über„Lockvogeldiskussionen“ hin zu: Wir brauchen endlich die Vorratsdatenspeicherung 2.0! sind nicht einmal vier Wochen vergangen.

Wer dies peremptorisch und ausdrücklich in den Zusammenhang stellt mit einem Vertrauensanfüttern gegenüber Kindern und Jugendlichen zu sexuellen Zwecken im Netz, ist die Bayerische Justizministerin Beate Merk (CSU)in der FAZ („Das Schlupfloch für Cybergrooming“). Nicht nur die Rechtslage zum Schutz sei unbefriedigend. „Denn was nützen uns die besten Strafgesetze, wenn wir die Täter nicht ermitteln können. Das scheitert im Internet häufig an nicht gespeicherten Verbindungsdaten. Wir müssen daher dringend die Vorratsdatenspeicherung neu regeln … Dabei müsste man diese verfassungsrechtlichen Vorgaben nur in ein für die Praxis taugliches Gesetz umsetzen.“

Die Zitadelle: Beispielloser Eingriff in Grundrechte

Mit den „Vorgaben“ sind die des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) gemeint, das in seinem Urteil vom 2. März 2010 (Az.: 1 BvR 256/08, 1 BvR 263/08, 1 BvR 586/08) gerade dem Ansinnen nach wahlloser Speicherung von Verbindungsdaten in der Telekommunikation eine Absage erteilt hatte. Eine sehr deutliche Absage: Die u.a. „nicht hinreichende Begrenzung der Verwendungszweckeder Daten“ führte zur Nichtigerklärung des Gesetzes, was im Kanon der Verfassungswidrigkeit die Ahndung besonders gravierender Grundgesetzverstöße bedeutet. Merk ist seit 2003 Justizministerin und hat damit über den Bundesrat maßgeblichen Anteil am Zustandekommen des Law & Order an der Verfassung vorbei gehabt. Ihre Intervention ist daher umso bemerkenswerter.

Es geht „bei einer solchen Speicherung“ um nicht weniger als um „einen besonders schweren Eingriff [Anm.: in die Grundrechte] mit einer Streubreite, wie sie die Rechtsordnung bisher nicht kennt“. Und weiter: „Eine Speicherung ... begründet einen schwerwiegenden Eingriff. Von Gewicht ist hierbei auch, dass unabhängig von einer wie auch immer geregelten Ausgestaltung der Datenverwendung das Risiko von Bürgern erheblich steigt, weiteren Ermittlungen ausgesetzt zu werden, ohne selbst Anlass dazu gegeben zu haben.“ Das sind zentrale Worte der Hüter der Verfassung in ihrem Urteil, also nicht das Hirngespinst irgendwelcher Anonymitätsfreaks aus dem Netz. Der neuesten Studie von ARD/ZDF zufolge sind rund 50 Millionen Deutsche regelmäßig im Netz. Abgesehen von den anderen Wegen der Telekommunikation wie der gesamten Sparte Telefonie ergibt das das Gesamtbild von nicht weniger als zwei Drittel der Bevölkerung als mögliche „anlasslose Verdächtige“.

Der Schein und sein Inhalt

Der Kunstgriff von Frau Merk liegt darin, das Wahrnehmungsfeld in den Augen des Publikums zu verengen. Die Reduzierung des Betätigungsfeldes von Internauten auf den (Vertrauens-)Missbrauch von Kindern konzentriert den Blick auf ein besonders emotionsgeladenes Feld, dem sich kaum jemand zu entziehen vermag, ohne herzlos zu erscheinen. Jeder Ansatz einer sachlichen Auseinandersetzung auf der Grundlage eines an Deutlichkeit nicht zu überbietenden unabhängigen Verdikts aus Karlsruhe wird unter Hinweis auf den Opferschutz der Boden entzogen. „Schützt unsere Kinder“ bei RTL2 aus dem Mund von Frau zu Guttenberg oder „Schützt die Opfer, nicht die Täter!“ ihres Produzenten Daniel Harrich von den Seiten der FAZ herab ergeben dabei das populistische Pendant zu einem Recht, das allen zusteht – nicht ausspioniert zu werden. Dass Harrich selbst reichlich versteckt arbeitet, veranlasste die SZ zum durchaus treffenden Titel „Eine eigenwillige Methode“.

Gleichzeitig bereitet die Ministerin freilich auch das Terrain vor, um ihrer Datensammelwut eine möglichst breite Anwendungsbasis zu verschaffen. Chats sind der Studie von ARD/ZDF zufolge die beliebteste 1:1-Kommunkationsplattform im Netz und damit ein öffentlicher Raum ungeahnten und bisher unbekannten Ausmaßes. Da dort, so der subliminale Text, schlimmste Abscheulichkeiten stattfinden, müsse dieser kontrolliert werden können. In ihrer Logik folgt die verdeckte Botschaft dabei derjenigen des Bayerischen Versammlungsgesetzes: „Eine Versammlung ist eine Zusammenkunft von mindestens zwei Personen zur gemeinschaftlichen, überwiegend auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung.“ Die Durchreglementierung geht dort bis in geschlossene Räume hinein. Dass mit dem Netz für die „Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung“ nun nicht mehr die physische „Zusammenkunft von mindestens zwei Personen“ erforderlich ist, kann aus dieser Warte durchaus beunruhigen. Wer aber tatsächlich beunruhigt sein sollte, sind die Teilnehmer selbst; das in die Tasten eines Computers gehauene Wort will wohl überlegt sein, anlasslos.

Der gewohnte Trott

Ein drittes und nicht minderes Ziel verfolgt die bayerische Justizministerin mit ihrem Artikel: Durch die Zurschaustellung möglicher Sündenböcke von der Unzulänglichkeit der eigenen Regierung abzulenken. Erst im Juli dieses Jahres überraschte das Bayerische Landeskriminalamt mit der Nachricht, dass im Schnellsiedeverfahren „das Personal künftig mit jungen Informatikern von Fachhochschulen aufgestockt“ wird, um dem „Zuwachs bei Fällen von Industriespionage“ Herr zu werden. Von rund 1.000 neuen Beamten für 2010 ist die Rede. Bereits mehrfach hatte die SPD im Bayerischen Landtag beklagt gehabt, dass die Zahl der Beamten im Dienst seit Jahrzehnten praktisch unverändert geblieben sei bei gleichzeitigem beträchtlichen Zuwachs der Aufgaben. Aber nicht nur die Personaldecke ist dünn, sondern offensichtlich auch das technische Know-How um das Ding, das sich Netz nennt. Eine Parallele drängt sich auf: Seit 16 Jahren planen Behörden bundesweit einen einheitlichen digitalen Funk, also eine moderne Form der Kommunikation. Dass sie trotz redlicher Vorlaufzeit nicht nur technisch nicht vorankommen, sondern im Juli dieses Jahres dafür auch die Gelder gesperrt wurden, zeigt die schlichte Immobilität des Apparates. Dem kommt es entgegen, sich sechs Monate Zeit lassen zu können, um in aller Ruhe ein Datensortiment zur nachträglichen Fahndung zur Verfügung zu haben. Auch der wahre Fokus wird mit dieser Randnotiz deutlich: Industrieanliegen und nicht die Verhaltensauffälligkeiten im gesellschaftlichen Bereich.

Mit „Grooming“ hat Ministerin Merk ein neues Wort in den deutschen Sprachgebrauch geworfen, das Aufmerksamkeit heischt und die Modernität der Justiz demonstrieren soll. Sie vermag nicht darüber hinweg zu täuschen, dass dem ordnungspolitische Konzepte zugrunde liegen, die dieser Moderne nicht gerecht werden. Sie missbraucht dabei Opfer sexueller Gewalt ein zweites Mal für politisches Kleingeld und den eigenen Dilettantismus. Oder hat Frau Merk es nur überlesen, dass GQ, das Modemagazin für den Herrn von Welt aus dem Hause Condé Nast Grooming als „tag“ (englisch für Stichwort, im Netz) verwendet für: Schöhnheit, Duft, Haargel und David Beckham?

Startseitenfoto: Christof Bobzin

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Geschrieben von

ed2murrow

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ed2murrow

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