Dürfen wir Tiere töten?

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Der Mensch, meint der amerikanische Anthropologe William Leonard, ist ein ganz schön merkwürdiger Affe. Schleppt ein riesiges Hirn auf seinen zwei Beinen mit sich herum und hat jeden Winkel unseres Planeten bevölkert. Eine Ausnahmeerscheinung unter den Primaten, deren Entstehung bis heute rätselhaft erscheint, die aber vor allem mit der Entwicklung dieses großen Denkorgans zu tun hat. Und mit dem Essen, denn ein großes Hirn braucht Energie. Was wir essen, schreibt der Leonard, gehört mithin zu den Dingen, die uns von unserer haarigen Verwandtschaft unterscheiden - weil sie das große Hirn des Menschen erst möglich gemacht haben. Nicht zuletzt das Fleisch hat dafür eine große Rolle gespielt.

Vegetarisch lebende Literaturkritikerinnen finden das heute irrelevant, weil der Mensch inzwischen ja auf einer weit höheren geistigen Stufe angekommen ist als der barbarische, in Fragen von Moral und Ethik unbedarfte Steinzeitmensch, und weil völlig klar erscheint, dass der Mensch sich heute ernähren kann, ohne dafür seine "nächsten Verwandten" - Kühe? Schweine? - umzubringen, sich also aufzuführen wie ein Steinzeitmensch. Überhaupt: Intellektuelle und Künstler setzen sich für den Vegetarismus ein! Wer kann denn da noch Fleisch essen, ohne archaische Dummheit zu demonstrieren? (Der ZEIT-Artikel ist nicht online, die ganze Ausgabe aus unten genannten Gründen aber im pdf zugänglich)

Dass das Hirn des Menschen ohne das Verlangen nach Fleisch und dem damit verbundenen Töten von Tieren nie so weit gekommen wäre, um über das Töten von Tieren überhaupt nachzudenken, darin sind sich Forscher ziemlich einig, nicht zuletzt, weil der Mensch sich im Gegensatz zu seinen tatsächlichen nächsten Verwandten, den Primaten, als genetisch prädestiniert zeigt, einen erheblichen Teil seiner Nahrung durch Fleisch zu decken. Doch der auf rein pflanzlicher Basis genährte Intellekt befasst sich wohl ungern mit derlei Erkenntnissen, die sich nicht in seinen bewusst gestalteten Alltag fügen. Er befasst sich jetzt lieber mit dem romantischen Gefühl der Nähe zum Tier und der Sehnsucht nach ethischer Integrität. Daran wäre im Grunde auch gar nichts auszusetzen - blieben nur die Gedanken nicht gleich an der Designeresstischkante hängen.

Tatsächlich, der Mensch muss in einer Welt des Wohlstands kein Fleisch mehr essen und es gibt viele gute Gründe, einen großen Bogen um Schlachtertheken und Wurstregale zu machen. Klimawandel, Tierquälerei in der Massenhaltung, Seuchen - Anstand und Forschung liefern genug Argumente für Zurückhaltung auf dem Teller. Auch die Autorin dieses Blogs verzichtet fast vollständig auf Fleisch. Trotzdem darf der Mensch nicht nur, er muss Tiere töten. Verböte sich der Mensch den scheinbar überheblichen Akt, bekäme er nämlich gravierende Probleme auf allen Ebenen seines Daseins - nicht nur mit seiner vegetarischen Ernährung, weil allein der Ackerbau jährlich Millionen Tiere tötet, vom Feldhasen über die Wühlmaus bis hin zum gemeinen Käfer, der das ästhetische Wir-Empfinden kultivierter Tierliebhaber vielleicht nicht mehr ganz trifft, aber doch immerhin ein Tier ist.

Wenn die Schriftstellerinnen Karin Duve es gerade mal mit dem veganen Dasein ausprobiert, und im Spiegel (leider auch noch nicht online) schließlich stolz berichtet, dass man nicht nur ohne Eier, Fleisch, Fisch und Milch leben kann, sondern auch ohne Lederschuhe, Daunendecken und Wollfilztäschchen, kann man "Intellektuelle verzichten auf Fleisch und wollen so eine bessere Welt schaffen" drüber schreiben. Aber während Duve das traurige Dasein eines Masthühnchens recherchiert, liefert ihr die moderne Industriegesellschaft wärmende Ersatzprodukte aus Plastik. Dass dafür Erdöl gebraucht wird und dessen Förderung tödlich für die Tierwelt ist, dürfte in den vergangenen Monaten niemandem entgangen sein. Vielleicht betreibt der Ökostrom die Schreibtischlampe, aber auch alternative Energie aus Wind schreddert Vögel und Fledermäuse zu Tausenden. Transportmittel aller Art metzeln jährlich ferner Vögel, Wale, wandernde Kröten dahin. Allein der Anspruch des Menschen auf Lebensraum ist mit dem Tod von Tieren verbunden.

Ein grausames Dilemma. Der Verzicht auf Fleisch erledigt das aber sicher nicht.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Kathrin Zinkant

Dinosaurier auf der Venus

Kathrin Zinkant

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