Die Gorleben-Akten: eine kleine Übersicht zur Endlagerdebatte

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Greenpeace hat mit der Veröffentlichung von Behörden-Akten über den niedersächsischen Salzstock für Schlagzeilen gesorgt. Die Sammlung dürfte die politische Debatte über den Gorleben-Untersuchungsausschuss befeuern, der Ende März vom Bundestag eingesetzt wurde. Allerdings geht es nicht allein retrospektiv um „die Gorleben-Historie“, diesen „Sumpf, der trocken gelegt werden muss“, wie die atompolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, Sylvia Kotting-Uhl, meint. Sondern auch um die Frage der zukünftigen Endlagerung von Atommüll. Es sei ein „atompolitischer Wahnsinnskurs“, so Grünen-Chefin Claudia Roth, wenn das CDU-geführte Umweltministerium trotz der nun veröffentlichten Dokumente den Standort Gorleben dennoch weiter erkunden wolle. Die Greenpeace-Akten sind nicht die ersten brisanten Unterlagen zur Endlagerfrage, die im Internet auftauchen. Auch staatliche Stellen haben einen Teil ihrer Expertisen über mögliche Standorte offen gelegt. Und nicht zuletzt finden sich im Internet eine Reihe von „atompolitischen“ Dokumenten. Eine unvollständige Übersicht:

Greenpeace: Frisierte Akten
Die Umweltorganisation Greenpeace ist sich sicher: „Eine geologische Eignung des Zwischenlagers Gorleben wurde nie festgestellt.“ Alles deute „darauf hin, dass politisches Kalkül und nicht wissenschaftliche Untersuchungsergebnisse der ausschlaggebende Faktor war, diesen Standort festzulegen“. Eine umfangreiche Datenbank mit Regierungsakten erhärte den Verdacht, dass die Auswahl des Salzstocks als mögliches atomares Endlager mit frisierten Akten, geschönten Gutachten und „handfestem politischen Druck“ erzwungen wurde. (weiterlesen)

Im Netz: Die Akte Gorleben
Auf einer eigens eingerichteten Internetseite stellt Greenpeace Originaldokumente zur Standortbenennung und Erkundung des geplanten Endlagers für hochradioaktiven Atommüll im niedersächsischen Gorleben bereit. Erste Fundstücke aus den Akten sind bereits online, die Datenbank soll kontinuierlich erweitert werden. Mit Suchfunktion! (weiterlesen)

BI Lüchow-Danneberg: Geheimakte Gorleben
Bereits Mitte März hatte die Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg „brisante Dokumente“ präsentiert. Die „Geheimakte Gorleben“ konterkariere die Behauptung des Bundesumweltministeriums, so die Initiative, nach welcher der Salzstock Gorleben „eignungshöffig“ sei und der Standort „ergebnisoffen“ auf seine Eignung als Atommülldeponie erkundet werde. „Wer behauptet, dass in Gorleben mit dem Auffahren von Einlagerungskammern und Schächten ein Endlager erkundet wird, der belügt die Öffentlichkeit“, sage BI-Sprecher Wolfgang Ehmke. „Die 33 Jahre alten Tricksereien schüren die Wut im Wendland. Mit Klagen und Demonstrationen werden wir gegen die Einbahnstraße Gorleben gegenangehen.” (weiterlesen)

Bundestag: Untersuchungsausschuss
Am 26. März hat der Bundestag auf Antrag von SPD, Linkspartei und Grünen einen Untersuchungsausschuss zu Gorleben eingesetzt. Das 15köpfige Gremium unter Vorsitz der CDU-Abgeordneten Maria Flachsbarth soll die Umstände klären, unter denen die Kohl-Regierung 1983 entschieden hat, nur den Salzstock im niedersächsischen Gorleben und nicht auch geologische Formationen wie Granit oder Ton in anderen Bundesländern auf eine Eignung für die Endlagerung von Atommüll zu prüfen. Ein zusätzlich von der SPD eingebrachter Antrag, für die Dauer der Ausschussarbeit die von Umweltminister Norbert Röttgen geplante Fortsetzung der Erkundungsarbeiten am Salzstock auszusetzen, wurde abgelehnt. Das Protokoll der Bundestagsdebatte findet sich hier (im PDF ab Seite 63).

Rot-Grün und die Konzerne: Atomkonsens?
Im Juni 2000 schloss die damalige Bundesregierung von SPD und Grünen mit den Energiekonzernen eine Vereinbarung, die als Atomkonsens oder Atomausstieg bekannt wurde. Einerseits wurde „die künftige Nutzung der vorhandenen Kernkraftwerke“ auf durchschnittlich 32 Jahre befristet, andererseits sollte „unter Beibehaltung eines hohen Sicherheitsniveaus und unter Einhaltung der atomrechtlichen Anforderungen für die verbleibende Nutzungsdauer der ungestörte Betrieb der Kernkraftwerke wie auch deren Entsorgung gewährleistet werden“. Mit der Novellierung des Atomgesetzes zwei Jahre später wurde diese Vereinbarung juristisch abgesichert. Was aber nicht verhinderte, dass neue politische Mehrheiten die Uhr zurückdrehen können, wie es nun unter Schwarz-Gelb geschieht (siehe den Koalitionsvertrag Seite 30). Die Energieunternehmen hatten 2000 versprochen, „ihren Teil dazu beitragen, dass der Inhalt dieser Vereinbarung dauerhaft umgesetzt wird“. Zehn Jahre später will man davon nichts mehr hören.

Endlagersuche: Verantwortung des Bundes
Mit Paragraf 9 des Atomgesetzes wurde 1976 dem Bund die Verantwortung zur Einrichtung von Anlagen zur Endlagerung radioaktiver Abfälle auferlegt. Die Durchführung dieser Aufgabe obliegt dem Bundesamt für Strahlenschutz, das wiederum dem Bundesumweltministerium unterliegt. Diese arbeitet dabei mit der
Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe zusammen, die dem Bundeswirtschaftsministerium untersteht. Unter Sigmar Gabriel richtete das Umweltministerium eine Entsorgungskommission ein. Mit der Planung und Errichtung von Endlagereinrichtungen ist die Deutsche Gesellschaft zum Bau und Betrieb von Endlagern für Abfallstoffe mbH beauftragt.

BGR: Keine wesentlichen Wissenslücken
Seit 1979 wird der Salzstock Gorleben als Standort für die Endlagerung aller Arten radioaktiver Abfälle übertägig erkundet, seit 1986 geschieht das auch unter der Erde. Die geowissenschaftlichen Untersuchungen führt die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe durch – im Auftrag des Bundesamts für Strahlenschutz und in Kooperation mit der Deutschen Gesellschaft zum Bau und Betrieb von Endlagern in Peine. Die BGR meint, es könne „nach den bisherigen Untersuchungen festgestellt werden, dass aus geowissenschaftlicher Sicht keine Erkenntnisse aus dem Salinar gegen die langzeitsicherheitliche Eignung des Salzstocks Gorleben für die Endlagerung radioaktiver Abfälle vorliegen“. Im Internet ist eine Auswahl von Analysen und Berichten nachlesbar. (weiterlesen)

BUND: 330.000 Kubikmeter Atommüll
Der Bund für Umwelt und Naturschutz weist darauf hin, dass bisher „in keinem Land der Erde“ ein Endlager für hochradioaktive Abfälle in Betrieb sei – auch, weil es ein „sicheres“ Endlager für Strahlenmüll mit Halbwertszeiten von mehreren zehntausend Jahren „ohnehin niemals geben“ könne. Das Entsorgungsfiasko sei durch den Atom-Konsens noch einmal vergrößert worden: „Seit dem Beginn der Atomenergienutzung vor 30 Jahren sind in der Bundesrepublik über 180.000 Kubikmeter radioaktiver Abfälle angefallen. Diese Menge verdoppelt sich in etwa durch die im Atom-Konsens im Jahr 2001 mit der Industrie vereinbarten Laufzeiten, so dass bei den jetzigen Vereinbarungen am Ende rund 330.000 Kubikmeter Atommüll endgelagert werden müssen.“ (weiterlesen)

Morsleben und Asse II: Dramatische Erfahrungen
An zwei Orten in Deutschland wurde in den letzten Jahrzehnten Atommüll in tiefe geologische Formationen verbracht, um sie dort für alle Zeiten „wartungsfrei“ und nicht rückholbar zu lagern. Das Endlager für radioaktive Abfälle in Morsleben in Sachsen-Anhalt und die ASSE II bei Remlingen im Kreis Wolfenbüttel. Die Erfahrungen mit diesen Endlagern sind dramatisch, heißt es in einer „Gemeinsamen Erklärung der Atommüll-Endlager-Standorte“. (weiterlesen)

Schacht Konrad
Ein stillgelegtes Eisenerz-Bergwerk im Stadtgebiet Salzgitter ist als Endlager für radioaktive Abfälle mit vernachlässigbarer Wärmeentwicklung vorgesehen. Angeblich gehören rund 90 Prozent der in Deutschland anfallenden radioaktiven Abfälle in diese Kategorie. Kritik und Widerstand gegen die Nutzung des Bergwerkes als Atommülllager hat es in der Region von Beginn an gegeben. Eine Arbeitsgemeinschaft hat einige Hintergründe zusammengetragen. In die andere Richtung weist die Öffentlichkeitsarbeit, die das Bundesamt für Strahlenschutz für den Schacht Konrad betreibt: Eine eigene Homepage soll „Beitrag zur offenen Kommunikation zum künftigen Endlager“ sein.

AkEnd: Empfehlungen zum Auswahlverfahren
Im Februar 1999 hat der Arbeitskreis Auswahlverfahren Endlagerstandort (AkEnd) seine Arbeit aufgenommen – ein Expertengremium, das erstmals wissenschaftlich fundierte Kriterien für die Suche nach einem Standort für die Endlagerung von atomaren Abfällen finden sollte. Die Arbeit wurde Ende 2002 beendet. Der Abschlussbericht enthält fünf geowissenschaftliche Ausschlusskriterien und mehrere geo- und sozialwissenschaftliche Abwägungskriterien. Außerdem betonte der AkEnd die Notwendigkeit der Bürgerbeteiligung und der untertägigen Erkundung von mindestens zwei Standorten.

Bundesamt für Strahlenschutz
Das Bundesamt für Strahlenschutz hat am 30. März 2010 beim niedersächsischen Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie eine Verlängerung des Rahmenbetriebsplans für das Erkundungsbergwerk Gorleben beantragt. Die Verlängerung soll nach einer Festlegung des Bundesumweltministeriums bis zum 30. September 2020 gelten und stellt eine rechtliche Grundlage für den Betrieb des Bergwerkes dar. Das BfS meint: „Gorleben ist nach wie vor ein Erkundungsbergwerk und kein Endlager. Ob sich der Standort Gorleben als Endlager für radioaktive Abfälle eignet, kann derzeit noch nicht beurteilt werden, dafür sind noch umfangreiche Arbeiten nötig.“ Auf der Website des Bundesamtes finden sich eine Reihe von Erklärungen zur Frage des Eintritts von Lösungen in den Salzstock. Außerdem eine vergleichende Studie zur grundlegenden Fragen der Endlagerung vom November 2005. (weiterlesen)

Die Atomlobby: Dialog mit der Öffentlichkeit?
Das 1959 gegründete Deutsche Atomforum, sein „Informationskreis KernEnergie“ und die Kerntechnische Gesellschaft e.V. wollen „sachlich und zielgruppenorientiert über die friedliche Nutzung der Kernenergie“ informieren – nicht zuletzt über die Frage der Entsorgung in Gorleben und an anderen möglichen Standorten. Ob es jemand glaubt? Jedenfalls findet sich auf der Website eine sehr ausführliche Linkliste zu Organisationen, Unternehmen und anderen atompolitischen Einrichtungen.


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Geschrieben von

Tom Strohschneider

vom "Blauen" zum "Roten" geworden

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