Matthias Matussek - ein Reaktionär?

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion


Als die Community-Redaktion Das katholische Abenteuer zum nächsten Buch erklärte, das gemeinsam gelesen werden soll, stieß sie zum Teil auf heftige Ablehnung. Das überrascht nicht. Allein an der Zahl seiner Feinde gemessen kann sein Autor als Großer bezeichnet werden. Kurz bevor das Buch erschien, Anfang des Jahres, hatte Matthias Matussek sich in der Islam-Debatte zu Wort gemeldet, und einen Angriff gegen Patrik Bahners und dessen Buch Die Panikmacher gefahren, der seine Gegner abermals zur Weissglut trieb. Der SpiegelOnline-Beitrag findet sich im Buch wieder, denn so schnell werden Sachbücher heute gemacht, und lässt sich auf die Formel bringen: Bahners und Co. zeichnen den Islam weich.


Einig weiß sich Matussek mit Benedikt XVI, der zu Beginn seines Amts Manuel II Palaiologos zitiert hatte. Es sei fraglich, so der byzantinische Kaiser, ob Mohammed viel Neues gebracht habe, es sei denn, dass er "vorgeschrieben hat, den Glauben, den er predigte, durch das Schwert zu verbreiten." Man rätselte, was den Papst da geritten hatte. Matussek sieht die Motivlage so: „Er war um Randschärfe bemüht“.

Unzeitgemäße Betrachtungen

Dieses Bemühen gilt auch für das eigene Werk. So harsch dabei die Kritik am Islam ausfällt, so herzlich werden die Päpste gezeichnet (schwärmend ein Porträt von Johannes Paul II). Es ist ein rigoroses Freund-Feind-Denken, das Matussek auszeichnet; dabei gilt, nach einem berühmten Wort von Carl Schmitt, auch für den katholischen Publizisten und sein Verhältnis zum Islam: Der Feind ist die eigene Frage als Gestalt. Sprich, vieles ist sich da sehr ähnlich, der vitale Glaube zum Beispiel. Umso wichtiger die Trennschärfe. Dieses Freund-Feind-Denken wirkt für die einen abstoßend, für andere aber hoch attraktiv; es verspricht Klartext.

Vorbild ist in dieser Sache der Bischof von Fulda, Johannes Dyba, genannt die „Axt Gottes“, der die tiefe Krise des Katholizismus lapidar mit einem "dann trennt sich die Streu vom Weizen" kommentiert hatte. Kaum verwunderlich, dass der 2000 gestorbene Dyba in Matussek einen leidenschaftlichen Verehrer findet. Er bewundert an Dyba das Kantige und Kompromisslose, das radikal Unzeitgemäße, den Heroismus dessen, der die Stellung hält, noch wenn der Posten verloren scheint: „'Die Menschen dort abzuholen', wo sie sind, wäre ihm nicht im Traum eingefallen. Die Menschen sollten von alleine kommen, denn die frohe Botschaft und die Liturgie und das, wofür die katholische Kirche steht, sollten attraktiv genug sein.“

Sodann findet sich ein Gespräch rekapituliert, das Matussek mit Dyba zwei Jahre vor dessen Tod geführt hat. Unter anderem ging es um die von Dyba fanatisch bekämpfte Homosexuellenehe. "Aber natürlich ist Dyba gegen die Schwulenheirat, ganz einfach, weil das Sakrament der Ehe nun mal zwischen Mann und Frau gespendet wird. Das ist, sozusagen, katholische Hausordnung. Die wird im Übrigen nicht nur durch die Bibel, sondern auch durch das Grundgesetz favorisiert."

Sympathy for the Devil

Man spürt ein Unbehagen in diesen Zeilen. Gewiss, Matussek teilt die erzkonservativen Ansichten Dybas 'irgendwie', ist aber doch ganz froh, dass ihm das weltliche Grundgesetz zur Seite springt. Der Autor ist eben nicht nur Katholik und wurde anders als Dyba durch die Pop- und Protestkultur der 60er und 70er Jahre sozialisiert (ein paar Seiten handeln im aktuellen Buch davon, mehr in seinem vorletzten Als wir jung und schön waren). Die Folge: die reaktionäre Weltsicht des 'wahren' Katholizismus wird in einer Faszinationsfigur gespiegelt und gebrochen. Übrig bleibt die Bewunderung für eine „Haltung“, bleibt der radikale Gestus, nicht die Radikalität selbst – Das katholische Abenteuer. Eine Provokation.

In der Tat. Aber man täte Matussek unrecht, würde man das provokative Moment nur im publizistischen Kampf für eine Weltanschauung sehen. Denn der Katholizismus ist auf der einen Seite ein komplexes ideologisch-machtpolitisches Geflecht, auf der anderen Seite aber ein Ritus. Das „katholische Abenteuer“, das er uns vor Augen führen will, ist in erster Linie die religiösen Erfahrung, die der katholische Gottesdienst ermöglicht. In der Liturgie scheint das Heilige erfahrbar, wie der Religionswissenschaftler Rudolf Otto es verstand: als mysterium tremendum wie als mysterium fascinans. Diesem „Geheimnis der Form" (Matussek) aber sind alle weltlichen Inhalte äußerlich. Sie werden, so gesehen, nur insofern adressiert, als sie dieses „Geheimnis“ bedrohen.

Allerdings, und darin liegt die Krux, fühlt sich der Katholizismus (zu Recht) von der Moderne schlechthin bedroht. Der moderne Mensch kniet nun einmal nicht gerne, aber eine Liturgie ohne hinzuknien und allgemeiner ein Glaube ohne Demut sind für den strengen Katholiken weder denk- noch wünschbar. Wie soll man das als ein Mensch, der wie Matussek an der „archaischen Sprache des Opfers“ festhält, zugleich aber an den Segnungen der Moderne partizipieren will, bloß aushalten? Die Antwort: In dem man sich im Widerspruch einrichtet.

Dann doch sehr zeitgemäß

Das fällt umso leichter, als der "Relativismus der Moderne" (Benedikt XVI) schon viel tiefer ins katholische Herz eingedrungen ist, als man meinen könnte. Es wundert nicht, dass Dyba von Mattusek als Medienfigur akzentuiert wird. „Es gab kaum eine Talkshow, die ihn nicht einlud, denn er blieb sich treu“. Aber was heißt hier treu? Der Reaktionär als Talkshowgast ist natürlich gar keiner mehr, sondern eine Plansollstelle in den Gesprächsrunden der Fernsehrepublik. Gerne hätte man als Bürger dieser Republik Dyba in einer Runde mit Margot Käßmann gesehen, die, so darf man vermuten, alles verkörpert, was Dyba (und Matussek) hassen.

Aber nicht nur die beiden. Die Kritik an einer weichgespülten Kirche, die anstelle des Evangeliums „Besinnlichkeiten“ zum Krieg in Afghanistan oder zu Hartz IV zu bieten hat, kann sich zunehmend breiter Sympathie sicher sein (wer den letzten Auftritt von Käßmann bei Anne Will gesehen hat, wird verstehen, was ich meine). Auch wenn Matussek das freiwillige Zölibat leidenschaftlich verteidigt, wirkt das in einer hypersexualisierten, aber dadurch nicht eben glücklich gewordenen Gesellschaft, nicht einfach nur starrsinnig. Mit anderen Worten: Nicht nur der Relativismus der Moderne ist weit fortgeschritten, auch das Unbehagen an ihr ist es. Die Frage ist nur, welche Konsequenzen das Publikum zieht. Mehrheitlich vermutlich gar keine. In der „transzendentalen Obdachlosigkeit“ (Georg Lukács) kann man es sich in unseren Breitengraden dann doch ganz behaglich einrichten, anders etwa in Südamerika, von der ein paar interessante Reportagen im zweiten Teil des Katholischen Abenteuers handeln.

Jenseits des Zirkuses

Daneben handelt das Buch unter anderem auch von Engeln und Idolen, und spricht mit geistreichen Menschen über den Katholizismus, die sich, natürlich!, allesamt als Agnostiker entpuppen. Der Relativismus ist auch in die Form dieses Buches tief eingewandert, das ein "erzählendes Sachbuch" für die zerstreute Lektüre und keine Schrift für ein strenges Exerzitium ist. Und warum auch nicht? Neben einem gewinnenden Porträt des Vaters, kann einem schon anrühren, wenn Matussek von seinen Kirchgängen erzählt. Nicht nur, dass es ein versprengtes Häuflein ist, das sich da in einer schmucklosen Kirche in Hamburg trifft, ihm scheint sich ja auch wahrhaftig das Tor zu einer "Gegenwelt" zu öffnen. Da ist Gottes Wort in seiner „nicht abgenutzten Fremdheit“, schönes Wort, und da ist Stille. Aber braucht es für solche Abenteuer wirklich einen erzkonservativen Katholizismus?

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Michael Angele

Ressortleiter „Debatte“

Michael Angele, geb. 1964 in der Schweiz, ist promovierter Literaturwissenschaftler. Via FAZ stolperte er mit einem Bein in den Journalismus, mit dem anderen hing er lange noch als akademischer Mitarbeiter in der Uni. Angele war unter anderem Chefredakteur der netzeitung.de und beim Freitag, für den er seit 2010 arbeitet, auch schon vieles: Kulturchef, stellvertretender Chefredakteur, Chefredakteur. Seit Anfang 2020 verantwortet er das neue Debattenressort. Seine Leidenschaft gilt dem Streit, dem Fußball und der Natur, sowohl der menschlichen als auch der natürlichen.

Michael Angele

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden