S21: Neue Polizeiaktion gegen Internetreporter

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Immerhin warteten die Stuttgarter politischen Verfolgungsbehörden bis zum 21.07.2011 mit ihrer Hausdurchsuchung bei den freien Bürgerreportern von cams21, wo Filmmaterial zum 20:06.2011 beschlagnahmt wurde. Am 20.07.2011, dem Tag des Attentats auf Hitler, hätte es bei ganz üblen Polemikern sonst womöglich Assoziationen zur Weimar-Nazi-Justiz-Tradition gegeben, die ihren Höhepunkt und ihre Krönung gleichermaßen in Roland Freisler fand, dessen Witwe sich nach dem Krieg nicht nur der Pension ihres vormaligen Herzchens erfreuen durfte, sondern ab 1974 zusätzlich einen sogenannten Berufsschadensausgleich bekam .Die bemerkenswerte "Begründung für dessen Zahlung lautete, dass im Falle Freisler unterstellt werden müsste, dass er, wenn er den Krieg überlebt hätte, als Rechtsanwalt oder Beamter des höheren Dienstes hohe Einkommen erzielt hätte“. Mal abgesehen davon, dass dieser Nazi-Terror-Richter damit anständigen Kriegsopfern gleichgestellt wurde, darf man aus derFormulierung, dass diese Argumentation als „gesetzeskonform“ zu bewerten war, wohl auch schließen, dass deutsche Politik und Justiz zumindest bis 1997 der Meinung waren, dass Freisler auch nach 1945 gut in die deutsche Justiz-Szene gepasst hätte. Das wiederum würde manches verständlicher machen.

de.wikipedia.org/wiki/Roland_Freisler

Aber zurück zur Hausdurchsuchung. Länger konnte man mit der natürlich auch nicht warten, denn heute soll das von SMA auf Rechen- und verwandte Fehler durchgesehene Stresstest-Fake der Bahn an Geißler und seine Tafelrunde übergeben werden. Und diese vermutlich weitere Eskalation der Lügenspirale könnte verstärkten Protest zur Folge haben. Auch steht der Abriss des denkmalgeschützten Südflügels des Bonatzbaus im Interesse der Allgemeinheit des Kapitals an, sowie die von Geißler „Verpflanzung“ genannte Abholzung der restlichen Bäume im Stadtzentrum. Und davor muss noch das Protestcamp dortselbst „geräumt“ werden.....Deshalb muss jetzt zumindest versucht werden, diejenigen, die die Ereignisse um S21 bislang im Internet dokumentiert hatten, möglichst stark einzuschüchtern, so dass die demokratische Transparenz eingeschränkt und die Kontrolle der Berichterstattung durch die etablierten Medien wieder hergestellt wird. Ein erster Einschüchterungsversuch gegen die Parkschützer hatte ja bereits am 07.07.2011 stattgefunden, aber offenbar nicht die von der Staatsanwaltschaft gewünschten Ergebnisse erbracht.

blog.cams21.de/2011/07/21/polizei-fuhrt-hausdurchsuchungen-bei-cams21-mitgliedern-durch/

www.radio-utopie.de/2011/07/07/polizei-und-staatsanwaltschaft-von-stuttgart-mochten-gern-richtig-arger-bekommen/

www.kontextwochenzeitung.de/newsartikel/2011/07/das-phantom-der-razzia/#c1915

Wozu das beschlagnahmte Filmmaterial dienen soll, wurde von der Hofberichterstattung bereits im Vorfeld intensiv kundgetan:

Die Erstürmung des Grundwassermanagements von Stuttgart-21-Gegnern am 20.Juni kann für die bisher 14 Beschuldigten teuer werden. Jedem einzelnen drohen durch zivilrechtliche Forderungen über 70.000 Euro Schadenersatz......Auf mehr als eine Million Euro Schaden veranschlagt die Stuttgarter Staatsanwaltschaft die Folgen der Randale auf der Baustelle des Grundwassermanagements im Mittleren Schlossgarten. Strafrechtlich laufen Ermittlungen wegen des besonders schweren Falls des Landfriedensbruchs. Das Strafmaß sieht hierfür Haftstrafen zwischen sechs Monaten und zehn Jahren vor...."Ausreichend ist jede bewusste Förderung der fremden Tat" …..

Und natürlich haben findige Rechtsanwälte in Kooperation mit einer passgenauen Justizbereits Wege gefunden, die indirekte Einschränkung des Demonstrationsrechts über materielle Bestrafung weiter zu entwickeln. Bei einem Prozess in Aachen im Jahr 2006 wurden den Beklagten noch Lohnkosten der Mitarbeiter, der Einsatz technischer Geräte zur Absicherung, Kosten für eine Sicherheitsfirma und ein Produktionsausfall durch Sonderschichten an Sonntagen auferlegt, was sich am Ende „gesamtschuldnerisch“ auf die Summe von 71643,71 Euro plus Zinsen belief. Und das Delikt, das so schön hochgerechnet wurde, war......? Die Besetzung eines Baggers und dessen Neubemalung. Da ist also Musik drin – wenn der Richter passt.

www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.stuttgart-21-randalierern-vom-20-juni-droht-millionenklage.c66deefc-fddf-4a9c-81ab-f9e24da06ea8.html

Was vordergründig als normale rechtsstaatliche Ermittlung erscheint, bekommt durch solcherlei gezielt formulierte Berichterstattung den Charakter einer Droh- und Einschüchterungskulisse. Und mag von betroffenen Firmen, die sich keine der Bahn vergleichbare Juristenschar leisten können, als Einladung verstanden werden, vielleicht doch auch mal einen Rechtsanwalt nach "legalen" Bereicherungsmöglichkeiten forschen zu lassen. Meinrad Heck meint dazu aktuell in der kontext Wochenzeitung – die noch nicht hausdurchsucht wurde:

Unglücklicherweise muss diese Justiz der Wahrheitsfindung zuliebe jedes Wort – eigentlich auch das eigene – auf die Goldwaage legen. Dann, und erst dann, wird sich zum Beispiel erweisen, ob es um Millionen oder nur ein paar zehntausend Euro Schaden geht. Die Deutsche Bahn stünde dabei ausnahmsweise vor einer völlig neuen Herausforderung. Sie müsste Kosten plötzlich nicht klein-, sondern möglichst hochrechnen. Und sie müsste diese Hochrechnung in einem Schadenersatzverfahren zwecks Baustellenschäden auch noch offenlegen und vor allem beweisen. Diese Millionendebatte passt den Eisenbahnern zwar möglicherweise in ihr kommunikatives Konzept, sie ist und bleibt aber bis zu ihrem Beweis nichts anderes als reiner Popanz.“

www.kontextwochenzeitung.de/newsartikel/2011/07/die-radikalen/

Ja, da dürften beim Grinse-Kefer bald wieder die Dreisätze rauchen, denn die Ingenieure22 haben den „Schaden“ fachkundig erst einmal auf ca. 60 000 Euro beziffert. Das will erst einmal auf eine Million hoch manipuliert werden. Soweit der Betreff: Geldgier des Bahn-Managements und der assoziierten Profiteure. Der Staatsanwaltschaft und den Medien geht es eher um Einschüchterung. Und die ist umso wirkungsvoller, je mehr Widerständler man einschüchtern kann. Generell über solche Medienberichte. Individuell über die Identifikation und polizeiliche Betreuung möglichst vieler Baustellenbesucher.

Das dürfte also der offensichtliche hinter dem vordergründigen Zweck der Hausdurchsuchungen und Beschlagnahmungen sein. Verbunden damit ist aber auch ein massiver Angriff auf die Freiheit des Internets. Jeder Internet-Reporter muss sich in Zukunft die Frage stellen, ob er sich weiter aufklärerisch betätigen und damit andere potentiell gefährden will, oder ob er die Deutungshoheit wieder ganz den etablierten Medien überlässt, die sie, wie die Berichterstattung zum 20.06.2011 hinreichend belegt, als Stimmen ihrer Herren nutzen - was den Protestierenden auch nicht viel nützt.

China scheint näher zu rücken. Und die deutsche Vergangenheit auch, es sei denn die immer neuen Enthüllungen über Lug und Betrug durch Mehdorn, Grube, Teufel, Oettinger, Mappus, Gönner, Schuster usw. würden von der Stuttgarter Justiz ähnlich engagiert untersucht und verfolgt. Dann könnte man diese Vorgänge in der Tat als das ansehen, was sie in einem wirklichen Rechtsstaat sind, in dem vor dem Gesetz ALLE GLEICH sind: pflichtgemäße Ermittlungen in einer potentiellen Strafsache. Und dieser Beitrag wäre selbstverständlich nie geschrieben worden, weil es dafür keinen Anlass gegeben hätte.

www.fr-online.de/wirtschaft/spezials/stuttgart-21/manager-warnte-vor-mehrkosten/-/4767758/8691102/-/

Nachtrag:

Wie wenig die deutsche Justiz in den Grund- und Menschenrechten angekommen ist, zeigt ein aktuelles Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Er gab einer Altenpflegerin das Recht auf Meinungsfreiheit zurück, die, wegen skandalöser Misstände in ihrem Altenheim, ihren Arbeitgeber angezeigt hatte, daraufhin gekündigt wurde und diese Kündigung im deutschen Instanzenweg bestätigt bekommen hatte. Dass sie ihr Recht auf Meinungsfreiheit genutzt hatte, um die fortlaufende Verletzung der Menschenrechte in ihrem Altenheim zu stopppen, scherte die deutschen Arbeitsgerichte bei der Rechtsgüterabwägung offenbar wenig.

www.tagesspiegel.de/berlin/berliner-pflegerin-durfte-doch-ueber-missstaende-reden/4417624.html

www.swr.de/report/-/id=233454/nid=233454/did=1270410/og63p7/index.html

.....Man hat hierzulande ja historisch eine Tradition der" Euthanasie". Was also soll das Geschwätz von Menschenrechten für alte Pflegeabhängige.....?

Und auf S21 bezogen: Was soll das Gejammere über möglicherweise krepierende Alte, Behinderte oder Kleinkinder bei einem potentiellen Katastrophenfall im Tunnelbahnhof, weil sie dort - anders als derzeit - keine barrierefreien Fluchtwege haben und keinen freien Abzug für Rauch oder giftige Dämpfe ....?

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

seriousguy47

Anglophiler Pensionär und Flüchtlingsbetreuer aus Stuttgart.

Wehrdienst, Studium ( Anglistik, Amerikanistik, Empirische Kulturwissenschaft, Sozialpädagogik) , Praktikum ( Primärtherapie), Lehramt, Flüchtlingsbetreuung

seriousguy47

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