Es scheint, dass Schwarz-Gelb als Opposition in Baden-Württemberg ausgedient hat und die Bosse die Sache nun selbst in die Hand nehmen. Offenbar hat man seit Adolf dazu gelernt. Der hatte zwar wunschgemäß die Demokratie abgeschafft und dem Kapital zur Alleinherrschaft verholfen. Aber dann war er doch ziemlich aus dem Ruder gelaufen und hatte viele der Extraprofite, die er den Bossen beschert hatte, in seiner Götterdämmerung wieder zerstört. Vom moralischen Ansehensverlust weltweit mal ganz abgesehen.
Das Kapital hat nach dem Krieg daraus die Konsequenz gezogen, sich aus dem Neandertal politischer Herrschaft ein Stück weit heraus bewegt und seine antidemokratischen Impulse mit subtileren, wenngleich mühseligeren, Methoden zu materialisieren versucht. Auch aus moralischen Gründen achtete man anfangs noch sehr auf den demokratischen Schein, wie er vom Bundesverfassungsgericht 1952 in den Grundsätzen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung formuliert worden war.
www.servat.unibe.ch/dfr/bv002001.html
Seit dem Lambsdorff-Papier, das dem Sturz der sozialliberalen Koalition vorausging, wird wieder Klartext im Klassenkampf von Oben gesprochen und die freiheitlich-demokratische Grundordnung bis an ihre äußersten Grenzen gedehnt. Die ganz rüde Herrschafts-Variante, die die damals von Reagan gestartete „neo“-liberale Restauration begleitete, wurde allerdings outgesourced – was nicht ausschließt, dass sie z.B. von Chile oder Argentinien aus, bewusstseinsbildend auf die hiesigen Bosse zurückwirkte. *) Alles in allem lief das ganz gut für die Bosse, bis die Basta-Politik ihres Traumkanzlers Kanzlers, Gerhard Schröder, bürgerlichen Widerstand hervorzurufen begann.
Diesen Widerstand musste man allerdings nicht weiter fürchten. Er beschränkte sich nämlich auf die Hartz IV-Ränder der Gesellschaft, die man als Sozialschmarotzer diffamieren, und die anti-Atom-Szene, die man als schrullig-verschratet abtun konnte. Daneben gab es den verstreuten Protest gegen „Großprojekte“, der es nicht zu nationaler Wahrnehmung schaffte. Doch dann erfuhr der Widerstand gegen S21 plötzlich einen Aufschwung, der nicht mehr nachlassen wollte, nationale Aufmerksamkeit erregte und schließlich zu einem Machtverlust des geschäftsführenden Ausschusses des Kapitals in Baden-Württemberg führte.
Seitdem tobt in Stuttgart nicht mehr nur der Kampf zwischen Bürgern und Herrschaftskaste um die politische Macht, sondern auch die Herrschaftskaste selbst ist in sich gespalten zwischen bräunlich-roten Betonköpfen und grünen Erneuerungswilligen. Als Hauptschuldigen haben Bosse und Medien schnell den grünen Verkehrsminister ausgemacht, an dem sie nun – unter den wohlwollenden Blicken der SPD - vorexerzieren wollen, dass man politisch nicht überleben kann, wenn man die Wünsche der Bosse nicht fraglos umsetzt.Um den Frontverlauf übersichtlicher zu gestalten, rechnet man dabei Winfried Hermann so mal eben dem bürgerlichen Widerstand zu und definiert seinen Versuch, Politik zum Wohle des Landes zu machen als Anti-Bahn- (=Kapital) Politik, während man den Rest der Regierung – insbesondere aber die SPD - fest und zuverlässig in der Hand zu haben meint.
Nach all dem, was in der sogenannten „Schlichtung“ und in diversen Veröffentlichungen u.a. des STERN, des SPIEGEL, der Stuttgarter Zeitung oder der Frankfurter Rundschau zu diesem größten, teuersten und dümmsten Projekt in Deutschland (so Brigitte Lösch von den Grünen am 18.07.2011 bei der Montagsdemo) zutage gefördert wurde, hätten politische und wirtschaftliche Vernunft längst zu seiner Beerdigung führen müssen – umso mehr, als die eskalierende Weltfinanzkrise eigentlich jede unnötige Geldverschwendung alternativlos stoppen müsste. **)
Warum also eskaliert Grube stattdessen? Ein Grund ist natürlich die kapitalistische Geldgier. Ein weiterer mag in der Persönlichkeit Grubes liegen, der, wie Mappus, nicht den „besseren Kreisen“ entstammt, in die er aufgestiegen ist. Ohne Stallgeruch und die mit der Muttermilch eingesogenen Verhaltenscodici bleibt man da immer ein gefährdeter Außenseiter. Außerdem ist mir beim kurzen, oberflächlichen Surfen durch Grubes biographische Daten aufgefallen, dass da auf Anhieb keine herausragende Lebensleistung ins Auge fällt, wohl aber eine ganze Reihe von Förderungen durch Gönner aus Kapital und Politik. Da sitzt er nun also, geduldet als wohl dressierter Pudel, im Kreise des Kapitals und der Mutti Merkel und hat bei Aufmüpfigkeit – gefühlt - alles zu verlieren. Die Herrchen und das Frauchen aber wollen unbedingt S21. Ein dritter Grund findet sich aktuell im Manager Magazin:
„Der Frust in der Branche ist bereits hoch. "Es muss möglich sein, in Deutschland große Infrastrukturprojekte zu verwirklichen, um wettbewerbsfähig zu bleiben", kritisiert ein Sprecher des Essener Baukonzerns Hochtief das Gerangel um den Tiefbahnhof gegenüber manager magazin. Sein Unternehmen habe sich um einzelne Lose beworben.
Schnell soll es jetzt gehen - das ist die Forderung, die unisono von Bahn und Baufirmen zu hören ist. Da kommt es allen Beteiligten gelegen, dass im Zuge von Stuttgart 21 alle potenten Bewerber im weiteren Bewerbungsverfahren gute Chancen auf einzelne Bauabschnitte haben. Außer Porr, Hochtief und Züblin/Strabag will auch Bilfinger Berger im späteren Verlauf des Projekts kräftig mitverdienen.
…..
Zügig und diszipliniert wollen die Befürworter derzeit vorgehen, um das Vorzeigeprojekt nicht zu gefährden. "Stuttgart 21 hat hohen Symbolwert für die beteiligten Baukonzerne", sagt Analyst Marc Gabriel vom Bankhaus Lampe. "Ihr internationales Renommee wird gestärkt, wenn gebaut wird."
www.manager-magazin.de/unternehmen/artikel/0,2828,774595,00.html
Es geht also nicht nur um ein Infrastruktur- und Immobilienprojekt. Es geht auch ums Prinzip und ums (gefühlte) Prestige. Stuttgart muss fallen, damit das Kapital ein Vorzeigeprojekt bekommt und Grube nicht (wieder) fällt. Und da die Legitimität und Rationalität des Projektes von Tag zu Tag in immer höherem Tempo immer weiter bröckeln, versucht Grube auf Teufel komm raus Fakten zu schaffen, die einen Ausstieg – in seiner Logik – unmöglich machen. Das mag kriminell sein, aber in diesen Kreisen nimmt man das wohl nicht so genau, und von der hiesigen Justiz hat man offenbar ohnehin nichts zu befürchten.
Um Prestige und Geld geht es auch Ingenhoven und den „Stuttgarter“ Ingenieuren, für die gerade bewältigte Höchstrisiken die beste Empfehlung für weltweite Anschlussaufträge bedeuten. Und dann wäre da noch die Art, wie der Lobbyismus sich in unser Abnicker-Parlaments-System eingefressen hat, das er nach Belieben manipulieren und steuern kann. Und es dürfte kein Zufall sein, dass man sich nach dem Machtwechsel in Baden-Würrtemberg gerade in diesem Bereich ganz besonders bedroht fühlt. Dazu mehr in Teil 3.
Ein Testlauf für „Infrastrukturprojekte“ bei solcher Gemengelage findet übrigens gerade in Leipzig statt. Einen Vorgeschmack darauf, was in Stuttgart droht gab schon einmal die Stuttgarter Zeitung unter der Überschrift „Ein Tunnel nach Absurdistan?“:
„...es müsste ... im City-Tunnel die S-Bahn fahren und ab und an ein ICE. Das alles sollte 572 Millionen Euro teuer und seit 2009 Realität sein, eigentlich. Ist es aber nicht. Es heißt, dass es im Dezember 2013 so weit sein wird. Wenn es normal läuft, was bisher eher selten der Fall war. Das Projekt wird dann rund eine Milliarde Euro gekostet haben...."Dies ist auch der Startschuss für den Ausbau der Sachsen-Franken-Magistrale von Leipzig nach Süden", sagte der damalige Verkehrminister Kajo Schommer. Eine Kathedrale des Nahverkehrs sollte entstehen. Eine Hauptschlagader für die Region. Im Volksmund wird sie "schwarzes Loch" genannt. Euro um Euro verschwindet unter der Stadt.....der Flughafen fertigt 2,5 statt der erhofften 4,5 Millionen Passagiere ab, die S-Bahn Leipizig-Halle nutzen 10.000 Menschen täglich statt der erwarteten 20.000. Großmannssucht sei das alles.....Mit politisch geschönten Zahlen habe man das Projekt durchgepeitscht. Es ist nicht so, dass es nutzlos wäre. "Aber die Kosten stehen in keiner Relation zum Nutzen....Ursprünglich sollte dieser Tunnel nämlich auch für den Fernverkehr da sein, doch die Bahn hat den Knoten verlegt.....Ex-OB Tiefensee hat ebenfalls die Kostenexplosion kritisiert, an der Sinnhaftigkeit des Unterfangens hat auch er aber keine Zweifel, man müsse das langfristig betrachten. "Man sollte dieses Geschenk annehmen." Und eines Tages könne vielleicht ja doch Fernverkehr dort fahren. Wie in einen engen S-Bahnfahrplan Fernzüge gequetscht werden sollen, ohne dass dies im Chaos endet, weiß jedoch noch keiner....."
Klingt für Stuttgarter Ohren schon jetzt alles sehr vertraut.
*) Näheres zum Thema KZ-Outsourcing hier:
www.freitag.de/community/blogs/seriousguy47/brd-21-ein-verkaufter-mercedes-wiegt-mehr-als-ein-leben-
www.welt.de/print-wams/article100378/Die_Bundesregierung_und_die_toten_Deutschen_in_Argentinien.html
1/5 Verschwörung des Schweigens
www.youtube.com/watch?v=PJiYfDA3Hp4
2/5 Verschwörung des Schweigens
www.youtube.com/watch?v=a0gnnr0ZgwA&feature=related
3/5 Verschwörung des Schweigens
www.youtube.com/watch?v=_yU-Ba3UZlA&feature=related
4/5 Verschwörung des Schweigens
www.youtube.com/watch?v=VPE3dyVgU8g&feature=related
5/5 Verschwörung des Schweigens
www.youtube.com/watch?v=gkNpYzApbjk&feature=related
de.wikipedia.org/wiki/Desaparecidos
www.menschenrechte.org/lang/de/lateinamerika/uberwindung-vergangenheit-argentinien?output=pdf
www.spiegel.de/spiegel/print/d-17218926.html
www.gabyweber.com/dwnld/ebooks/mba_verschundene_ebook.pdf
bit.ly/qb9vYQ
www.labournet.de/branchen/auto/dc/ar/deutsch.html
www.zeit.de/kultur/2011-04/eichmann-prozess-holocaust
www.freitag.de/politik/1024-1960-geheimes-dossier
**) Ein kleiner Auszug an Links zum Kostenschwindel und anderen Ungereimtheiten:
www.spiegel.de/spiegel/print/d-73791925.html
www.stuttgarter-zeitung.de/stz/page/2619846_0_4147_-gutachten-zur-neubaustrecke-kosten-und-nutzen-in-frage-gestellt.html
www.stern.de/politik/deutschland/bahnprojekt-stuttgart-21-schwere-fehler-in-der-bibel-1627395.html
www.welt.de/politik/deutschland/article9473908/Die-Betreiber-von-Stuttgart-21-sind-Betrueger.html
www.zeit.de/2011/05/DOS-Deutsche-Bahn?page=all
www.kopfbahnhof-21.de/fileadmin/downloads/presseberichte/ERI_6_2011_engelhardt.pdf
www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/0,1518,772001,00.html
www.spiegel.de/spiegel/print/d-79303787.html
www.fr-online.de/wirtschaft/spezials/stuttgart-21/pruefer-ruegen-s21-rechnung/-/4767758/8673378/-/
www.fr-online.de/politik/meinung/die-stuttgart-luege/-/1472602/8675922/-/index.html
www.fr-online.de/politik/-wir-wussten--dass-die-bahn-nicht-einfach-ist-/-/1472596/8677130/-/index.html
railomotive.com/2011/07/stuttgart-21-kleine-zusammenfassung/
Ergänzt und überarbeitet am 20.07.2011, 15:00 Uhr
Teil 2:
www.freitag.de/community/blogs/seriousguy47/s21-putschversuch-der-bosse-2
