Die Kraft der Vorverurteilung

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Die Debatte um den Ehrensold agiert weitestgehend im rechtsfreien Raum

199.000 Euro sind ebenso viele Gründe, einen Menschen zu messen. Christian Wulff ist nun Gegenstand eben dieser Bewertung, weil das dem Geldbetrag entspricht, der ihm ab jetzt als jährliche Zuwendung zustehen wird. Kaum je eine Rente hat in Deutschland so hohe Wellen geschlagen. Man darf sich fragen, warum.

Den Einstieg hat das Wort Ehrensold geboten, das nicht wenige, die Gesetze entweder nicht lesen oder eventuell als unverbindliche Handlungsanweisungen betrachten, vollmundig mit dem Begriff der Ehre in Verbindung gebracht haben. Zugegeben, die Normen, die die Materie regeln, sind ziemlich alt, sie wurden 1953 verabschiedet. Ebenso antiquiert erscheint also der darin verwendete Sprachgebrauch. Da mit der Lückenhaftigkeit von Erinnerung und aktueller Kenntnis auch die Wehmut für vergangene Zeiten zunimmt -und im glorifizierten „damals“ Politik irgendwie mit Moral, Aufrichtigkeit, gestandenen Leuten zu tun haben könnte- ist der Rechtszustand mit einer Projektion ein seltsames Amalgam eingegangen.

Weil der Bundespräsident aber weder Beamter (im Beamtenrecht nennt sich das Versorgungsanspruch) oder Arbeitnehmer (und dann Rentner oder Pensionär), noch in die Exekutive (Ruhegehalt) eingegliedert ist, wollte der damalige Gesetzgeber die Sonderstellung auch mit der Bezeichnung dessen betonen, was nach Ausscheiden aus dem Amt in Geld liquidiert wird. Zumal der Beginn der Bezüge an keinerlei Renteneintrittsalter gebunden ist. Das war und ist reale Politik, die ihren Gesetzen konkrete Bezeichnungen beimisst.

Die heutige, zutiefst unehrliche Debatte darum, was nun Ehre mit Ehrensold zu tun haben könnte, findet ihren Höhepunkt darin, die unabweisliche Folge, die sich aus dem Gesetz ergibt, in Frage stellen zu wollen.

Festgemacht wiederum an einem Begriff, dem des Politischen. Denn vor Ablauf des Mandats stehen die Bezüge nur zu, so das Gesetz, wenn sich die Vorzeitigkeit „aus politischen oder gesundheitlichen Gründen“ ergibt. Dies ist jedoch nicht die einzige Regelung, die sich mit der Zu- bzw. Aberkennung des Ehrensoldes befasst. Im Falle der Präsidentenanklage gemäß Art. 61 Grundgesetz hat das Bundesverfassungsgericht, falls es den Bundespräsidenten „einer vorsätzlichen Verletzung des Grundgesetzes oder eines anderen Bundesgesetzes schuldig“ befunden hat, das Recht zu entscheiden, „ob und in welcher Höhe [die Ruhebezüge] zu gewähren sind.“

Wir erinnern uns: Christian Wulff trat zurück, als die Staatsanwaltschaft Hannover den Antrag auf Aufhebung seiner Immunität gestellt hatte, weil ein strafrechtlicher Anfangsverdacht (u.a. wegen Vorteilsannahme) bestünde, der zu Ermittlungen Anlass geben würde. Durch den Rücktritt vermied er nicht nur den in der Bundesrepublik historisch einmaligen Vorgang, die Immunität des Amtsinhabers durch den Bundestag aufgehoben zu sehen, was unmittelbar zu einer poltischen Konfrontation unter den dort vertretenen Parteien geführt hätte. Wulff hat vielmehr bisher nur hypothetischen Folgen die Spitze genommen, die er auch ohne weiteres hätte aussitzen können: Die Durchführung des Ermittlungsverfahrens, eines sich eventuell darauf stützenden Strafverfahrens und sodann einer eventuellen Präsidentenanklage.

Ein (un)moralischer Diskurs

Denn unsere Rechtsordnung sieht nicht vor, dass der, gegen den ein Ermittlungsverfahren läuft, sein Amt ruhen lassen oder zurück geben müsste. Die politische Keilerei, die sich daraus ergeben würde, wäre allerdings aus heutiger Sicht, da es nur um den bereits erfolgten Rücktritt geht, schier unfasslich. Man darf sich fragen, um wie viel unpersönlicher eine Entscheidung ausfallen müsste, um dann endlich als politische zu gelten. Oder, um es anders zu formulieren: Um wie viel weniger politischer Vernunft es sich handeln darf.

Noch befremdlicher mutet die Diskussion dort an, wo ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der angeblichen Straftat, derer Christian Wulff verdächtigt wird und einer jetzt schon Platz greifenden Sanktion -denn nichts anderes als deren Vorwegnahme wäre die Sperrung der Bezüge- hergestellt wird. Dass zu dem eine Prärogative des Bundesverfassungsgerichts in Frage gestellt wird, ist dabei nur sekundär.

Weit gravierender ist: Sie verstößt gegen die für jeden Menschen in Deutschland geltende Unschuldsvermutung, sie verkehrt sie sogar in ihr Gegenteil: Die Sanktion würde solange aufrechterhalten, bis nicht die Unschuld des heute Angeschuldigten bewiesen wäre. Dass dabei und jenseits jedes einzelnen Cent ein Menschenrecht auf der Strecke bliebe, scheint denen, die auch jetzt der „Unehrenhaftigkeit“ im Zusammenhang mit der Entscheidung des Präsidialamtes das Wort reden, reichlich gleichgültig zu sein.

Moralische Kategorien wie die der Ehre, von denen diese Republik zunehmend überschwemmt wird, haben immer ihren zweifelhaften Ruf bestätigt. Sie waren stets die Keulen, mit denen Menschen auf Ideologien zugerichtet worden sind, wenn sie deren Essenz schon nicht annehmen wollten. Sie sind in der gegenwärtigen Debatte zusätzlich das Rüstzeug, um ein Ergebnis zu erzielen, das Gesetze nicht hergeben. Wenn sich aber die Empörung und die darum herum versammelte Geschäftigkeit gelegt hat, was bliebe dann?

199.000 Euro sind ein guter Grund, zu fragen, wie niedrig ein Betrag sein müsste, um keine künstliche Entrüstung hervor zu rufen. Und ein ganz ausgezeichneter Grund zu überlegen, was die Auslobung eines Sündenbocks heute an Aufgabe für morgen bedeutet.

Oder können Sie ad hoc beantworten, welche Bezüge Herrn Seehofer zustehen würden?e2m

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Geschrieben von

ed2murrow

e2m aka Marian Schraube "zurück zu den wurzeln", sagte das trüffelschwein, bevor es den schuss hörte

ed2murrow

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