Schlagzeilen bestimmen was uns empört

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Eine Hand voll Zeitungen bestimmen in der Welt zum großen Teil das Tagesgespräch in Politik und Gesellschaft. Dabei muss beachtet werden, dass sich im Boulevardjournalismus das Zählen der Leser_innen nicht so einfach nachvollziehen lässt. Die wohl am meist gelesene und immer wieder selbst in die Schlagzeilen geratende BILD Zeitung aus Deutschland steht mit einer Auflage von 1,2 Millionen Exemplaren ganz oben in der Liga der meinungsbildenen Druckerzeugnisse. Sie wird rund 12 Millionenfach gelesen am Tag. Wer greift nicht zu ihr im Wartezimmer oder bei der Arbeit. Keiner liest sie natürlich ernsthaft und kreuzt die Finger hinter dem Rücken, dennoch bestimmt sie unseren Alltag, ob gewollt oder unterbewusst.

Schon seit Anfang des 20. Jahrhunderts gibt es eine Gattung im Journalismus, die von Anfang an kritisiert und umstritten war, dennoch die höchsten Auflagen zu verzeichnen hat. Der Enthüllungsjournalismus darf als Urgattung und faszinierendes Fundament dieses Berufsstandes betrachtet werden. Das Bild des Zigarre rauchenden und auf der Schreibmaschine tippenden Reporters in miefigen Redaktionen wurde vielfach durch Hollywood geprägt. Doch es waren genau die Reporter in hunderten von kleinen Zeitungsredaktionen in den Vereinigten Staaten, die nach oft langwierigen Recherchen damit begannen Korruption und Vetternwirtschaft, Skandale und manchmal auch unerträgliches Grauen mitten in der Gesellschaft aufzudecken. In diesen harten Kämpfen zwischen den mächtigen aus Politik und Wirtschaft und dem Recht auf Informationen, mit Rückendeckung der Bevölkerung in Form einer höheren Auflage, gab es irgendwann eine Art Waffenstillstand. Die Politik erkannte, dass sie gegen die öffentliche Meinung nicht mehr regieren kann, oder anders sollte. Vorausgegangen waren viele Skandale die so brisant waren, dass die Menschen auf die Strassen drängten und sich zu Mobs entwickelten, um die Schuldigen zu stellen. So war der Druck der Strasse nach der Enthüllung das Gliedmaßen von Arbeitern in den Schlachthöfen von Chicago die durch Arbeitsunfälle abgetrennt wurden in der Wurst landeten, so groß, dass die Regierung in Washington das erste Verbraucher- und Hygieneshutzgesetz der Welt beschlossen.

Einen weitere Auflagesteigerung und grundlegende Veränderung erfuhren die Zeitungen in den 20er Jahren. Vorallem in den Großstädten kam es immer Öfter zu Verbrechen mitten auf den Strassen. Die Mafia lieferte sich halbe Massaker mitten auf den Gehwegen, bestialische Morde und verschwundene Menschen fast an jeder Ecke. Der Kriminalreporter wurde geboren. Ein Teil saß im Gerichtssaal und beschrieb die Verbrechen so hautnah, als währe Mensch selber dabei gewesen, der andere Teil rannte durch die Strassen und nutze ein neues Massenmedium, die Fotokamera. Sie war von nun an immer dort wo etwas passierte. Nicht nur unzählige Schaulustige säumten die Strassen, der drang des geekelten und faszinierendem Hinstarrens verlagerte sich in die Wohnzimmer und Büros. Die Redaktionen überboten sich beinahe Stündlich mit neuen Auflagen und Sonderausgaben. Die Wahrnehmung in der Gesellschaft veränderte sich bereits an diesem Punkt zum ersten mal, dennoch wurde die Entwicklung durch die Weltkriege plötzlich nocheinmal unterbrochen.

Nicht nur große Teile der beteiligten Ländern lagen in Trümmern, auch die Zeitungslandschaft. Das Kopf an Kopf rennen von verschiedenen Medienmogulen hatte seine Spuren hinterlassen. Immer mehr Zeitungen mussten fusionieren um zu überleben, ein Trend der sich bis Heute fortsetzt und die Presselandschaft nachhaltig verändert hat. Auch in Europa wuchsen immer mächtigere Verlagshäuser aus dem Boden. In der Britischen Besatzungszone erkannten einige recht schnell, dass es wichtig sei, die Bevölkerung mit Presseerzeugnissen zu informieren und so zu freien Meinungsbildungen anzuregen. Dabei vergaben die Briten in Hamburg, was als Kommunikationszetrum erklärt wurde, an den schon vor dem Krieg in der Presselandschaft tätigen Axel Springer eine Lizenz zum Druck. Auch Rudolf Augstein bekam von den Briten 1946 die Lizenz ein Wochenmagazin ähnlich dem Time Magazin aus den USA herauszugeben. Schon nach wenigen Ausgaben wurde die Zeitung eingestellt, denn Augstein übte auch Kritik an den Besatzungsmächten, bekam aber kurze Zeit später eine Genehmigung für ein eigenes Magazin, den „Spiegel“. Eine Erfolgsgeschichte begann.

Einen ganz anderen Ansatz hatte Axel Springer, die BILD Zeitung entwickelte sich schon nach kurzer Zeit zum Auflagenstärksten und mächtigsten Medium in Deutschland. In Zahlreichen Städten entwickelten sich kleinere lokale Ableger die es ihr nachtaten. Nach aussen versuchte der Konzern ein friedliches Bild von Deutschland zu etablieren. Innenpolitisch ging es jedoch immer heißer auf den Strassen zu. In den 60er Jahren startete eine neue Generation die abrechnete mit ihren Eltern und eine politische Mitbestimmung einforderte. Die BILD hingegen heizte jedoch mit ihren Schlagzeilen die Stimmung immer weiter an. Es war auch die Zeit in der die Schlagzeile am Kiosk von nebenan immer wichtiger wurde. „Stoppt Dutschke jetzt - oder es gibt Krieg“ lies sich der Hilfsarbeiter Josef Bachmann nicht zweimal sagen und verübte ein Attentat auf Rudi Dutschke. Schon kurz davor bei den Auseinandersetzungen um den Besuch des Schaas von Persien starb Benno Ohnesorg, spielte BILD eine Rolle, so forderte sie immer wieder einen harten Umgang mit den Student_Innen auf der Strasse. Letztendlich führte all dies zu mehr Gewalt, die auch in die Redaktionsräume getragen wurden. 1972 verübte ein Kommando der Roten Armee Fraktion einen Bombenanschlag auf das Axel-Springer Hochhaus in Hamburg bei dem 17 Menschen verletzt wurden. Die RAF betonte laut ihren Aussagen mehrmals, sie hätten den Konzern gewarnt, dieser hätte allerdings aus Profitgier das Gebäude nicht geräumt. Der Konzern igelte sich ein und verstärkte die Sicherheit enorm, noch heute hat Mensch den Gedanken beim Betreten eines der Verlagshauses, als wäre man im Flughafen.

Die Macht der BILD Zeitung wurde immer Stärker. Sie gilt als eines der Leitmedien in Deutschland. „Wer mit der Bild-Zeitung im Fahrstuhl fährt, fährt auch mit ihr wieder herunter. Aber sie könne auch jederzeit aussteigen“, meint Springer-Chef Mathias Döpfner. Günter Wallraff hatte ein vollkommen anderes Anliegen. Der Journalist und Publizist nahm sich die alte Grundidee des Journalismus wieder zueigen und wollte BILD die kleinen alltäglichen Sauereien nachweisen. Die Macht die der Konzern nach aussen ausübt und den Druck nach innen gegenüber den Mitarbeitern. Entlarvt hat er viel mehr, die Methodik wie ein BILD Artikel entsteht, scheint auch heute noch die selbe zu sein. Aber nicht nur BILD hat diese Macht allein. In Hamburg und Berlin erscheinen ebenfalls mächtige Blätter die Tagesgespräch werden, wenn die Schlagzeile trifft. Dabei gehen sie ebenfalls nach dem Motto vor, je niedriger sich die Geschichte im gesellschaftlichen Milieu abspielt, um so weniger besteht die sorgfaltspflicht.

Wer schon einmal im Sturm einer heutigen Boulevardzeitung stand, wird dies so schnell nicht vergessen. Angenommen ein öffentliches Interesse wurde an bei einer Geschichte festgestellt, ob zu recht oder nicht entscheidet hier die Hauspolitik des jeweiligen Blattes und die Einschätzung des öffentlichen Interesses. Schon nach etwa einer Stunde kann es passieren das ziemlich aggressiv und unter Leistungsdruck stehende Vertretter_Innen des journalistischen Faches an Türen klingeln, Nachbarn befragen und Fotos schiessen. Dabei zählt jedes Detail, denn eins davon wird der Aufmacher werden, bei besonderem Glück des im Fokus stehendem, ziert ein Foto die Titelseite. Mal mit Balken, manchmal aber auch ohne. Dabei kommt es in letzter Zeit immer öfter vor das Unschuldsvermutungen nicht gelten und Vorverurteilungen fest stehen, sobald die Druckmaschienen angelaufen sind. Die Deutsche Presserat kommt mit den Rügen in den letzten Jahren kaum hinterher. Ist das Blatt erst raus, dann wird es meist auch schon wieder uninteressant, die neue Ausgabe ruft. Durch die massive Verbreitung dieser gedruckten Tatsachen innerhalb der Bevölkerung ist die Geschichte für Betroffene jedoch meist nicht erledigt. So veröffentlichte Günter Wallraf zum 50. Geburtstag der BILD in teilen Abschiedsbriefe von Menschen, die sich wegen einer Berichterstattung von Bild und deren Redakteuren das Leben nahmen. Mit der in Teilen nicht vorhandenen Sorgfaltspflicht wird hier eine Schwelle des Journalismus überschritten.

Als Leser_In gibt es nur noch bedingt Einfluss. Trotz der Tatsache das die Auflage immer noch über das Bestehen oder Scheiterns eines Mediums entscheidet, sind die Konzern Verstrickungen in den Verlagshäusern in unserer Zeit oft viel zu undurchsichtig. Ausserdem gibt es ein neues Phänomen. Seit einiger Zeit spielen sich früher bitter verfeindete Medien die Bälle bei Geschichten gegenseitig zu. So kokettiert die BILD Zeitung in den letzten Jahren verdächtig oft mit dem Spiegel. So muss davon ausgegangen werden, dass die Seriosität des Spiegels oft als Notanker herangezogen wird. Auch das anfangs belächelte Sticheln zwischen der TAZ und Kai Diekmann, dem BILD Chefredakteur bekommt bei längerer Beobachtung einen bitteren Beigeschmack. Wer wäscht sich hier mit welchem Ansehen die Auflage rein. Wichtig für die Leser_In bleibt, Meldungen zu hinterfragen und sich mit verschiedene Medien zu umgeben. Nur so kommt ein ausgewogenes Verhältnis zur „Wahrheit“ zu stande und ganz nebenbei Rettet es den Berufsstand Journalismus, denn nur das Überleben der Medien, sichert eine freie Berichterstattung.


Es gibt kaum eine Arbeit im Journalismus die so umstritten ist wie die der Kriminalreporter. Der eine Teil verbringt seine Zeit in und um die Gerichte, ein anderer Teil ist oft in der Nacht auf der Jagd nach der meist nicht in den Reiseführern erwähnten Seite einer Metropole. Die Kriminalfotografie hat seit jeher eine voyeuristische Komponente. In den letzten Jahrzehnten ist dieses Interesse am Verbrechen, dem Unfassbaren, von extremen des gesellschaftlichen Zusammenlebens in eine Dauerbefeuerung in einer eigenen Sparte der Fernseh und Zeitungslandschaft abgerutscht. Eigene Formate wurden geschaffen und wer nur noch auf dem Weg zur Arbeit die Yellow Press konsumiert und nach Feierabend "Hallo Deutschland" schaut, bekommt den Eindruck wir leben in schlechten Zeiten. Diese Wahrnehmung ist aber alles andere als zutreffend. Eine Reise in die Geschichte der Dokumentation von Mord und Todschlag und denen die Entscheiden was wir empörend finden.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Andreas Potzlow

Freier Fotograf und Journalist aus Berlin.

Andreas Potzlow

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