Strahlensalat: Mr. Sievert, Madame Curie und das Wildschwein

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Wer derzeit versucht, die Vorgänge in den Reaktoranlagen von Fukushima I zu verstehen ist vorläufig (und vermutlich länger) zum Scheitern verurteilt: Noch immer weiß niemand, ob die Reaktorkerne schmelzen, und wenn ja, welche, und wenn welche, warum. Die Experten der Deutsche Physikalische Gesellschaft, die gerade einen großen Kongress in Dresden abhalten, versteigen sich im Videostatement vom Dienstag dennoch zu der Aussage, der Kraftwerkbetreiber in Japan habe die Brennstäbe in Block 3 ganz bewusst trocken laufen lassen, um über einen Feuerwehrschlauch Meerwasser einfüllen zu können - was dann aber leider nur zu einer weiteren Explosion führte und zu neuen Problemen. Das nennt man dann wohl einen kontrollierten GAU.

Dass aus Fukushima I Radioaktivität austritt ist aber bittere Realität, und nun wird gerätselt, wohin die "Wolke" zieht und welche Strahlung diese Wolke mit sich bringt. Sehr erhellend in diesem Zusammenhang ist übrigens die Seite der japanischen Nuclear Safety Division am Ministerium für Bildung, Kultur, Sport, Wissenschaft und Technik: Auf einer Karte kann man hier die aktuellen Strahlungswerte nachschauen und schon der erste Blick verrät, dass fast ganz Japan völlig normal ist, radioaktivitätsmäßig. Alles echt gar nicht schlimm. Bis auf gestern zwei und heute drei Messstationen, die "under survey" sind und deshalb rosa und ohne Messwert.

Die Messwerte, so vorhanden, bergen eine weitere Irritation: Sie sind nämlich in Gray angegeben und nicht, wie sonst für die Benennung der Äquivalentdosis üblich, in Sievert (oder Millisievert). Was faktisch nicht gravierend ist (1 Gy entspricht schon irgendwie 1 Sievert) aber auch leicht verzerrend, weil das Sievert die Tatsache berücksichtigt, dass es gerade für biologische Körper nicht nur "radioaktive Strahlung" gibt sondern dass die Energiedosis, die sie aufnehmen, sehr stark von der Zusammensetzung der Strahlung abhängt. Das Gray bezieht diesen Umstand nicht mit ein.

An anderer Stelle ist nach Zeugenaussagen dieser Redaktion noch eine weitere fremde Einheit aufgetaucht: das Curie. Was läuft da zwischen Madame Curie und Herrn Sievert? Nichts, jedenfalls nicht direkt. Wie im Fall Gray haben wir es mit einer Synonymisierung von Einheiten zu tun, hier ist sie bloß einfacher: Curie heißt heute Becquerel und beschreibt die Radioaktivität eines Körpers selbst. Also nicht die Strahlungsenergie, die ein Körper aufnimmt und die ihn - sofern er biologisch ist - schädigen kann. Sondern die Strahlungsenergie, die ein Körper produziert.

Dieser Körper kann ein Reaktor sein, aber auch ein Wildschwein. Wildschweine wühlen im Boden, essen Trüffel und reichern deshalb noch 25 Jahre nach Tschernobyl radioaktive Substanzen in ihrem Körper an. Überschreitet die Radioaktivität eines Wildschweins den Wert von 600 Bequerel pro Kilo, darf es nicht verzehrt werden, weil es sonst radioaktive Substanzen in den menschlichen Körper bringt, die dort mit einer gewissen Aktivität (gemessen in Becquerel) ionisierende Strahlung aussenden, deren Energie dann in Millisievert gemessen wird.

Womit wir wieder bei Fukushima wären. Dort dringen bereits radioaktive Substanzen aus den Reaktoren und verteilen sich über die Luft in der Umgebung (im Moment Richtung Pazifik). Wer diese Radionuklide - Iod-131, Cäsium, Strontium - aufnimmt, wird selbst radioaktiv und verstrahlt von innen. Es reicht aber auch, mit radioaktiven Substanzen konfrontiert zu werden, ohne sie aufzunehmen, weil die Strahlung in den Körper eindringt. Je nach Strahlungsmenge (gemessen in Sievert) kann das böse Folgen haben, wie die folgende Tabelle zeigt:

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Geschrieben von

Kathrin Zinkant

Dinosaurier auf der Venus

Kathrin Zinkant

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