Wie provokant darf der Antimilitarismus sein?

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion


Der Landesverband Berlin-Brandenburg der Deutschen Friedensgesellschaft-Vereinigte Kriegsdienstgegner (DFG-VK) wirft dem Bundessprecherkreis (BSK) Denunziation vor. Der Bundesvorsitzende der ältesten friedenspolitischen Organisation Deutschlands Jürgen Grässlin hat die Namen von drei Berliner DFG-VK Mitgliedern sowie ein internes Schreiben an die Staatsanwaltschaft weitergegeben, nachdem die per Fax die Herausgabe dieser Daten verlangt hatte.

Der Grund sind Ermittlungen wegen eines satirischen Aufrufs der DFG-VK-Berlin-Brandenburg, der unter dem doppeldeutigen Motto „Feste feiern, wenn sie fallen“ zum Schampus-Saufen aufruft, wenn ein Bundeswehrsoldat beim Afghanistan-Einsatz ums Leben kommt. Die Ende April 2010 beendete Aktion sorgte bundesweit für große Aufmerksamkeit und zog juristische Ermittlungen nach sich.Mehrere von Bundeswehrverbänden angestrengte Klagen wegen Beleidigung und übler Nachrede waren im letzten Jahr eingestellt worden. Doch das Berliner Landeskriminalamt ermittelt weiter. Im April waren in Berlin drei Buchläden, die Büroräume eines Internetservers und Privatwohnungen auf der Suche nach den Verantwortlichen der Aufrufe durchsucht worden. Weil die Ermittlungsbehördenkeinen Hinweis auf die Urheber der satirischen Aufrufe gefunden haben, wandten sie sich mit Erfolg an den DFG-VK-Bundesvorsitzenden.


Keine Untergrundorganisation

„Als BSK waren wir uns einig, dass wir den Ermittlungsbehörden keinen Vorwand für eine Hausdurchsuchung in der Bundesgeschäftsstelle mit der Beschlagnahme aller Computer und weiterer Unterlagen geben dürfen. Die Personendaten unserer mehr als 4000 Mitglieder sowie die weiteren Unterlagen, wie Brief- und Mailwechsel, Protokolle all unserer Aktivitätengehen die Staatsanwaltschaft absolut nichts an“, begründet der Bundessprecher der DFG-VK Jürgen Grässlin die Datenweitergabe. Zudem verstehe sich die DFG-VK nicht als Untergrundorganisation, die mit subversiven Mitteln gegen die Staatsmacht angeht. „Wir bekennen uns bei all unseren Aktionen mit unserem Namen zu unseren Taten“, so Grässlin.

Frank Brendle, der im Landesverband der DFG-VK Berlin-Brandenburg aktiv ist, betont, dass auch er Verständnis für die Angst vor einer Durchsuchung des Bundesgeschäftsstelle habe. Aber dann hätte man auch die Daten verschlüsseln oder auslagern können. Zudem sei das eingegangene Fax vom rechtlichen Status nichtig. Man hätte also Zeit für Gespräche gehabt, deren Ergebnis ein für beide Seiten akzeptabler Weg im Umgang mit den Ermittlungen hätte sein können. Dieser Meinung ist auch der politische Geschäftsführer der DFG-VK Monty Schädel, der auf der Bundesebene gegen die Übergabe der Namen opponierte.


Unterschiedliche Politikverständnisse

Hinter dem Streit stehen politische Gegensätze. Während sich viele in der Friedensbewegung der 80er Jahre politisierte DFG-VK-Mitglieder heute vor allem bei der Organisierung von Ostermärschen gegen Atomraketen und als Kritische Aktionäre von Rüstungsexporte engagieren, sorgten im Landesverband Berlin-Brandenburg jüngere Antimilitaristen mit provokativen Aktionen auch verbandsintern öfter für Unmut.

So wurde das Plakat „Schritt zur Abrüstung“ mit dem Sarg eines getöteten Soldaten auch von DFG-VK-Mitgliedern als menschenverachtend kritisiert. Sogar der Ausschluss von Mitgliedern des Berliner Landesverbandes wurde verbandsintern gefordert, wenn sie tatsächlich den Tod eines Bundeswehrsoldaten feiern sollten. Demnach hätte auch ein Georg Grosz oder Kurt Tucholsky keinen Platz in der DFG-VK gehabt. Diese bekannten Künstler waren wie viele andere der Meinung, dass man den Krieg auch mit derben Provokationen zu Leibe rücken sollte. Wie hätte die DFG-VK-Mehrheit erst auf die Militarismuskritik einer Rosa Luxemburg, einer Clara Zetkin oder eines Karl Liebknecht reagiert? Die linken Sozialisten propagierten die Losung, dass der beste Kampf gegen Krieg und Militarismus der Sturz des Kapitalismus sei. Der Konflikt um die Berliner Satire macht deutlich, dass wohl nicht alle Strömungen des Antimilitarismus in der DFG-VK ihren Platz haben.

Von den Antifaschisten lernen

Dabei könnte die DFG-VK von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes-Bund der Antifaschisten (VVN-BdA) lernen. Dort sind älteren Antifaschisten und junge Antifaktivisten in den letzten Jahren aufeinander zugegangen. Nicht nur bei den Blockaden gegen Naziaufmärsche sondern auch bei den Feiern zur Niederlage des NS-Regime klappt die Zusammenarbeit. Dass der VVN-BdA-Vorstand den Ermittlungsbehörden Namen von jungen Antifaschisten übermittelt, scheint heute undenkbar. Die Bewegung gegen die Nazis hat davon profitiert, wie sich am 13. Februar in Leipzig und am 1. Mai in Berlin gezeigt hat. Gegen das kriegführende Deutschland würden solche Bündnisse ebenfalls gebraucht. Die Datenweitergabe zeigt, wie es nicht geht. Die Staatsanwaltschaft wird weitere Anlässe suchen und finden, um die Antimilitarismusbewegung klein zu halten. Erinnert sei an die Ermittlungen gegen ein Rostocker DFG-VK-Mitglied, das eine Liste von Fahrgästen eines Busses aushändigen sollte, die im April 2009 zu den Protesten gegen den Natogipfel nach Straßburg fuhren . Trotz einer Hausdurchsuchung, einer Computerbeschlagnahme und der Drohung mit Beugehaft, weigerte sie sich, die Daten herauszugeben. Der Fall hatte Schlagzeilen gemacht und viel Solidarität ausgelöst. Die aktuelle Datenübergabe hingegen hat zu Streit und Misstrauen unter den Antimilitaristen geführt.

Peter Nowak

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Peter Nowak

lesender arbeiter

Avatar

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden