Therapeutische Bücher V – Peter Handke „Sammelband“

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Das letzte Buch in der Reihe war:

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Heute geht’s weniger um ein therapeutisches Buch, sondern um den Umgang mit einer Literatur, die mir immer schwierig und fremd erschien oder erscheint.Die Therapie besteht darin, Texte anders lesen zu lernen. Nicht immer ein Buch so schnell durchzulesen, literarische Geduld zu üben. Eine Therapie, von der ich hoffe, sie hilft mir hin und wieder gegen die Geschwindigkeiten, mit denen das Internet Texte ausspuckt.

Peter Handke "Versuch über die Jukebox"

Das „Rad der Geschichte“ - Geschichts- und Weltflucht

Ich habe kürzlich in einer Rezension von Handkes "Don Juan" gelesen ,dass H's ganzes Schaffen eine einzige Flucht vor der erzählten Geschichte sei. Was flieht er denn dann ,was schreibt er denn auf. Fragte ich mich nun wieder.

Solchermaßen angeregt habe ich mir das einzige Handke-Buch, das ich besitze, hervorgekramt und mir gut zugeredet: „Lies es jetzt endlich...aber wirklich Lesen, nicht Durchlesen, wie Du es immer mit Zeitungen und manchmal ganzen Büchern machst, vielleicht findest Du ja diesmal den bisher nicht erreichten inneren Zugang zu dieser schwierigen Prosa“, ermahnte ich mich. Also griff ich nach diesem Sammelband mit drei Versuchen.

Neben den Texten „Versuch über die Müdigkeit“, „Versuch über den geglückten Tag“war auch der „Versuch über die Jukebox“ in dem Band.Sich an einem Versuch über die Müdigkeit zu versuchen, schien mir eine zu ironische Herausforderung, denn ich wurde ja bisher bei Handke-Texten zwar nicht müde, aber doch unlustig, was eine Vorstufe ist und dem genialen Schriftsteller nicht gerecht wird.

Und der „geglückte Tag?“ - das klang mir zu sehr nach katholischer Theologie. Ich erfand eine ironische Predigt:„Was ist das – ein geglücktes Leben? Nun liebe Gemeinde, wir streben danach, indem wir mit dem geglückten Tag beginnen“, oder so ähnlich.

Das ist natürlich eine naive und simple Variation auf die Handkesche Prosa. Trotzdem ich wollte jetzt da ran. Ich wollte es jetzt diese Prosa lesen, wenn ich etwas für sie oder gegen sie vorzubringen habe, dann wollte ich es vorbringen oder für immer schweigen.

Der „Versuch über die Jukebox“ also. Worum es geht ist schnell erzählt: Ein Mann, der Erzähler, reist ins spanische, sehr abgelegene und weltentfernte Soria, um etwas zu tun, was er schon lange vorhatte, nämlich über den Einfluss dieses heute schon altmodischen Gerätes – der Jukebox - in den verschiedenen Entwicklungsstadien seines Lebens zu schreiben.

Geschehen soll dies in dem Jahr, da das Rad der Geschichte sich schneller und besessener zu drehen beginnt, als jeder Jukebox-Plattenteller. Und obwohl man dem Autor den Antrag macht, vor Ort zu sein, schreibend an diesem historischen Jahr 1989 teilzuhaben und in Worte zu fassen, was da an Geschichte passiert, er lehnt ab, schiebt das Jukebox-Projekt vor, „sofort, instinktiv geradezu zurückschreckend“ bei dem Gedanken dass schon am nächsten Tag das erste Gedicht oder der erste Songtext zum Thema in der Zeitung stünden. Er schüttelt sich bei dem Gedanken. Aber er schüttelt auch über sich den Kopf, weil er „jetzt da die Geschichtedas größte Märchen der Welt“ schreibt, sein eigenes merkwürdiges Jukeboxprojekt weiterführt. In einem Nebensatz fragt er sich hingegen, ob es am Ende nicht doch wieder die alte Gespenstergeschichte ist, die sich fortschreibt.

Jedenfalls: Das Räderwerk einer fragwürdigen Geschichte soll ihm nicht hinein fuhrwerken in die Räder der Geschichten, die sich in seinen Träumen drehen. Von allem träumt er da, was den Menschen und der Menschheit widerfährt. Von Krieg und Frieden, Himmel und Erde, Liebe und Hass.

Im Traum ist alles da, auch die Gefühlen, die er im Wachsein konkret nie erfährt. Nur dann, wenn er seine Geschichten träumt, wird allgemeine Dankbarkeit zu der Dankbarkeit und eine Trauer zu der Trauer, wie nur er sie empfinden konnte. Er soll und er will, aber er kann es nicht erzählen. Darum zieht er sich zurück zur Geschichte der Jukebox und erzählt von den verschiedenen Modellen, die es gibt von der Wurlitzer, dem bekanntesten von ihnen und den wenigen Änderungen durch die Zeiten, die sie erlebt hat.

Und er erzählt von seinem Gefühl, wenn er die Musik hört, die er in der Jukebox ausgewählt hat.

Einmal hat er ein Schlüsselerlebnis:

„Bei einer Erinnerung ans frühe Jurastudium taucht das Café wieder auf, in dem er eine Musik hörte, "bei der er zum ersten Mal im Leben, und später nur noch in den Augenblicken der Liebe, das erfuhr, was in der Fachsprache ‚Levitation' heißt, und das er selber mehr als ein Vierteljahrhundert später wie nennen sollte: ‚Auffahrt'? ‚Entgrenzung'? ‚Weltwerdung'? Ohne zunächst wissen zu wollen, wer die Gruppe war, deren Stimmen, getragen von den Gitarren, gleichermaßen einzeln, durcheinander und endlich unisono erbrausten – er hatte in den Jukeboxen bisher die Allein-Sänger bevorzugt – staunte er einfach. Als er dann aber bei seinem selten gewordenen Radiohören einmal erfuhr, wie der Chor der frechen Engelszungen hieß, die mit ihrem mir nichts, dir nichts hinausgeschmetterten ‚I want to hold your hand', ‚Love me do', ‚Roll over Beethoven' alles Gewicht der Welt von ihm nahmen, wurden das die ersten sozusagen ‚unernsten' Platten, die er sich kaufte (er kaufte in der Folge fast nur noch solche). Und heute noch dachte er, das Anfänger-Schallen der Beatles im Ohr, aus jener von Parkbäumen umstandenen Wurlitzer: Wann würde je wieder solch eine Anmut in die Welt treten?“

Das ist so eine Stelle, wo man staunt und versteht, warum sich der Autor entschließt, über ein Medium zu schreiben, aus dem er zum ersten Mal von dieser Anmut bewegt wurde. Ich habe davon den Begriff „Levitation“ in meinen Sprachbesitz übernommen.

Während ich so las, fragte ich mich zwischendurch, warum ich immer so viel äußeren Anstoß und inneren guten Willen brauche, um mich diesen Texten zu nähern. Ich fragte mich weiter, warum ich mich dann doch andauernd mit diesen Texten befasse. Was fasziniert mich daran?

Ist es ein kleiner Neid, der mich treibt, diese Sachen zu beschleichen wie ein Indianer und vielleicht doch noch zu erjagen? Aber das hat was mir selbst nicht ganz Geheures. Denn ich bin kein literarischer Mensch, kein Schöngeist, der gleich eine Prosa so mir nichts dir nichts einordnen kann, seine Freude hat an der Wortkunst. Mir geht es immer um eine Mitteilung, etwas im Stil von „Ich muss Euch was erzählen“. So aber ist Handke nun überhaupt nicht, er scheut davor förmlich zurück und darum fasziniert mich diese, mir gar nicht vertraute andere Seite von Literatur, in der keine Geschichten erzählt werden, weil Geschichten ein Endpunkt sind. Geschichte bedeutet in der Prosa Handkes die Stunde der wahren Empfindung, die sich niemals einzustellen scheint, eine Art von Ewiger Verheißung, um Himmelswillen, wenn sie eingelöst würde. Und so geht es mir auch mit dem Text. Man lässt sich nicht alle Tage auf eine sakrale Handlung ein.

Geschichtliche Umbrüche aber sind keine solche Verheißung, sind nicht die Stunde der wahren Empfindung, wenn sie auch noch soviel „Geschichte“ herumwälzen. Ihnen ist nicht zu trauen. Sie sind das, was alle in diesem Jahr 1989 ausriefen: „Wahnsinn!!!“. Und auch ich rufe mir jetzt innerlich zu: Wahnsinn – ich habe die Geschichte zu Ende gelesen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Magda

Immer mal wieder, aber so wenig wie möglich

Magda

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