Kolumne #14 – Kony 2012: Was zählt, ist die Story

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Kein Video hat sich jemals im Netz so schnell verbreitet wie Kony 2012. Das Rezept: Ein Gemisch aus Gewaltpornografie und amerikanischem Helden-Pathos. Facebook jagt den bösen schwarzen Mann, der Kinder frisst. Doch den Machern geht es vor allem um sich selbst.

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Kony und seine Freunde bin Laden und Hitler – natürlich.
(Foto: Big C Harvey)

So viel steht fest: Die Filme der NGO Invisible Childern sind an Pathetik kaum zu überbieten. Aber was zählt, ist die Story. Das sage nicht ich, das sagt Filmemacher Jason Russell.

Die NGO hat im Jahr 2011 fast 14 Millionen Dollar erwirtschaftet. Von den knapp neun Millionen Dollar, die sie ausgegeben hat, gingen nur 37 Prozent an Projekte in Zentralafrika. Das Gro des Geldes floss in den Bau von Schulen und in die Vergabe von Stipendien. Den Rest hat die Organisation für T-Shirts, Poster, Armbändchen, eine US-Tour und Lobbyarbeit in Washinton ausgegeben.

Und natürlich für Filme. Doch die Kritik, dass zu wenig in handfeste Entwicklungshilfe geflossen sei, scheint den ehemaligen Filmstudenten Russell nicht zu kümmern. „We are so proud of that because we feel we tell really powerful stories,” sagte er der Zeitung the Star. Klar, denn darum sollte es Filmemachern doch gehen: um die gute Geschichte.

Da ist es eben nicht so entscheidend, wo genau Joseph Kony sich gerade aufhält – ob nun in Uganda, im Kongo, im Südsudan oder der zentralafrikanischen Republik: Für die Story spielt das keine Rolle. Auch dass Konys LRA (Lord Resistance Army) nur noch an die hundert Kämpfer zählt, ist belanglos. Es klingt einfach gewaltiger, wenn man behauptet, der Bösewicht führe eine Armee von 30.000 Kindersoldaten. Ganz aus der Luft gegriffen ist die Zahl aber auch nicht. 30.000 Kinder hat die LRA insgesamt entführt, die Jungen zu Kindersoldaten rekrutiert, die Mädchen als Sexsklavinnen missbraucht – allerdings in fast 30 Jahren. 30.000 ist auch die Zahl der Todesopfer im ugandischen Bürgerkrieg, der etwa 20 Jahre lang andauerte.

Seit 2005 ist er vorbei. Im Norden Ugandas ist es seitdem weitgehend friedlich.

Das liegt auch daran, dass ein anderer Bürgerkrieg vorbei ist, nämlich der zwischen dem Südsudan, der nördlich an Uganda grenzt, und der sudanesischen Zentralregierung in Karthum. Sudans Präsident Omar al-Baschir, der für seine Verbrechen in Dafur übrigens neben Kony auf der Liste des Internationalen Strafgerichthofs steht, unterstütze Kony und die LRA mit Waffen. Im Gegenzug bekämpfte die LRA die südsudanesische Unabhängigkeitsbewegung.

Aber das ist alles viel zu kompliziert. So kann man eine Kampagne einfach nicht vermarkten. Das habe Russell an der Occupy-Bewegung erkannt, deren Aussagen er für zu vage hält. Deshalb habe man sich bei Invisible Children für eine simple Story mit einem Bösewicht und einer einfach Lösung entschieden, zitiert the Star den Filmemacher.

Und für schicke Fan-Artikel, wie die hübschen Armbändchen, die jeder tragen soll, damit der Bösewicht noch in diesem Jahr gefasst wird. Dass man die Probleme der Region nicht gelöst hat, wenn man das Skalp des LRA-Anführers in der Hand hält, soll nicht weiter stören. Denn immerhin konnte Invisible Children mit den Armbändchen 2011 schon 880 000 Dollar Umsatz machen. Das geht aus dem Jahresbericht der NGO vor.

Produziert werden die Teile in Uganda von Menschen, die im Land vertrieben wurden und in ihre Heimatdörfer zurückgekehrt sind. Damit gebe man den Leuten „the chance to earn a good income by making culturally unique bracelets,” heißt es auf der Webseite von Invisible Children.

Über die kulturelle Einmaligkeit dieser Armbändchen lässt sich sicherlich streiten.

Wie the Star weiter berichtet, war der Forscher Rayen Butyniec in Kampala, wo die Teile produziert werden. Der Uganda-Experte hatte den Eindruck, die Frauen arbeiteten unter sehr schlechten Bedingungen, um der Nachfrage an Armbändchen hinterherzukommen.

Man könnte ja glauben, die Frauen würden wenigstens gebührend entlohnt werden. Das bezweifele ich allerdings – zugegebenermaßen hier aus der Ferne vom Schreibtisch aus. Denn: In die Produktion der Bändchen hat Invisible Children nach eigenen Angaben nur knapp 90 000 Dollar gesteckt. Der Umsatz mit den Teilen lag wie gesagt bei 880 000 Dollar. Das macht einen Gewinn von 790 000 Dollar. Nicht schlecht. Entwicklungshilfe macht sich doch bezahlt.

Und das ist das eigentlich Makabere an der Sache. Die Köpfe von Invisible Children machen sich seit acht Jahren ein gutes Leben, reisen als Abenteurer nach Afrika, lassen sich mit Sonnenbrillen vor Helikoptern ablichten (im Jahresbericht) und schicken ihren Verwandten Fotos, auf denen sie mit Kalaschnikows posieren. Im Film stellt Russell sich selbst und seinen eigenen Sohn in den Mittelpunkt. Ürbigens: Für das Waffenfoto haben sich Invisible Children auf ihrer Webseite mit der Begründung entschuldigt, man habe nur gescherzt.

Es geht ihnen weniger um die Sache, so scheint es, als um die Story, das eigene Selbstbild als „white Anlgo-Saxon“ Wohltäter und ein großzügiges Einkommen.

Hier noch ein Statement aus Uganda. Der preisgekrönte Journalist Angelo Izama schrieb:

„To call the campaign a misrepresentation is an understatement. While it draws attention to the fact that Kony, indicted for war crimes by the International Criminal Court in 2005, is still on the loose, its portrayal of his alleged crimes in Northern Uganda are from a bygone era. At the height of the war between especially 1999 and 2004, large hordes of children took refuge on the streets of Gulu town to escape the horrors of abduction and brutal conscription to the ranks of the LRA. Today most of these children are semi-adults. Many are still on the streets unemployed. Gulu has the highest numbers of child prostitutes in Uganda. It also has one of the highest rates of HIV/AIDS and Hepatitis.

If six years ago children in Uganda would have feared the hell of being part of the LRA, a well documented reality already, today the real invisible children are those suffering from "Nodding Disease". Over 4000 children are victims of this incurable debilitating condition. It's a neurological disease that has baffled world scientists and attacks mainly children from the most war affected districts of Kitgum, Pader and Gulu.”

Er soll laut taz getwittert haben, die Kampagne sei “ein Teil der Karikatur, die Norduganda mittlerweile geworden ist, schlichtweg Gewaltpornografie!“

Sorry wegen des Nicht-Übersetzens. Ich hoffe, das geht okay.

Da fällt mir noch ein (Die taz hat es angesprochen): Invisible Children, will dass ihre Anhänger in der Nacht vom 20. auf den 21. April die Welt mit Kony 2012 Plakaten zukleistert – ausgerechnet an Hitlers Geburtstag. Aber das passt. Kony wird auf den Plakaten in eine Reihe mit Hitler und Osama bin Laden gestellt. Der NGo scheint nichts zu platt, um Aufmerksamkeit zu erregen und damit Geld einzutreiben.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Peter Knobloch

Seit September arbeite ich als ifa-Redakteur bei Radio Neumarkt in siebenbürgischen Neumarkt, Târgu Mureș

Peter Knobloch

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