Verdammte Hacke: Kinder töten ihre Medea

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"Sophie Rois ist Medea" steht auf den Plakaten, die für Clemens Schönborns Inszenierung am Schauspiel Leipzig trommeln. Das klingt nach Mythos, dem Mythos Volksbühne. Und was wird aus Medea?


Am Samstag war Premiere im Centraltheater, und siehe da: Sophie Rois spielt Medea. Und sie ist die Inzenierung. Das ist dem Stück geschuldet, das Schönborn in eigener Fassung nach Euripides entschlackt hat. Jason kommt natürlich vor, sogar doppelt - David Kosel spielt den ungestümen Helden, Wolfgang Maria Bauer den hier etwas depperten Ehebrecher. Sie tun dies ausgezeichnet; wie auch Ellen Hellwig als Amme überzeugt. Den fünfstimmigen (Frauen-)Chor hat Christine Groß bestens präpariert. Er steht als Volk wie eine Wand, an der Medea abprallt; steht im Weg wie ein Wald, durch dessen Dickicht sie sich schlägt, souverän synchron. Doch ohne Rois, ohne dieses schrundige Sprechen, genügte all das nicht. Sie ist es, die hier sich und überhaupt bewegt, die schreit und flucht und dabei seltsam ziellos bleibt.


Es ist schwer auszumachen, was für einen Menschen Rois zeigen will. Im ersten Teil, in Kolchis noch, ist Medea eine Göre, die ein Götterliebling sein will, mit dem Scheitel die Sterne berühren. Sie fühlt sich ausgebremst in der Provinz und umwirbt Jason, der bereits bildhaft im Netz zappelt. Flugs erschlägt sie links und rechts in den Gassen die Verwandten, wie aus Eimern schwappt deren Blut auf die Bühne, ungerührt tritt die Amme beiseite. Das Blut klebt am Beil, nicht an den Händen. Es musste einfach sein. Warum, ist irgendwie egal. Diese Kinder töten Medea. In zwanzig Minuten stutzt Schönborn die Königstochter auf Menschenmaß. "Ende. Erster Teil" ist auf den Eisernen Vorhang projiziert. Dann kann's ja losgehen.


Und es folgt die stärkste Szene dieser insgesamt anderthalb Stunden. Medea, gealtert, schreitet ihren Spielraum ab. Dafür braucht Rois keinen Text. Tief in den Zuschauersaal ist die Bühne gebaut, Medea unter uns. Ein Versprechen, das für diesen Moment eingelöst wird. Jetzt, da die Frau vom Mann verraten ist, der einer besseren Stellung wegen in königliche Betten wechselt. Wer sich nicht anpassen will, ist nicht länger von dieser Welt, so Jasons Botschaft. Es ist doch aller Glück, wenn alle sich ein bisschen selbst verleugnen. Was zählt da ein Versprechen? Was soll da eigener Wille? Wohin führt denn der gewählte Weg? Zu sich. Medea barmt nicht, trauert nicht, sie sehnt sich nach dem jungen Jason, um von ihm Abschied zu nehmen, Erinnerungen auszulöschen. Sie würgt ihn auf einem riesigen Bett im ansonsten leeren Raum, das der gesellschaftlichen Dimension ihres Dilemmas im Weg steht. Während Jason antik umhüllt ist, glänzt Medea in zeitlos edlem Gewand, zunehmend enthüllt, ohne nackt zu wirken.



In der wohl schönsten Szene des Abends singen Kosel und Rois George Moustakis "Ich bin ein Fremder". Licht, Nebel, der Welt den Rücken. Das ist so bezaubernd, dass der Regisseur sich und alles darin verliert. Hier endet seine Geschichte. Der Rest - ein Abgesang auf die Tragödie. Schönborn, Jahrgang 61, entledigt sich ihrer durch Komik. Er verweigert die Deutung. Er verfilmt das Drama einer Mörderin, deren Motive ihr Geheimnis bleiben. Dank Rois ist eine starke Frau zu sehen, die keine Grenzen, kein Gewissen kennt. Sie ist weder die Medea Euripides' noch die Christa Wolfs. Der Mord an Jasons Neuer scheint ihr willkommene Herausforderung. Man kann jeden töten, wenn man nur will. Aber wie, "verdammte Hacke", wie? Schließlich schickt sie ihre Kinder als Selbstmordattentäter los. Die Bombe von der Amme mitgebastelt. So wird, wie nebenbei, die Amme zum interessanten Charakter: eine Mitläuferin, die ihren Job macht, deren Vernunft zur Gefahr wird, deren Gleichgültigkeit schaudern lässt.


Schönborn wollte sich wohl von den Müttern und Vätern der Medea-Rezeption befreien, Klischees karikieren. Das ist ihm gelungen. Nur wird ihm beim Aufbügeln des Mythos der Stoff fadenscheinig. Sein Trumpf sind die Schauspieler. Und Medea ist Sophie Rois, es stimmt schon.

Medea am Schauspiel Leipzig:
Regie: Clemens Schönborn
Medea: Sophie Rois
Amme: Ellen Hellwig
Jason: Davon Kosel/Wolfgang Maria Bauer
Bühne: Thomas Schuster
Kostüme: Nina Kroschinske


Termine: www.centraltheater-leipzig.de

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Geschrieben von

kay.kloetzer

Kulturtante in Leipzig.

kay.kloetzer

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