Nachrichten vom Ende des Kapitalismus

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Ein Thetaerabend liefert sehr unterschiedliche Bilder der Krise

Viel los an den Schnittstellen zwischen Kunst und Politik war am vergangenen Wochenende in Berlin. Im Rahmen des Galerie-Wochenendes gaben sich viele Ausstellungen politisch und in den Kunstwerken übernahm im Rahmen der Berlin-Biennale gleich die Occupy-Bewegung die Regie zumindest im Erdgeschoss der Galerie.

Um die Occupy-Bewegung ging es auch in dem von den Kulturwissenschaftler_innen Margarita Tsomou und Tim Stüttgenkonzipierten Theaterabend im Hebbel am Ufer, der das Motto „Nachtrichten von Krise, Aufstand und Ausnahmezustand“ trägt. Die Künstlerin sitzen an einem großen Tisch, vor ihnen Laptops und Bücher mit angesagten Themen aus der linken Diskurswelt.

In den mehr als 90 Minuten werden verschiedene Bilder der Krise vorgeführt. Das Telefoninterview mit einer österreichischen Wahrsagerin ist eine Kritik an einer Krisenrezeption, die vom Untergang der Welt raunt und den ominösen Maya-Kalender als aktuellen Beweis heranzieht. Dass jede herrschende Klasse das Ende einer Wirtschaftsepoche mit dem Ende der Welt verwechselt, ist bekannt. Am Ende des Feudalismus hatten die Weltuntergangspropheten Hochkonjunktur und wollte der Kapitalismus die Welt entmystifizieren. Mit mäßigem Erfolg, wie der Theaterabend zeigte, auch heute haben Endzeitmythen, ob sie sich nun auf Maya-Kalender oder vermeintliche naturwissenschaftliche Erkenntnisse stützen Hochkonjunktur. Auch das Gespräch mit dem linken italienischen Modephilosophen war eher enttäuschend. Seine Volte gegen den finanzgetriebenen Kapitalismus klang doch arg nach Attac. Überhaupt blieben die Bemühungen die Krise theoretisch und philosophisch zu fassen, eher vage und schwach. Da wurde sogar mit Kalauern der Art nicht gespart, dass es nicht verwunderlich ist, dass die Griechen den Begriff der Krise erfunden haben, wo sie doch sehr stark mit ihr in Verbindung gebracht werden.

Fast schon ärgerlich ist der Umgang der Künstler_innen mit Walter Benjamins Gleichnis vom Engel der Geschichte. Es ist natürlich immer gut, wenn Menschen in ihrer Zeit sich die Begriffe neu aneignen. Aber dass setzt schon die Mühe voraus, sich zunächst die Grundlagen vor Augen zu führen, auf denen der Autor den berühmten Essay geschrieben hat. Wenn dagegen ein Jugendlicher 2012 klagt, ich bin so schlapp und müde, wer hält den Fortschritt auf und den Wind, der bei Benjamin aus dem Paradies weht, mit einem Fön erzeugen will, dann ist eine solche Form der Bearbeitung sehr nahe an einer Blödelei. Man kann nur hoffen, dass in dem Stück genau ein solcher oberflächlicher Umgang kritisiert werden sollte. Denn der gleiche Schauspieler sieht ja auch in der Disco-Kugel seine Art der Revolution schon erfüllt.

Der Sound der Revolte

Während diese Bilder eher zwiespältige Gefühle erwecken, ist der Theaterabend dort stark und überzeugend, wo er Originaltöne der griechischen Revolte auf die Bühne bringt. Die dort skandierten Parolen werden übersetzt. Sie sind bestimmt nicht politisch korrekt, aber es geht eben der Realität ins Auge zu blicken. Dazu gehört eben, dass viele Demostrant_innen das Parlament als Bordell bezeichnen und ab liebsten anstecken wollen, meint Margarita Tsomou. Die in Berlin Kunstwissenschaftlerin versucht zu berichten, was die Krise für einen großen Teil der Bevölkerung in Griechenland bedeutet. Doch schließlich gibt sie es auf. Ihr Fehlen die Worte hier auszudrücken, was die rapide Verarmung bedeutet. Der Verlust sämtlicher Lebensperspektiven vieler Menschen kann sie nicht auf einer Bühne in Worte fassen. Vielleicht hätte sie den Abschiedsbrief verlesen sollen, den ein Mann schrieb, bevor er auf einem zentralen Platz in Athen vor einigen Wochen Selbstmord verübte, weil er die Verarmung nicht mehr ertragen konnte. Aber auch die fehlenden Worte von Tsomou waren ein beeindruckendes Statement. Aber das Stück ist nicht fatalistisch. Am Ende werden die Zuschauer_innen mit die Erinnerung an die für Mitte Mai geplanten Blockuppy-Aktionen (blockupy-frankfurt.org/de) im Frankfurt/Main hinterlassen. Schon am kommenden Samstag gibt es in Berlin die Gelegenheit, sich zu engagieren. Unter dem Motto „Mehr Technokratie wagen“ (www.kapitalismuskrise.org/allgemein/griechenland-ist-uberall/ ) ruft ein Bündnis anlässlich der Parlamentswahl in Griechenland auf, um deutlich zu machen, dass das wesentlich von der deutschen Regierung diktierten EU-Sparpläne der griechischen Bevölkerung gar keine Wahl lässt.

Peter Nowak

WIR SIND EIN BILD AUS DER ZUKUNFT: Nachtrichten von Krise, Aufstand und Ausnahmezustand 26., 27., 29., 30. April, Hebbel am Ufer 3, 20 Uhr

Heute gibt es das letzte Mal Gelegenheit die Krisenbilder im Theater anzusehen.

Weitere Infos: www.hebbel-am-ufer.de/de/kuenstler/kuenstler_23161.html?HAU=3

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Geschrieben von

Peter Nowak

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