Der CDU-Politiker lernt etwas über die Liebe

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Ich stelle mir vor, dass ein junger CDU-Politiker sich in eine junge Politikerin der Linkspartei verliebt.

Als der junge CDU-Politiker die Lippen der Frau sah, die aus Papier waren, wusste er, dass er gleich etwas sehr Merkwürdiges tun würde. Merkwürdig für den Rest der Menschheit, für ihn die normalste Sache der Welt.

Er atmete durch, schloss die Augen und näherte sich mit seinem Mund dem ihren. Bald berührten seine Lippen das raue Papier, das rasch von seinem Speichel aufgeweicht war.

„Was tue ich hier bloß?“, dachte er, machte einen Schritt zurück und öffnete die Augen. Sie lächelte noch immer, die Frau auf dem Plakat. Die junge Politikerin der Linkspartei.
„Ich brauche ein Bier“, dachte er, „besser noch zwei.“ Er ging los zur nächsten Kneipe.

Alles hatte damit angefangen, dass der junge CDU-Politiker an einem Montagmorgen seine Pfandflaschen nicht hatte finden können in seinem Büro im Bundestag.
„Geht schon mal vor“, sagte er zu den Kollegen, die ihn mit in die Kantine nehmen wollte, „ich komme gleich nach.“

Fünf Minuten später fand er die Flaschen. Die Schlange in der Kantine war lang, vor ihm stand eine Frau mit roten Haaren. Der junge CDU-Politiker warf gerade einen Blick auf die Tagesmenüs, als die rothaarige Frau nieste. Und gleich noch mal.
„Gesundheit“, sagte er, und die Frau drehte sich um.
„Danke“, sagte sie und lächelte.
„Das ist ja die junge Politikerin der Linkspartei“, dachte er. „Ich habe ihr Gesundheit gewünscht, bin ich denn verrückt?“
„Oh“, sagte er.
„Oh“, sagte die junge Politikerin der Linkspartei und drehte sich wieder um.
„Die nimmt sicher das vegetarische Bio-Gericht“, dachte er und das war der letzte Gedanke, den er vorerst an sie verschwendete. Bis sie nachmittags, als er gelangweilt über einer Akte saß, in seinen Kopf zurückkehrte. Die roten Haare, das Gesicht, das Lächeln, das Niesen, das „Danke“. Und in seinem Kopf blieb sie auch.

Der junge CDU-Politiker ließ sich nicht beunruhigen und glaubte, am nächsten Morgen werde sie schon verschwunden sein. Am nächsten Morgen lächelte sie noch mehr, ihre Haare waren noch roter und nun hatte er auch dieses Gefühl im Magen, das er zuletzt mit 13 gefühlt hatte in dem Moment, als die Achterbahn nach unten raste.

Ein paar Tage versuchte er, seine Gefühle zu ignorieren. Er schlief schlecht, er aß wenig, er sprach wenig. Dann, am Donnerstagmorgen, setzte er sich auf sein Bett und sagte zu sich: „Du bist niemals in die junge Politikerin der Linkspartei verliebt. Du bist niemals in die junge Politikerin der Linkspartei verliebt. Die junge Politikerin der Linkspartei steht für all das, was du verachtest. Die junge Politikerin der Linkspartei gehört zu den Menschen, die unser Deutschland in den Abgrund führen wollen, weil sie früher beim Sport als letzte gewählt wurden. Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Du bist niemals in die junge Politikerin der Linkspartei verliebt.“

Und selbst, wenn er es sich eingestehen würde, selbst, wenn er eines Tages in ihren Armen liegen sollte - er müsste es doch geheim halten. Niemals würde seine Partei akzeptieren, dass er mit einer von den Linken verkehrte.

In den folgenden Tagen aß er gar nicht mehr, rasierte sich nicht, ging sogar ohne Sakko aus dem Haus. Und er tat alles, um die junge Politikerin der Linkspartei nicht über den Weg zu laufen. Das hätte er nicht verkraftet.

Dann aber passierte es. Die junge Politikerin der Linkspartei trat ans Rednerpult im Bundestag. Der junge CDU-Politiker wollte sofort verschwinden, doch als sie zu sprechen begann, blieb er sitzen, als wiege er plötzlich 500 Kilogramm. Als die junge Politikerin der Linkspartei den Austritt der Bundesrepublik aus der Nato forderte, klatschten nur die Mitglieder der Linkspartei - und der junge CDU-Politiker . Bevor er merkte, was er da tat, hatte Angela Merkel sich bereits zu ihm umgedreht und funkelte ihn böse an. Genauso wie der Rest der Fraktion.

Er rannte aus dem Saal auf die Straße, schloss sich in sein Appartement ein und warf sich aufs Bett. Wo sollte die Sache mit der jungen Politikerin der Linkspartei noch enden? Das Klingeln seines Handys schreckte ihn auf.
„Ja bitte?“
„Hallo, junger CDU-Politiker, hier ist Angela. Was hatte das denn eben zu bedeuten und überhaupt, hast du mal gesehen, wie du rumläufst? Was ist bloß los mit dir?“
„Mutter, sei nicht sauer auf mich. Ich kann es dir erklären, nur nicht jetzt. Es ist alles sehr kompliziert.“
„Steckt eine Frau dahinter? Mir kannst du doch alles erzählen.“
„Ja, ich weiß Mutter. Aber nicht jetzt. Bitte nicht jetzt.“
„Na gut. Aber wenn du noch einmal für die Linken klatschst, dann...“
Der junge CDU-Politiker drückte sie weg und rief einen ebenso jungen Fraktionskollegen an.
„Darf ich jemanden lieben, der meine Werte nicht teilt?“ fragte er.
„Klar. Mach es wie ich. Kann ich dich später zurückrufen, es ist gerade etwas ungünstig.“
Der junge CDU-Politiker zog sich seine Jacke an und verließ das Haus Richtung Park. Und dort sah er das Plakat.

Der Wirt stellte ihm noch ein Bier hin.
„Geht auf mich“, sagte er, „weil du so schön erzählt hast.“
„Und was meinen Sie, wie soll ich mich entscheiden?“ fragte der junge CDU-Politiker .
„Egal, was die Alternative ist, nimm immer die Liebe“, sagte er.
„Aber das geht doch nicht, sie ist doch ein Gegner.“
„So ein Blödsinn. Gegner, wenn ich das schon höre.“
„Aber sie will...“
„Hör mir mal gut zu. Politische Ansichten haben, das ist wie eine Burg bauen. Mit hohen Mauern und schweren Eisentoren. Und es kommen nur Leute rein, die dieselbe Ansicht haben. Die anderen werden von oben mit Pech übergossen.“
„Aber...“
„Ich bin noch nicht fertig. Doch die Liebe, das ist wie ein Drache, der dich mit seinen Klauen packt und mit dir über die Erde fliegt und dich über einer anderen Burg fallen lässt. Die Mauern sind kein Hindernis mehr für dich.“
„Worauf wollen Sie hinaus?“
„Du merkst plötzlich, dass die Burgen ja doch alle auf derselben Erde stehen und auf einmal fragst du dich, wofür eigentlich all diese Burgen gut sein sollen. Politische Ansichten sind doch bloß ein Zeitvertreib, bis es um die wirklich wichtigen Dinge geht.“

Der junge CDU-Politiker dachte nach. Dann legte er einen Zwanzig-Euro-Schein auf die Theke, bedankte sich und ging. Über seinen Blackberry fand er die Adresse der jungen Politikerin der Linkspartei heraus. Die letzten drei Stufen nahm er auf einmal, dann drückte er die Klingel. Sie öffnete. Sie trug ein schwarzes Spitzennachthemd. Der junge CDU-Politiker war der Ohnmacht nahe. „Hallo, junger CDU-Politiker , was...“
„Ich weiß, wir lehnen uns gegenseitig ab, aber... darf ich reinkommen?“

Ohne eine Antwort abzuwarten, drängte er sich an ihr vorbei in den Flur.
„Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist... ich habe Besuch.“
In diesem Moment fiel sein Blick in ihr Schlafzimmer. Er erkannte den Mann sofort, der dort zwischen den aufgewühlten Bettdecken lag. Es war sein Kollege, mit dem er eben telefoniert hatte. „Mach es wie ich. Sorry, aber es ist gerade etwas ungünstig.“

Der junge CDU-Politiker rannte aus der Wohnung, warf einen letzten Blick auf die junge Politikerin der Linkspartei in ihrem Nachthemd, stürzte die Treppen hinunter und wieder nach draußen. Sofort würde er Angela Merkel anrufen. Was fiel diesem Kerl ein? Auszugehen mit einer von den Linken. So etwas durfte es nicht geben.

Dieser Text ist Teil meiner Kolumne "About a Boy", die jeden Freitag bei RP Online erscheint. Mehr Folgen gibt es hier.

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