BRD 21: Die verKohlte Republik. Eine Polemik 2

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Ich bin mir nicht sicher, aber mir scheint, Sauerland ist erst durch Kohl möglich geworden. Kohl hat Demokratie und Rechtsstaat als Illusion entlarvt, die nur solange funktioniert wie alle daran glauben. Und dieser Glauben hält solange, wie er eine materielle Basis darin findet, dass die Herrschenden jederzeit durch eine Alternative ersetzt werden können. Fällt diese Option bzw. „Drohung“ weg und ist einer an der Macht, der frech genug ist, es darauf ankommen zu lassen, dann platzen Demokratie und Rechtsstaat sehr schnell wie Seifenblasen. Und das ist unter Kohl passiert. Plötzlich galt im System nichts mehr, was bis dahin als selbstverständlich gegolten hatte. Alle sahen: der Kaiser Demokratie ist nackt.

Und damit, denke ich, bin ich wieder in Stuttgart. Um zu verstehen, was da passiert, weshalb da so verbissen gekämpft wird und weshalb dieser Kampf entscheidend für die ganze Republik ist, muss man die Verbindung zum System Kohl sehen. Was hier geschehen ist und weiter geschieht, das Ausschalten und Belügen der Bürger; das Belügen und Betrügen der Parlamente und Gerichte; das Zurechtmanipulieren, Tricksen, Beugen und – am Ende – Brechen von Recht; das geradezu selbstverständliche Veruntreuen von Volksvermögen; und schließlich das komplette Ersetzen von Sachargumentation und Verantwortung durch nackten Machtkampf nebst begleitendem Schweigen der Medien dazu, das ist das konsequente Durchexerzieren des Modells Kohls. Und dass die Privatisierung der Bahn wie auch der Start des Projektes S21 in die Zeit kurz vor der Götterdämmerung der Ära Kohl fiel, ist in diesem ganzen Kontext kein Zufall.

Wie verkommen Teile der politischen Kaste derzeit sind, zeigt sich im Moment so ganz nebenbei im Stuttgarter Landtag, wo die schwarz-gelbe Opposition ebenso naiv wie selbstherrlich demonstrierte, wes Geistes Kind sie ist:

An Finanzminister Nils Schmid (SPD) gewandt, sagte der Abgeordnete Wolf [CDU], jetzt sehe er klar, weshalb Schmid nicht nur Finanzminister, sondern unbedingt auch Wirtschaftsminister werden wollte: "Er schleicht sich als Wirtschaftsminister in die Unternehmen, wirft einen Blick als Finanzminister in das Haus und schickt acht Tage später den Betriebsprüfer nach." Der FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke assistierte: "Es stellt sich schon die Frage, ob es sinnvoll ist, sozusagen aus den Mittelständlern des Landes im Wege von Betriebsprüfungen den letzten Blutstropfen auszuwringen." Rülke verwies darauf, dass die zusätzlichen Einnahmen durch die Betriebsprüfungen via Länderfinanzausgleich dem Landesetat ohnehin entzogen würden.“ (14)

Also, nur dass es da keine Missverständnisse gibt: dieser Opposition geht es explizit darum, Steuerhinterziehern den seitherigen Schutz durch Nichtbeachtung auch weiterhin zu gewähren.

Kein Zufall ist es auch, dass das Bürgertum den Stopp von S21 als letzten Strohhalm begreift, mit dem es sich vor dem Absaufen in einen nunmehr Merkelschen Totalitarismus zu retten versucht. Und die Gegenseite, die es sich im neuen Totalitarismus schon bequem gemacht hatte, will eben dies mit aller Macht verhindern. Der grün-rote Machtwechsel in Baden-Württemberg entspringt der Sehnsucht der Bürger nach einer Rückkehr von Demokratie und Rechtsstaat. Der Zuspruch, den sogenannte „Gutmenschen“ und die „glaubwürdige“ grüne Partei durch die Bürger erfahren reflektiert die Sehnsucht nach einer Rückkehr von Charakter und Moral. Die überschießende voreilige Kritik und Häme aus einem Teil der Medien und von den sich als „Pragmatiker“ definierenden Repräsentanten der verKohlten Republik offenbaren dagegen, dass es starke Kräfte gibt, die genau dies fürchten wie der Teufel das Weihwasser. Und nicht zufällig war ein Teufel der Ministerpräsident von S21.

Und man mache sich da auch gar keine Illusionen. Was in Duisburg an Selbstherrlichkeit, Regelverstößen und fragwürdigem Genehmigungsverfahren zutage tritt, findet sich auch bei S21 im Übermaß. Eine Katastrophe im System S21 dürfte allerdings 9/11 näher sein als der Duisburger Loveparade. Hier sind nicht nur teils vermutete, teils nachgewiesene Trickser, Veruntreuer und Betrüger am Werk, sondern auch potentielle Mörder. Eschede war die blutige Schrift an der Wand. In der verKohlten Republik gab es dafür allerdings keine Sühne und es erfolgte schon gar keine Umkehr in der Politik der Bahn. Einem menschenverachtenden System ist solches fremd. Jetzt entscheidet sich, ob wir solches als Bürger weiterhin zulassen und den Preis dafür irgendwann einmal mit Blut und Leid bezahlen wollen. Oder ob wir Merkel und Grube dahin schicken, wo sie hingehören: zum Teufel. Im doppelten baden-württembergischen Sinne des Wortes (15).

(14) www.freitag.de/community/blogs/mcmac/s21---gruselmaerchen-als-betthupferl

(15) bit.ly/nQ94KO

(16) de.wikipedia.org/wiki/ICE-Unfall_von_Eschede

Weiterführender Link:

www.welt.de/debatte/kommentare/article13482525/Die-gefaehrliche-Refeudalisierung-der-Politik.html

Ein weiterer Text, BRD21: Der braune Mutterboden, ist in Arbeit. Er soll Verbindungen zur braunen Vergangenheit aufzeigen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

seriousguy47

Anglophiler Pensionär und Flüchtlingsbetreuer aus Stuttgart.

Wehrdienst, Studium ( Anglistik, Amerikanistik, Empirische Kulturwissenschaft, Sozialpädagogik) , Praktikum ( Primärtherapie), Lehramt, Flüchtlingsbetreuung

seriousguy47

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden