Alles Diktatur und Dunkelland? Die Neonazi-Morde und der Osten

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In dieser Zeitung ist vor ein paar Tagen eine Schieflage der Diskussion über die rechtsradikale „Zwickauer Zelle“ beklagt worden: Statt darüber zu reden, wie sich Jugendliche aus dem Osten derart radikalisieren konnten, würde das Versagen der Sicherheitsbehörden debattiert. Nun, inzwischen wird „diese doch einfache Geschichte des Abgleitens“ nicht nur von Jana Hensel erzählt, sondern ist auch von anderen für die Erklärung der mörderische Nazibande bemüht worden. Es muss doch alles irgendwas mit den längst nicht mehr neuen Ländern zu tun haben.

Muss es? Anetta Kahane hat den „Altlinken“ im Westen in der Tageszeitung vorgeworfen, sich nicht eingestanden zu haben, „dass die neuen national-revolutionären Neonazis kein Import aus dem 'faschistoiden' Westen waren, sondern Produkt eines totalitären Systems, dem man gerade noch viel Sympathie entgegengebracht hatte“. Und auch „im Osten wollte die Mehrheit einfach nicht wahrhaben, was sich da aus dem Sumpf der vergangenen Jahrzehnte erhob“. In der Welt legte tags darauf Freya Klier mit der Behauptung nach, es sei die SED gewesen, die „den Nährboden für Rassismus und Ausländerfeindlichkeit“ bereitet habe. Und Constanze von Bullion folgtam Mittwoch in der Süddeutschen mit dem Hinweis, es sei „kein Zufall, dass die braune Mörderbande aus Jena stammt und nicht aus Detmold“. Nicht zuletzt die „haarsträubenden Pannen der Behörden“ seien „symptomatisch für den Osten der Nachmauerjahre. Nirgends ließ man rechtsextremistische Milieus so blühen wie in den neuen Ländern“.

Man braucht sich nicht zu den „Altlinken“ zählen, um einiges an dieser Interpretation für schlechten Holzschnitt zu halten. „Der Osten“, „der Rechtsextremismus“, „der Nährboden“: Das alles wirkt, je länger man darüber nachdenkt, wie der Ergänzungsbaukasten einer Debatte, die sich sonst mit genauso vereinfachenden, nur eben gegenteiligen Erklärungen zufrieden gibt. Man erkennt das Schwarzweiße auch in den Abwehrreflexen, die vom Erklärstück „Autoritärer Realsozialismus plus negative Wendeerfahrung minus etablierte Zivilgesellschaft“ hervorgerufen werden: Sind die Nazikader nicht alle aus dem Westen herübergekommen? Und hat nicht Dortmund eine militante Szene, für die es anderswo keinen Vergleich gibt? Offenbar endet zurzeit fast jede Debatte, die nur igrnedwas mit dem Thema zu tun hat, an der Ost-West-Demarkationslinie.

Dauerfahrt im Diskurskreisel

So geht das nun schon seit Jahren und die geringe Neigung der wechselnden Protagonisten, eine Auffahrt aus dem Kreisel zu nehmen, legt nahe, dass etwas Bequemes darin liegt. Die Bürgerbewegten aus dem Osten zeigen auf den Realsozialismus, die Ossis auf den Westen, der Westen auf den Osten. Wenn die Experten sagen, so einfach ist das alles nicht, hat die Fliehkraft längst schon alle außer Hörweite rutschen lassen. Die Debatte über Rechtsradikale, rassistische Einstellungen und das völkisch-biedere Alltagsgrausen hat zudem immer nur kurz Konjunktur. Beim nächsten Anschlag geht dann alles wieder von vorne los. Und wenn der Neonazi so jung ist, dass von einer prägenden DDR-Biografie nicht mehr die Rede sein kann, dann wird eben behauptet, hier nehme „eine Generation Rache an den sozialistischen Eltern“; wobei es sich um einen zeitlosen deutschen Movens handelt, denn gegen die Eltern hat sich noch jede Generation irgendwie aufgelehnt – und sei es als feuilletonistische Erfindung.

Man kann mit dem Thema Debatten führen, in denen es eigentlich um etwas ganz anders geht. Was das heißt, lässt sich im angesprochenen Text von Klier nachlesen, der sich zur Forderung aufschwingt, die 2007 fusionierte Linkspartei solle "sich dazu zu bekennen, dass sie den Boden für den Rechtsradikalismus im Osten stark mitbereitet hat". Aber man soll ja nicht nur meckern. So absurd es wäre, nicht davon auszugehen, dass gesellschaftliche Verhältnisse ihre sozialpsychologischen Spuren hinterlassen, sich politische Kulturen kollektiv in Biografien einschreiben, dass also das soziale Sein auch das schlechteste Bewusstsein bestimmt; so falsch scheint es doch, die Debatte über „den Rechtsradikalismus“ losgelöst von der empirischen Forschungsarbeit zu führen, in der sich das in den Zahlen über Einstellungen niederschlagen müsste.

Wer die Studie von Oliver Decker, Marliese Weißmann, Johannes Kiess und Elmar Brähler über „Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2010“ zur Hand nimmt, liest dort, „dass die Unterschiede zwischen Ost und West kleiner sind als innerhalb der jeweiligen Gruppe und genauso Stadtstaaten und Flächenstaaten unterschieden werden können“. Ostdeutsche stimmen signifikant stärker Ausländerfeindlichkeit, Sozialdarwinismus und der Befürwortung einer rechtsautoritären Diktatur zu; unter Westdeutschen finden sich „eher antisemitische und den Nationalsozialismus verharmlosende Aussagen“. In der Vorgänger-Studie von 2008 heißt es, der Anteil von Personen „mit einem manifesten oder geschlossenen rechtsextremen Weltbild“ habe 2006 im Westen höher gelegen, zwei Jahre später dagegen hatte der Osten die Alt-Republik knapp überholt. Insgesamt gingen rechtsextremistische Einstellungen auf lange Sicht zurück, die Befunde verändern sich aber in kurzer Zeit offenbar zum Teil deutlich.

Das Reden darüber als Teil des Problems


Was erklärt uns das? Zumindest, dass einfache Erklärungen vielleicht gar nicht weiterbringen. Auf den Ost-West-Nenner jedenfalls lässt es sich schwerlich bringen, wenn zugleich bekannt ist, dass die Werte „in den einzelnen Bundesländern höchst unterschiedlich“ sind, „aber auch innerhalb eines Bundeslandes bezogen auf die einzelnen Dimensionen rechtsextremer Einstellungen“. Anders formuliert: In Mecklenburg-Vorpommern kann die Befürwortung einer Diktatur ebenso überdurchschnittlich sein wie in Bayern, in Brandenburg dagegen ebenso klar unter dem Durchschnitt wie im Saarland. Blickt man von den Einstellungen zur rechtsradikalen Praxis, wird man sich mit Organisationszahlen befassen müssen, die im Zeitalter eher „autonom“ organisierter Netzwerke und Kameradschaften wohl schwieriger zu erheben sind. Und es stehen die umstrittenen Kriminalitätsstatistiken zur Verfügung.

Im jüngsten Verfassungsschutzbericht (man musste sich für diese Quelle eigentlich immer schon entschuldigen) sind die Angaben der vom BKA geführten „Gewalttaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich 'Politisch motivierte Kriminalität – rechts'“ aufgeführt. Eine wie seit langem bekannt ist umstrittene Liste, in die bisweilen nicht aufgenommen wird, was offenkundig eine rechtsradikale Tat ist. In absoluten Zahlen führte Nordrhein-Westfalen die Liste in den vergangenen beiden Jahren an, gefolgt von Sachsen, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Bayern. Bezogen auf die Einwohnerzahl sieht das schon etwas anders aus – da liegen die fünf ostdeutschen Bundesländern vor allen anderen. Diese Zahlen wiederum scheinen mal mehr mal gar nicht mit denen über die rechtsextremistischen Einstellungen in den einzelnen Ländern zu korrelieren. Man müsste also wohl noch mehr ins Detail gehen und engere regionale Erhebungen heranziehen.

Und nun? Es müsste wahrscheinlich darum gehen, sich gegenüber allen Deutungsangeboten skeptisch zu zeigen. Es ist weder „der Osten“, der in der „Zwickauer Zelle“ ein ebenso grausames wie spätes Echo gefunden hat; noch kann man die Frage einfach so zurückweisen, die sich dafür interessiert. Schon bei einer Konferenz 2006 hat Birgit Rommelspacher einmal erklärt, es müsse zum einen um die Frage gehen „inwiefern aufgrund der Datenlage Unterschiede erkennbar sind und welche Ursachen diese haben könnten und zum anderen darum, wie das Thema Rechtsextremismus im Ost-West-Verhältnis verhandelt wird und welche unterschiedlichen Vorstellungen darüber existieren, da diese Diskurse selbst auch Teil des Problems sind.“ So wie sicher auch dieser kleine Beitrag hier.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Tom Strohschneider

vom "Blauen" zum "Roten" geworden

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