Bei Airen - eine Sympathieerklärung

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Aufgescheucht durch diese Hegemann-Geschichte trieb es mich die letzten zwei Tage immer wieder zu dieser Airen-Seite hin, der Quelle Hegemannscher literarischer Anverwandlung. Dass ich – in total anderer, logischerweise ruhigerer Lebensweise und doch in der gleichen Stadt wohnend - an einem so komplett verrückten, umgekippten, intensiven und anderen Leben wie dem dieses literarischenBloggers teilnehmen kann, das ist echt irre, finde ich.

Heute habe ich mich z.B. in eine Eintragung aus dem Juni 2007 hineingelesen, die Laberflash überschrieben ist.

airen.wordpress.com/2007/06/

„Ich fühle mich total scheisse. Es ist kein wirklicher Schmerz, so, wie er später im Alter allgegenwärtig sein wird, es ist nur diese entkräftigende Leere, dieses willenlose Angepisstsein, die Entzauberung der Maschine. (Dabei gibt es doch Techno!)“

Na das beginnt trivial. Aber, so eine Anmerkung wie die der Erwartung allgegenwärtigen Schmerzes im Alter, das verbindet mich mit einer Furcht, die mir vorstellbar ist und die ich „noch“ entkräften könnte, noch...

Oder eine andere Reminiszenz: „Im Sommer 2005 fiel die Loveparade aus. Ich war gerade 23, studierte in Frankfurt an der Oder und lebte in Berlin, in der Schönhauser Allee, zusammen mit Greg und wir beide verkifften ein ganzes Jahr. Das Programm hieß: Gras, Becks, Pink Floyd, Jimi Hendrix, und in etwa genauso viel DJ Rush und Gayle Sun. Ab und an an die Uni, Greg in Berlin an die FU, ich nach Frankfurt/Oder an die Viadrina.“

Mein Gott, was habe ich denn mit 23 Jahren gemacht. Studiert, genau. Im Herbst hat mich eine große Liebe verlassen und ich saß in einem großen Berliner Zimmer im Dunkeln ,wartend auf ein Treppenlicht, das jäh anspringt und jemandem vielleicht ein letztes Mal den Weg zu mir zeigt. Zu rauchenhatte ich auch, ziemlich viel, aber eben kein Gras. Jimi Hendrix’ „He Joe“, hätte mich auf düstere Weise von meinem Jammer entfernen können. Und, dann bin ich in die Schönhauser Allee gezogen – in eine Minibude, die mir einen Psychoknacks eingetragen hat.

Oder dieses: „Drinnen legt gerade Laurent Garnier auf, den Track mit dem Saxophon, ich tanze und denke krass, das Saxophon kommt von hinten und auf einmal steht da dieser Typ mit dem Saxophon mitten auf der Tanzfläche und spielt mir zu und die Musik ist saugeil, ich tanze, genau in diesem perfiden, funkigen House-Beat und uns beiden treten fast die Augen raus, einer der geilsten musikalischen Momente meines Lebens“

Eine bestimmte Art des sich Verstehens, das alles andere schlägt, was es noch so an Annäherungen geben mag, das gibt es in der Musik, ganz genau so ist es. Nur: dass meine Worte darüber andere wären, wenn ich sie fände.

Im Juni 2008 erklärt er sich:

airen.wordpress.com/2008/06/

Zuallererst war ich buechersuechtig. Dann gitarren- und erst mit viel Verspaetung techno- und drogensuechtig. Das ging einher, das war eins, da war auf einmal ein unbremsbares Verlangen nach der vollen Intensitaet des Lebens, dessen Vergaenglichkeit man so gerade eben verstanden hatte.

Mein Koerper wuchs nicht mehr, jetzt musste unbedingt das Gefuehl wachsen. Da war der Polarstern des Exzesses ueber den gar nichts mehr geht. Da waren die Moonboots und da war ich unter dem weitesten Himmel ever, da explodierte die Wahrnehmung und da war auf einmal der Rausch der uebergefuehlten Liebe zur Welt. Da war Techno und da war alles klar. Da war ich. Da war Airen.“

So wird in einer Sprache, die mir manchmal fremd klingt, aber - trotz ihrer ziemlichenWucht und manchmal Öbszönität - überhaupt nicht befremdlich ist, an einem Leben entlang erzählt.

Ich denke: Der Abstand zwischen den Seelen muss heute irgendwie anders sein als früher, ich weiß es nicht, aber trotzdem...es gibt dieses ständige Suchen. ... ständig . Und gefunden wird Speed und Gras.

Lebenshunger, das Selbstzerstörerische, von dem ich nicht weiß, wohin es führen mag – und dies alles mit offenem Ausgang, das verfolge ich, merkwürdig aufgescheucht und dann wieder beruhigt. Ich muss nicht mehr so herumkurven im Schicksal und andauernd suchen. Der Lebenshunger ist nicht mehr mein Problem, ich sorge mich eher, dass ich lebenssatt werde vor der Zeit.

Eine Wendung, wie die „übergefühlte Liebe zur Welt“, das haut mich voll um.

Der Autor war eine Weile in Mexiko, soll jetzt wieder in Berlin sein. Ich wünschte mir, er führte seinen Blog weiter, so fremd, so bekannt, so verrückt und so auf der Kippe.

Noch etwas fällt mir gerade ein: Es gibt in Berlin eine Gruppe von jungen Autoren. Sie nennen sich die „Chaussee der Enthusiasten“ und lesen immer mal im RAW-Tempel in Friedrichshain.Einer von ihnen, Jochen Schmidt, schreibt und blogt auch beim „Freitag.de“

Der hat in einem Rundfunkfeature über sein Schreiben Sätze gesagt, die mir freundlich im Ohr klangen.

„Im Grunde stell ich mir beim Schreiben immer ne ältere Dame vor als Leserin, jemanden, der schon ein bisschen was erlebt hat im Leben.“

Wunderbar – da denkt man, man ist jenseits aller Zielgruppen-Überlegungen und erfährt – von einem zwar nicht ganz so lebensaufgerauhten jüngeren Schreiber wie Airen, aber doch dieser Altersgruppe – dass man gemeint ist, zumindest mit gemeint.

Ich bin kein Zaungast, sondern Zielgruppe – wie schön. Jedenfalls bei Jochen Schmidt. Bei Airen, na das weiß ich nicht. Und bei Helene Hegemann schon gar nicht.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Magda

Immer mal wieder, aber so wenig wie möglich

Magda

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