Sky Walk Schönhauser

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Sky Walker – Himmelsläufer müssen die Sprayer selbst gewesen sein, denn anders kann ich mir nicht erklären, wie sie den Riesenschriftzug "Sky Walk" so hoch an diese Brandmauer gekriegt haben. Vielleicht eine Mutprobe.
Immer wenn ich mit der U-Bahn die Schönhauser entlang fahre, fällt mein Blick auf dieses Graffito.
Die Wand gehört zu einem Seitenflügel in der Schivelbeiner und, weil das Haus davor fehlt ist der Blick ganz frei.
Sky Walk - dort oben, genau hinter diesen Schriftzeichen liegt die Wohnung, in der ich viele Jahre lebte und sie war tatsächlich ein Himmelsgeschenk. Damals hieß die Strasse noch "Willi-Bredel-Strasse" , vorher hieß sie Schivelbeiner Strasse und jetzt heißt sie wieder so.


Es war also meine erste richtige, ordentliche Wohnung, mit Küche, Bad und - welch ein Luxus -; zwei Zimmern. Ein Glücksfall von 48 Quadratmetern, der 58 Mark der DDR kostete. Vorher hatte ich eine Studentenbude von 12 Quadratmetern am unteren Ende der Schönhauser, die mir eine langanhaltende Claustrophobie beschert hatte. Danach übernahm ich die Wohnung einer Kommilitonin weiter oben in der Schönhauser. Der Trick war, dass man sich als Untermieterin dort anmeldete und dann wohnen bleiben konnte, auch wenn die Hauptmieterin auszog. Manchmal kostete das intensives Jammern auf dem Wohnungsamt, manchmal ein paar Tränen oder auch nur ein Päckchen Kaffee. Es war wieder eine alte Bude, die aber im Sanierungsgebiet lag und darum mussten wir alle bald raus, vorübergehend oder für immer. Mich wollten sie - weil ich als "Auswärtige" für Berlin, Hauptstadt der DDR keinen "Zuzug" sondern nur eine Aufenthaltserlaubnis hatte - gleich wieder in so ein Loch mit Außenklo verfrachten. Es gab damals strenge Regeln, die man nur durch Zähigkeit umgehen oder durchbrechen konnte. Gar nicht so anders als heute und doch wieder anders. Ich fand Fürsprecher bei der Gewerkschaft meiner Arbeitsstelle und machte auch selbst eine Eingabe. Manchmal half das.

Als ich eingezogen war, wurde noch viele Monate lang an dem Haus und dem Innenhof gearbeitet. Wenn ich von der Arbeit kam, sah ich den Bauarbeitern bis spät in den Abend zu. Wie sie Platten verlegten, die kleine Grünanlage mit Steinen einfassten, die Mülltonnen mit einer Mauer abgrenzten und dabei miteinander redeten oder Witze rissen. Dann wurde gepflanzt und nach und nach bekam der Hof ein grünes Gesicht. Wenn ich mich einsam fühlte, sah ich aus dem Fenster in das Wohnzimmer der Familie gegenüber. Die saßen am Samstagabend alle am Tisch unter einer grünen Lampe, spielten Karten und lachten.


Der Prinz von Bahai
In die Wohnung unter mir zog bald eine junge Frau. Nach einigen Begegnungen auf der Treppe freundeten wir uns ein bisschen an. Ich hatte ein Päckchen für sie angenommen und sie bat mich auf einen Kaffee. Später tranken wir auch einen oder mehrere Weinbrand. Ich leerte mein erstes Glas bei ihr auf diese schöne Wohnung, aber sie klagte während sie sich noch einen eingoss. Ich verstand von ihrer schnellen abgehackten Rede nur einige Worte: Eigentlich... Vorderhaus ...Verkaufsstellenleiterin... Großkopfige ...mehr Platz ...Kind. Später gewöhnte ich mich an diese sonderbare Redeweise und ergänzte im Kopf, was ich akustisch nicht verstand. Ich dachte mir, dass sie als eingesessene Berlinerin wohl anspruchsvoller war, als ich mit meinen provisorischen Wohnberechtigungen
Während sie sprach, streichelte sie ihren Sohn, der sich an ihren Schoß lehnte und mich schüchtern ansah. Er war dunkelhaarig und hatte den gleichen brünetten Teint wie sie. Sie war groß und sehr kräftig und zupfte mit hastigen Bewegungen an ihm herum, hielt ihn fest, wenn er versuchte, sich ihr zu entwinden.
In meiner Wohnung hörte ich manchmal, wie der Junge weinte und fragte mich, ob er vielleicht wegen der zu vielen Liebe weinte, die ihm zugedacht war.
Sie trank sehr viel, auch bei unseren späteren Begegnungen. Sie hob das Schnapsglas mit einem Ruck, trank Ex und setzte es mit einem Ruck wieder ab. Ich konnte damals auch einen Schlag vertragen, aber gegen sie gab ich schnell auf.
Er sei ein Prinz, ihr Sohn, erzählte sie mir, ein Prinz von Bahai. Deshalb müsse sie immer sehr aufpassen, weil sein Vater ihn entführen wollte. Der gehöre zur dortigen Herrscherfamilie.
Ich nickte verständnisvoll, obwohl ich das nicht so richtig glaubte. Ihrer Wohnungseinrichtung sah man an, dass sie Westgeld hatte oder jemanden kannte, der ihr Sachen aus dem Intershop besorgen konnte. Vor der Schrankwand, auf die man damals eine Weile warten musste, lag ein besonders weicher Teppich mit Fransen. Flokati hießen die Dinger wohl. Sie hatte einen Riesenkassettenrekorder, wie es sie im Osten noch nicht gab. Auch das Spielzeug für das Kind war nicht DDR-Produktion. Und auf der Konsole im Bad lagen Kosmetika aus dem Westen. Das hat mir der Vater von Mike geschenkt, sagte sie, als ich vorsichtig fragte, aber jetzt gäbe es Streit mit ihm, weil sie das Kind nicht an ihn herausgebe. Sie verschloss immer wieder die Tür zu unserem Aufgang, weil der Vater angeblich wieder in der Nähe lauerte. Dann war es noch schwerer, zu mir zu gelangen. Ohnehin konnte man unseren Aufgang nur durch das Nachbarhaus erreichen und ich musste immer lang und breit erklären, wie man um die Grünanlage herum gehen musste, um den Eingang zu finden. Es gab keine Klingelanlage und kein Telefon damals. Einen Mann, der wie ein Araber aussah oder irgendwie orientalisch wirkte, habe ich in der ganzen Zeit nicht in unserem Umkreis gesehen.
Wie alle anderen Leute in der DDR arbeiteten auch wir damals sehr lange und kamen abends erst spät nach Hause. Manchmal begegneten wir uns nach sechs Uhr abends auf der Strasse vorm Haus. Sie kam mit ihrem Sohn aus dem Kindergarten und dann gingen wir gemeinsam die Treppe hoch und unterhielten uns. Oft sahen wir uns wochenlang nicht. Dafür hörten wir aber voneinander.

Nicht lange nach ihrem Einzug hatte sich die Nachbarin einen Plattenspieler gekauft. Den drehte sie viel lauter als den Radiorekorder. Sie hörte viel Blues und Lieder die Manfred Krug mit seinem weichen Bariton sang. Hin und wieder kam sie erst spätnachts nach Hause, es polterte ein wenig und dann fing Krug an zu singen. Ich wunderte mich immer, wo das Kind zu der Zeit war. Entweder war es gar nicht zu Hause oder es blieb ohne zu Klagen allein, was mir unwahrscheinlich vorkam. Ganz selten hatte ich den Jungen bei mir oben zum Spielen oder zum Fernsehen. Wir kamen gut miteinander aus. Nur, als ich ihn einmal gefragt hatte, ob ihm der Film gefiele, den wir sahen, wurde er verlegen, als sei er solch eine Frage nicht gewohnt.
Wenn ich nachts von der Musik aufwachte, war ich ziemlich wütend, aber ich wollte mich mit ihr nicht streiten. Ich spielte hin und wieder Klavier und sie hatte sich noch nie beschwert.

Einmal sprach ich mit dem Hausbesitzer, bei dem wir alle damals die Miete persönlich ablieferten, ob er nicht auch manchmal wach würde von Manfred Krugs Gesang. Sein Schlafzimmer im Vorderhaus grenzte an ihr Wohnzimmer. Ja, er höre das auch, meinte er, er dächte dann immer an sie, wie sie so im Wohnzimmer säße. Vielleicht im Dunkeln, sie sei doch so allein. Als ich ihn so reden hörte, sah ich ihn - der mir immer einfältig und ruppig vorgekommen war - mit anderen Augen als bisher.
Immer wieder hörte ich das Kind weinen und wie sie mit ihm redete. Je verzweifelter ihre Stimme klang umso verzweifelter klang sein Weinen. Wenn sie zu laut wurde, dann hörte ich auch Wortfetzen wie "undankbar, böse, immer nur an Dich" In den Monaten darauf aber wurde das Weinen des Kindes trotziger und lauter.

Wir tranken noch immer hin und wieder einen Kaffee zusammen, ich erzählte ihr, dass ich jemanden kennen gelernt und mich verliebt hätte. Eines morgens - ich hatte Spätdienst gehabt und lag noch im Bett - wachte ich davon auf, dass jemand laut an die Tür der Wohnung unter mir klopfte. Eine weibliche Stimme rief immer wieder " Mach doch endlich auf". Ich hörte leise Geräusche in der Wohnung, aber die Tür wurde nicht geöffnet.
Ich schlief wieder ein und erwachte erneut von lautem Hämmern und Bohren. Ich sprang aus dem Bett, lief auf den Treppenabsatz und guckte nach unten. Die Tür wurde aufgebrochen und als ich zurück in die Wohnung gekommen war und aus dem Fenster sah, sah ich die Nachbarin mit zwei Polizisten über den Hof gehen.
Ich fragte mich, wo denn ihr Kind sein könnte, der kleine Junge. Aber ich musste zur Arbeit und konnte deshalb nicht warten. Am nächsten Tag sah ich vom Hof aus Licht in ihrem Fenster und klopfte an die provisorisch reparierte Tür.
Es blieb eine ganze Weile still, aber dann öffnete sie doch. Sie sah verheult aus und war betrunken. "Sie haben mein Kind entführt", klagte sie. Ich erschrak, aber konnte mir ihr Verhalten nicht deuten. Sie weinte zwar, aber es waren nicht Empörung und Aufbegehren, sondern Resignation die sie ihn Tränen und Weinbrand ertränkt hatte.
Ab da führte sie ein sehr unstetes Leben, von dem ich nicht viel mitbekam, weil ich mit meiner neuen Liebe zu tun hatte.

Jetzt hörte ich manchmal eine Männerstimme in ihrer Wohnung, meistens aber auch nur den Manfred Krug mit seinem "Niemand liebt Dich so, wie ich". Eine Kinderstimme hörte ich nie mehr. Nach einiger Zeit zog sie aus und kam zu mir, um sich zu verabschieden. Ich fragte sie vorsichtig wegen ihres Sohnes. Man habe ihr den Jungen weggenommen, weil es sonst mit den Bahai diplomatische Verwicklungen gegeben hätte, erklärte sie.
Einige Jahre später sah ich ihren Sohn. Das war in einem anderen Stadtbezirk, in dem ich zufällig zu tun hatte.
Er ging mit einem Mann und einer Frau auf der Strasse, sie unterhielten sich laut und lachten. Sie sahen beide europäisch aus überhaupt nicht Bahai-mäßig.
"Sieh mal Papa", rief der inzwischen zehn Jahre alte Junge und zeigte auf ein Fahrrad im Schaufenster".

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Geschrieben von

Magda

Immer mal wieder, aber so wenig wie möglich

Magda

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