Digital sozial

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Netzpolitische Tagung der LINKspartei im Berliner Betahaus zum Thema "Netz für alle". Am Vorabend wurde noch rasch eine "Bundesarbeitsgemeinschaft Netzpolitik” in der LINKspartei gegründet, um keine kaderpolitischen Überraschungen zuzulassen. Aber sonst war die Tagung angenehm sachbezogen. Die digitale Spaltung also und ihre Ausweitung durch die aktuelle Sozialraub-Politik. Am Nachmittag entschied ich mich für das Panel gleichen Namens. Referentin Kathrin Englert hatte ihre Thesen vorab ins Netz gestellt, Referent Prof. Dr. Karsten Weber outete sich als eher strukturkonservativ, MdB Halina Wawzyniak moderierte.

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Die Diskussion blieb weitgehend eine antithetische: die Hartz-Gesetze verfestigen eine digitale Spaltung per Gesetz - soweit noch unbestritten. In den Hartz IV-Regelsätzen sind monatlich nur etwa 6,- Euro für Internet- sowie Onlinedienste und für Datenverarbeitung inkl. Software enthalten. Das Geld für die Anschaffung eines PC muss aus den Regelleistungen angespart werden. Netzzugang zählt nicht zur informationellen Grundversorgung.

Richtig so, sagen die verrohten Möchtegern-Bürger aller Parteien, wer aktiv werden will, muss selbst das Gesäß hoch bekommen. Die digitale Spaltung sei einfach eine demografische. "Unwürdigen" neue Technik hinzustellen, löse kein Problem. Die knappen Ressourcen müssten per Wolfsgesetz verteilt werden und Internet sei auch nur eine Spielart von werbegetriebenem Massenkonsum und ideologischer Lenkung durch die ominösen 200 Familien.

Dabei könnte das Internet den Ausgegrenzten neue Teilhabe eröffnen, vielfach Handlungsfähigkeit zurückgeben: soziale Netze monopolisieren bereits weitgehend die mitmenschliche Aufmerksamkeit, Online-Preisvergleiche lenken das Kaufverhalten, elektronische Markt-Plattformen ersetzen mehr und mehr Flohmärkte. Traditionelle Medien bieten weiterführende Informationen auf ihren Webseiten. Politisches Engagement bekommt neue Arbeitsmittel in Online-Petitionen, Bewertungsseiten oder Emails an Politiker. Foren, Chats oder Communities ersetzen die Lokalseiten der Presse. Informationen über Jobangebote, Einkommens- oder Zuverdienstquellen wandern ins Netz. Online-Bewerbungen werden zur Regel. Das elektronische Rathaus spart Behördengänge. Aktivitäten zu Heimatpflege und Umweltschutz erreichen ungefiltert ihre Adressaten, Spiel- und Freizeitangebote runden das Angebot ab. Auch bei der berüchtigten "Tagesstrukturierung" der Hartz-Betroffenen könnte das Netz helfen.

Falsch, sagen die Demografie-Gläubigen: Internet nützt den Alten nichts, sie arbeiten nicht mehr, sie finden ihre Infos nicht, werden noch verunsicherter und verwirrter. Technik an sich ist noch nicht emanzipatorisch. Als negatives Beispiel wird dann zumeist das Bürgerfernsehen zitiert, was wohl weitgehend zutrifft. Doch gibt es auch mehrere hundert Bürgerradios und offene Radiokanäle allein im deutschsprachigen Raum und sie schaffen täglich Medienkompetenz und politische Sprachfähigkeit. Webstreams und Podcasts helfen ihnen, unabhängig zu bleiben.

Die Diskussion glitt ins Kleinteilige ab, doch insgesamt zeigte sich die Stärke einer politischen Partei, Partei nehmen zu können, den Unterprivilegierten Austausch, Mitwirken und soziale Gemeinschaft in einem (gar nicht mehr so) neuen Medium zuzubilligen. Und die Unpfändbarkeit von internetfähigen PCs erscheint als längst überfällig. Schade, dass das Panel so mutlos endete, denn ein eigener Internet-Zugang gehört unbedingt in den Grundbedarf der Hartz-Gesetze!

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

hadie

Was die Arbeitnehmer jetzt brauchen, ist ein Rettungsschirm für die Portemonnaies. (Frank Bsirske)

hadie

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