Winnetou oder "deshalb bin ich in der FDP"

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Der Deutschlandfunk hat sich den Spaß gemacht, zu diesem Vorlesetag Politiker nach ihren frühen Lesegewohnheiten und heutigen Vorleseerfahrungen zu fragen. Schon vor eineinhalb Jahren war eine ähnliche Umfrage unter den DLF-Moderatoren nach dem je liebsten Buch sehr instruktiv (Dirk Müller: "Lucky Luke, Band 34, Der Psycho-Doc"). Nun erfährt man unter anderem, dass Hubertus Heil "Prinzessin Lillifee" gewöhnungsbedürftig findet.

Highlight ist aber das "Winnetou"-Bekenntnis von Rainer Brüderle (FDP). Brüderle erklärt, dass er natürlich "für die vermeintlichen Underdogs, weitgehend ausgerottet" war, und seine Sympathien "nicht bei den Militäreinheiten, die die Apachen bekämpft haben" lag.

Da kann man kurz stutzen, ob Karl May wirklich schon so postkolonial geschrieben hat, wie Brüderle ("Bin dann auch öfter bei Fastnacht als Indianer rumgelaufen, für die Silberbüchse hat's nie gelangt, für die braune Gesichtsfarbe ja") ihn hier liest – die Militäreinheiten etwa kommen bei May doch zumeist als Kavallerie im Namen der guten, versöhnlichen Sache zum Einsatz. Und Brüderles Eindruck, die Lektüre habe früh "Liberalismus, Menschenrechte, ähnliches mit einimpfen" geholfen, kann man ebenfalls in Zweifel ziehen – als politische Figur stellt man sich Winnetou am ehesten als parteilosen, christlich basierten Universalhumanisten vor.

Die schönste Stelle ist dem kurzen Statement ist aber die folgende: "Mein Herz war immer bei den Kleineren, deshalb bin ich auch bei der FDP, und bei den Unterdrückten, deshalb bin ich ja auch für Minderheitsrechte." Man traut seinen Ohren nicht; beim ersten Hören klingt Brüderle wie die Satire, die das Kabarett über die FDP erst machen würde. Aber Rainer Brüderle meint das ernst – nach Jahrzehnten in der Politik: dass seine Partei, die FDP, die Partei der Kleineren und Unterdrückten sei. In dieser Selbstbeschreibung steckt das ganze Drama dieser einst stolzen Partei.

Man weiß nicht, ob man lachen oder weinen soll. Christoph Heinemann, der DLF-Moderator, hat sich bei der Abmoderation fürs Lachen entschieden.

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Geschrieben von

Matthias Dell

Filmverantwortlicher

Matthias Dell

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