S21: Putschversuch der Bosse? (2)

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Verkehrsminister Winfried Hermann hat sich bislang angesichts der Anfeindungen, Verleumdungen, Tricks und Erpressungen von Schwarz-Gelb, Bahn und assoziierten Profiteuren noch nicht geschlagen gegeben und nach Kräften versucht, seine Linie der Gesamtverantwortung für Bürger und Land gegen die sachfremden Partikularinteressen beizubehalten. Und so erleben wir seit Wochen eine Achterbahn an wechselseitigen Attacken und Gegenattacken, deren neueste die Ankündigung Grubes – alias „Bahn“ - darstellt, man prüfe rechtliche Schritte gegen Grün-Rot – alias Winfried Hermann -, weil dieser eine „Taskforce gegen Stuttgart 21“ gebildet habe und im Übrigen gegen eine „Projektförderungspflicht“ für den unterirdischen Rohrpostbahnhof verstoße – was im Klartext als Profitförderungspflicht für das Kapital gegen Bürger- und Landesinteressen verstanden werden darf. Und man sagt denn auch ganz klar, dass man – bei weiterer Unbotmäßigkeit von Hermann - auf juristischem Wege versuchen werde, diesen Profit einzuklagen:

Da kann man richtig Kies daraus machen“, sagte ein Bahn-Vertreter zu FOCUS über die möglichen Vertragsverstöße. Für das Land und den Steuerzahler stünden damit Millionen Euro auf dem Spiel.“

bit.ly/o0w6CE

Und das scheint durchaus der eigentliche, neue Daseinszweck der Dürr-Mehdorn_Grube-Bahn zu sein, dem man – siehe Eschede – auch gern mal ein paar Menschenleben opfert.

Dank der FTD weiß ich seit heute, dass die Deutsche Bahn AG aus weit mehr Firmen besteht, die – wie die Praxis zeigt – fröhlich nebeneinander her existieren und wirtschaften und die Deutsche Bahn zu dem gemacht haben, was sie heute ist: Ein staatlicher Konzern, der zur Erlangung von Steuervorteilen wie eine Schwindelfirma aufgebaut ist. Ein Konzern, in dem eine schmale, für den Kunden arbeitende Basis von “Führungskräften” gelenkt werden, die wenig vom Eisenbahnbetrieb und Kundennähe verstehen und nur auf ein Ziel ausgerichtet sind: die Profitmaximierung jeder einzelnen Firma.

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Während die Wikipedia-Autoren von579 DB-Unternehmen im In- und Ausland wissen, sind es laut FTD “über 1000″. Eine stolze Leistung, die gewaltige Aufwendungen für einen Wasserkopf nach sich zieht und viel Gestaltungsspielräume gibt, Gewinne und Verluste steuermindernd kreativ zu verrechnen.“

bit.ly/oHLadA

Auf welcher Miste die behauptete Profitförderungspflicht gewachsen ist, sei einmal dahin gestellt. Wer da was zu wem schiebt und wer da jeweils wen vorschiebt, das ist in dem ganzen Grubeschen Intrigenspiel ohnehin nicht mehr zu durchschauen. Jedenfalls trat am 14.07.2011 ein Professor Stefan Faiß, Grüner, Jurist, erklärter S21-Antreiber und Gründer der „Juristen für Stuttgart 21“ mit folgender Erkenntnis an die Öffentlichkeit:

Nach Ansicht der „Juristen für Stuttgart 21“ verstößt Landesverkehrsminister Winfried Hermann massiv gegen die Projektförderungspflicht, der jede Vertragspartei des Finanzierungsvertrages zu Stuttgart 21 unterliegt.“

bit.ly/onCibq

bit.ly/qXTTGz

Herr Faiß hat zwar auch schon früher eine eigenartig lavierende und wenig begründete Position pro S21 und gegen die eigene Partei bezogen, seine Attacke gegen Parteifreund Hermann überschreitet nun allerdings doch das Maß, das unter Partei-“Freunden“ üblich sein sollte.

bit.ly/qZkhIG

bit.ly/jhmaGu

Von eigenartiger Einseitigkeit und Realitätsverleugnung ist darüber hinaus seine juristische Argumentation gekennzeichnet. Dass man eventuell auch mal eine arglistige Täuschung von Bahn und schwarz-gelber Politik beim Zustandekommen der Verträge in Betracht ziehen oder sich um das problematische Verfassungsverständnis kümmern könnte, das hinter einem Versuch von Konzernen stecken könnte, einer demokratisch gewählten und legitimierten Regierung Entscheidungen im Sinne von Partikularinteressen aufzuzwingen, das scheint solcherlei willfährigen Juristen erst gar nicht in den Sinn zu kommen. Für sie scheinen Gesetze und Verfassung eine ähnliche Rolle zu spielen wie die Bibel für die Kirche vor der Reformation: drin steht, was die Herrschaftskaste hineininterpretiert. Der blöde Pöbel hat sich gefälligst danach zu richten und nicht selbst nachzulesen, was da wirklich steht.

Nun mag der Herr Faiß zusammen mit dem Herrn Grube sich ja gelegentlich beim Gläschen Trollinger in Zeiten zurück träumen, als der Herr von Waldburg-Zeil noch seine Bauern kujonierte und, wenn nötig, exekutierte und der Pfaffe dazu psalmodierte, aber die Stuttgarter Bürger verfügen – trotz PISA – noch über rudimentäre Lesefähigkeiten. Und es gibt auch eine gedruckte und online abrufbare Landesverfassung, die nicht viel, aber doch einiges über das sagt, was eine Regierung zu tun und zu lassen hat.

de.wikipedia.org/wiki/Deutscher_Bauernkrieg

Da wäre zum Beispiel der Amtseid (Artikel 48 ), den die Mitglieder der Landesregierung zu schwören haben. Von einer Projektförderungspflicht der Landesregierung oder einer vorrangigen Bedienung wirtschaftlicher Profit-Interessen steht darin nichts:

"Ich schwöre, daß ich meine Kraft dem Wohle des Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, Verfassung und Recht wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde. So wahr mir Gott helfe."[Man darf es aber auch ohne „Gottes“ Hilfe versuchen....]

Artikel 49 legt u.a. fest, dass nicht Herr Grube, sondern der Ministerpräsident die Richtlinien der Politik bestimmt und dafür auch die Verantwortung trägt.

Artikel 56 legt fest, dass „auf Beschluß von zwei Dritteln der Mitglieder des Landtags... der Ministerpräsident ein Mitglied der Regierung entlassen“ muss.

Artikel 57 schließlich stellt klar:

Die Mitglieder der Regierung können wegen vorsätzlicher oder grobfahrlässiger Verletzung der Verfassung oder eines anderen Gesetzes auf Beschluß des Landtags vor dem Staatsgerichtshof angeklagt werden.“

www.lpb-bw.de/bwverf/bwverf.htm#Regierung

Das nur mal zwischendurch zu den rechtsstaatlichen Grundlagen dieser eigenartigen Debatte, in der die politische und rechtliche Kontrolle von Regierung doch etwas merkwürdig durcheinander geraten, und das Recht missbräuchlich zur Waffe von Politik und Wirtschaftsinteressen umgeschmiedet wird. Selbstverständlich ist auch das Vertragsrecht Teil des Rechtsstaates. Aber auch dort – davon gehe ich mal aus – gibt es keinen Zwang, dass eine Regierung automatisch und ungeprüft Dinge tun muss, die ihrem ureigensten und im Amtseid beschworenen Auftrag widersprechen und dem Wohl des Landes und der Bürger extrem schaden. Bevor man also das Recht als Propagandakeule schwingt und damit den Rechtsstaat als Herrschaftsinstrument des Kapitals missbraucht und beschädigt, sollte man vielleicht erst einmal, wie es sich juristisch gehört, die unterschiedlichen Aspekte in dieser Angelegenheit gegeneinander abwägen. Eine Fähigkeit, die offenbar immer mehr Juristen abgeht, deren Fokus allzu sehr auf dem Biegen und Beugen von Paragraphen im Sinne ganz bestimmter Interessen zu bestehen scheint. Und die offenbar auch das gezielte Wegschauen impliziert:

Anstatt nach alten Unterlagen im Landesverkehrsministerium zu wühlen und Aktennotizen scheibchenweise der Öffentlichkeit zu präsentieren, deren Vollständigkeit und dessen Wahrheitsgehalt niemand zu überprüfen vermag, müsste das Landesverkehrsministerium sich um die vertragsgemäße Umsetzung des Projekts Stuttgart 21 kümmern.“

bit.ly/onCibq

Da befindet sich der Herr Faiß dann ganz auf der Linie derjenigen, die meinen, man solle doch die alten Naziverbrechen oder den längst verjährten Kindesmissbrauch auf sich beruhen lassen und sich doch lieber der so viel wichtigeren Gegenwart zuwenden. Vergangenes Fehlverhalten legalisiert sich bei ihm offenbar über die Jahre von selbst. Jedenfalls, wenn es dem eigenen Interesse dient. Hier fehlt es offenbar nicht nur fundamental am Respekt vor Recht und Moral, die beide ihren Daseinszweck offenbar allenfalls noch als Waffe im Propagandakrieg finden. Dies jedenfalls mag man aus dem weiteren Kontext der Faißschen Einlassungen ablesen:

Anstatt dieser Pflicht [zur Projektförderung] nachzukommen, richtete Winfried Hermann eine task force zur Verhinderung von Stuttgart 21 ein. Zudem bläht der Landesverkehrsminister seinen Beamtenapparat mit 59 zusätzlichen Stellen auf. Prof. Stefan Faiß vom Arbeitskreis der „Juristen für Stuttgart 21“ dazu: „Der Steuerzahler zahlt nun doppelt: einmal für das Projekt Stuttgart 21 und zum anderen Mal - vermutlich einen Millionenbetrag - für Angestellte und Beamte des Landesverkehrsministeriums, die dieses Projekt verhindern sollen.“

bit.ly/onCibq

Der Paragraphenschwall, den Faiß dann über den Rest seines Textes gießt, mag - für sich betrachtet - juristischen Aussagewert haben. Im Kontext interessengeleiteter PR und in der Vermanschung von politischer, propagandistischer und juristischer Argumentation entlarvt sie sich aber als billige Drohkulisse. Vor allem aber steht so lange der Verdacht, dass hier Kapitalinteressen vor juristischer Überprüfung geschützt werden sollen, solange - entgegen der nunmehr bekannten Faktenlage - , arglistige Täuschung immer noch kategorisch ausgeschlossen wird. Vielleicht hat es ja damit zu tun, dass man als Wirtschaftsjurist gut daran tut, die Interessen der Bosse nicht allzu sehr infrage zu stellen, wenn man sich eine Karriere in deren Kreisen offen halten möchte....

Das Wort „Projektförderungspflicht“ ist übrigens zu Recht bereits als Unwort des Jahres 2011 vorgeschlagen worden.*) Und der baden-württembergische Verkehrsminister hat bereits am 26.06.2011 alles Notwendige dazu gesagt.**) Er ist natürlich kein Jurist und deshalb auch nicht weiter ernst zu nehmen – es sei denn, man betrachtet das Studium der Juristerei, insbesondere die Bereiche Steuer- und Wirtschaftsrecht des Herrn Faiß, eher als den Königsweg, um Experte für das Verbiegen von Gesetz und Recht im Sinne der Herrschaftskaste zu werden. Für die Herstellung von Gerechtigkeit dürfte für so Eingestellte manchmal der normale, aber hinreichend selbstkritische Menschenverstand besser geeignet scheinen.

*) bit.ly/riedVs

**) www.mvi.baden-wuerttemberg.de/servlet/is/101142/

Teil 3:

www.freitag.de/community/blogs/seriousguy47/s21-putschversuch-der-bosse-3

Bearbeitet am 20.07.2011, 15:10 Uhr

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Geschrieben von

seriousguy47

Anglophiler Pensionär und Flüchtlingsbetreuer aus Stuttgart.

Wehrdienst, Studium ( Anglistik, Amerikanistik, Empirische Kulturwissenschaft, Sozialpädagogik) , Praktikum ( Primärtherapie), Lehramt, Flüchtlingsbetreuung

seriousguy47