Kommunismus-Kongress Tag 2: Was kommt nach der Ewigkeit?

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Seit Freitag wird in der Volksbühne über die "Idee des Kommunismus" (Programm, Bericht vom ersten Tag) debattiert. Heute ging es weiter mit der Suche nach dem revolutionären Subjekt und der strukturellen Unausmalbarkeit des Begriffs "Kommunismus". Vor allem wollten heute alle Zizek hören.

Glyn Daly aus Leeds eröffnete am Morgen das zweite Panel. Er umriss zunächst Zizeks Politik-Begriff. Der demokratische Kapitalismus sei allumfassend, deshalb muss wahre "Politik" ein Ereignis sein, das außerhalb dieser Strukturen liegt. Auch wenn Partizipation heute genau das ist, was die demokratische Totalität von uns verlangt, so schließe diese Politik-Definition jedoch nicht aus, sich in bestimmten partikualaren Kämpfen zu engagieren. Es sei sogar unsere ethische Verpflichtung, sich an diesen Kämpfen zu beteiligen, auch wenn sie innerhalb des Systems liegen. Es gibt also laut Daly mehr als nur das revolutionäre Großereignis. Eine genaue Analyse der innergesellschaftlichen Antagonismen sei notwendig, so Daly weiter. Aus ihnen heraus müsse der Weg zum Handeln aufgezeigt werden. Schlussendlich stecke in jedem von uns ein potentielles revolutionäres Subjekt, ein „Avatar des Kommunismus".

Zizek widersprach, indem er den Begriff der Totalität mit Hegel als „failed totality“ bezeichnete. Die Totalität beinhalte bereits das scheinbar Ausgeschlossene. Es gibt also zunächst kein richtig im Falschen und keine revolutionäre "Politik" innerhalb der demokratischen Totalität. Zizek wandte sich deshalb noch einmal Negri zu, der am Abend zuvor die Arbeiterklasse als revolutionäres Subjekt ausmachte und im Vergleicht zu Zizek und Badiou den Klassenkampf zum kommunistischen Prinzip erklärte. Da dieser Klassenkampf innerhalb der Totalität stattfinde fragte Zizek noch einmal Negri, wie das heute konkret auszusehen habe. Ist Negris Multitude nicht nur innerhalb der Totalität des Staates denkbar? Und wie soll sie dann revolutionär sein?

Keine Totalität ohne Widerstand

Negri widersprach Zizeks hegelianischer Interpretation der Totalität. Denn in ihr fehle der Widerstand. Die Multitude brauche zudem nicht den Staat an sich, sondern will über ihn hinausgehen. Die Analyse des Kapitals alleine sei dabei heute nicht mehr zeitgemäß, so Negri. Es gehe stattdessen darum, die Aktivität der Arbeiterklasse voranzubringen. Bei Negri gibt es also im Vergleich zu Zizek immer noch ein revolutionäres Subjekt. Für Zizek hat die Totalität des Kapitalismus dieses bereits verinnerlicht. Negri tritt damit für eine Praxis ein, die greifbar und verständlich ist und bekommt für seine impulsive Erwiderung auch spontanen Applaus im Saal.

Das gleiche Thema auch im Vortrag von Saroj Giri. Für Giri setzt die Kritik am Kapitalismus bereits ein revolutionäres Subjekt voraus. Aus dieser Kritik könne eine „echte Bewegung“ entstehen, die die sozialen Beziehungen einer Gesellschaft transformiert. Er zitiert ein paar Autoren, die die Philosophie des Ereignises im Sinne von Badiou und Zizek als „narzistische Selbst-Beschäftigung“ und "Mystifizierung von Praxis" bezeichnen. Zizek erwidertet daraufhin, dass die größte Ideologie des Kapitalismus heute das Denkverbot sei: „Die Leute verhungern, hört auf abstrakt zu denken und handelt.“ Denn dadurch kommen nur jene Pseudo-Handlungen innerhalb der kapitalistischen Totalität zu Stande.

http://liebernichts.de/wp-content/uploads/2010/06/panorama_250.jpgIm zweiten Panel war er dann selbst an der Reihe. Nach Bülent Somay. Der erzählte, wie sehr der Kommunismus heute aus der Mode sei: „When I speak of communism, people look at me as if something is moving in their salad – so let us be the moving things in their salad. At least we are moving, they are not.“ Er schloss sich Badiou und Zizek an, indem er von der Revolution als Ereignis sprach. Die revolutionäre Praxis sei deshalb nichts, das wir bewusst vorantreiben können. Die Revolution sei vielmehr etwas, das geschieht. Alles was man tun könnte, ist bereit zu sein, wenn es soweit sei. Vorbereitung sei zum Beispiel ein solcher Kongress, der ein Bewusstsein für das Kommende schaffe.

Irgendwas mit Freiheit, Gleichheit und Solidarität

Was der "Kommunismus" eigentlich ist, wollte dann eine Zuhörerin wissen. Denn wir, denen ja nun die kapitalistische Ewigkeit drohe, würden schon gerne wissen, was da eigentlich auf uns zukomme. Das konnte Somay auch nicht sagen. Außer, dass es irgendwie um Freiheit, Gleichheit und Solidarität gehe. Über die Regierungsform könne man nichts sagen, und „hoffentlich gibt es den Staat nicht mehr“. Was die Revolution bringt, wisse man vorab nicht, denn sonst sei es keine Revolution mehr. Dann folgten noch einige Äußerungen zur revolutionären Gewalt. Die könne durchaus notwendig sein, man dürfe aber nie behaupten, das Recht auf Gewalt zu haben. Richtig schwachsinnig wurde es, als Somay meinte, die Palästinenser befänden sich in einem permanenten Zustand des revolutionären Moments, da sei Gewalt zwar ok, der wahre Revoluzzer verzichte aber auf sie.

Zizek hatte unterdessen neben ihm auf dem Tisch gewohnt nervös drei Mal sein ganzes Manuskript durchgeblättert und durfte dann endlich loslegen. Man müsse noch einmal ganz von vorne anfangen, sagte er. Mit Beckett: „Try again. Fail again. Fail better.“ Die Geschichte des Kommunismus müsse hinter sich gelassen werden. Stattdessen geht es vor allem gegen die Ideologie, die alles andere als den globalen Kapitalismus in das Reich der Unmöglichkeit verbannt hat. Noch immer würden 99 Prozent der Linken an einen Kapitalismus mit menschlichem Antlitz glauben.

Der wichtigste Kampf sei heute ein anderer als der marxsche Klassenkampf. Heute müsse man gegen die die „Pivatisierung der öffentlichen Vernunft“ („privatization of public reason“) vorgehen. In Europa ganz konkret gegen den Bologna Prozess, dem es darum gehe, die öffentliche Vernunft zu privatisieren, d.h. sie für die Gesellschaft und bestimmte Zwecke nützlich zu machen. Wie genau das gehen soll, das lies er offen, nannte aber als zweites Beispiel Microsoft: Bill Gates habe es geschafft dafür Geld zu verlangen, dass Menschen an einer bestimmten Öffentlichkeit teil haben können. Gegen diese Monopolisierung von Öffentlichkeit müsse man etwas tun.

Funktioniert auch ohne Glaube

Dann ging es zurück zur Ideologie. Und zum Glaube. Denn die Ideologie des Kapitalismus funktioniere wie der religiöse Glaube. Und Glaube funktioniert fast noch besser, ohne überhaupt an etwas zu glauben. Wie die Eltern, die ihrem Kind an Weihnachten vorspielen, es gebe einen Weihnachtsmann. Und die Kinder, die mitmachen, um ihre Eltern nicht zu enttäuschen. Oder der Typ, der sich einen Glücksbringer an die Tür hängt. Auf die Frage, warum er das tue, er glaube doch nicht daran, antwortet er: „Natürlich glaube ich nicht daran. Aber mir wurde gesagt, dass es auch hilft, wenn man nicht dran glaubt.“ So funktioniert laut Zizek auch die kapitalistische Ideologie. Der Kapitalsimus dauert fort, obwohl doch eigentlich jeder weiß, dass er nicht das gelbe vom Ei sei.

Mittlerweile hätten wir jedoch einen entscheidenden Punkt erreicht. Denn die größte Utopie sei nicht mehr der Kommunismus, sondern der Glaube daran, dass unser Wohlfahrtsstaat und alles drum herum ewig weiterbestehen könne. Insofern gibt es durchaus Dinge, für die der radikale Linke kämpfen muss, sonst komme es noch viel schlimmer als Berlusconi.

Für seinen lautmalerischen Vortrag und die vielen Beispiele bekam er standesgemäß jede Menge Lacher und Applaus vor vollem Haus. Wenn auch viele gerne konkreteres gehört hätten, in Bezug auf Bologna und eine mögliche Praxis, oder wie etwas Anderes als Kapitalismus eigentlich aussehen könnte. Aber dafür ist eine Konferenz der Ereignis-Philosophie wohl der falsche Ort. Badiou selbst, wenngleich immer anwesend, hat es bisher nicht für nötig gehalten, irgendetwas klarzustellen – er wird sich zu allem am Sonntag äußern.

Hier gibt es morgen Twitter-Updates.

Tag 1: Denken vor Handeln
Tag 3: "We are the ones, we've been waiting for"

(Fotos: Thomas Aurin. Der Mensch mit Saturn-Tüte ist Slavoj Zizek)

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