Gabriels Einladung, der Spagat der SPD und ein Lafontaine von 1985

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Der Vorsitzende der SPD ist ein Mann der sportlichen Vergleiche: Die Linke, hat Sigmar Gabriel dem Hamburger Abendblatt erklärt, sei in Wahrheit „zwei Parteien“ und stehe im „Spagat“ zwischen „einer pragmatischen“ Richtung „und einer, die ein gestörtes Verhältnis zur Demokratie und zu Menschenrechten hat“. Vor zwei Wochen hat der Vorturner der Sozialdemokraten, der sich schließlich nicht jeden Tag eine neue Interviewantwort ausdenken kann, der Süddeutschen schon einmal dasselbe erzählt: „Die Linkspartei besteht aus zwei Parteien: Pragmatiker in Ostdeutschland, Sektierer im Westen. Diese Partei steht ständig im Spagat. Und im Spagat kann man sich nicht nach vorn bewegen.“ Sigmar Gabriel weiß, wovon er spricht

In der SPD sind die Fliehkräfte nämlich auch ziemlich groß, der rechte Flügel hat dem Vorsitzenden unlängst erst eine Politik nach dem Motto „Hü und Hott“ vorgeworfen, die Parteilinke bekommt angesichts von Steuerplänen einen roten Kopf und in Sachen Afghanistan-Krieg kursiert die Warnung vor einem „offenen Aufstand gegen die Parteiführung“, weil die Ahnung sich verbreitet, dass die „Abzugsperspektive“ eine Nebelkerze ist. Vielleicht kultiviert die SPD ihre Strömungsauseinandersetzungen nicht so wie derzeit die Linke, womöglich lässt sich ihr Streit nicht so schön ins mediale Raster von Ost-West oder Realo-Fundi pressen. Von „weiterentwickeln“ und „nach vorn bewegen“ kann aber auch bei der SPD nicht die Rede sein. Die gegenseitige Blockade von machtpolitischen Zirkeln reicht eben auch nur für 27 Prozent: die Steinmeierei gegen Gabriels Leute, Nahles gegen den Rest.

Mit einer Einladung an die „Pragmatiker“ in der Linken kann sich Gabriel vor diesem Hintergrund also nur blamieren. „Wer demokratische Politik als demokratischer Sozialist machen will“, lockt der SPD-Vorsitzende, „ist bei der SPD besser aufgehoben als in einer Partei, die versucht den Kommunismus wieder zu beleben.“ Ja, der Kommunismus. „Wir können nur alle diejenigen“, war auch hier die Süddeutsche schon vor ein paar Tagen dran, „die diesen Unsinn Leid sind, einladen zu uns zu kommen.“ Warum? Welches Angebot hat Gabriels SPD, außer, dass ihr gerade keine Kommunismus-Debatte anhängt?

Man könnte an dieser Stelle einfach ein paar Dinge aufzählen, die allein schon ausreichende Gründe wären, sich bei der SPD nicht „besser aufgehoben“ zu fühlen: Hartz IV, Afghanistan, Rente mit 67. Mehr noch aber als die Vergangenheit der Sozialdemokraten, von der diese sich nicht lösen können oder wollen, ist die aktuelle Debatte über eine SPD-Politik der Zukunft Anlass, Gabriels Einladung auszuschlagen. Was die politischen Ziele angeht lässt sich das Auf-der-Stelle-Verharren der Sozialdemokratie nämlich auch nicht hinter einem feschen Fortschrittsbegriff verstecken. Was die Partei da im Jahr 2011 vorlegt, fällt sogar noch zurück hinter Überlegungen eines früheren SPD-Ministerpräsidenten, der in den achtziger Jahren von einem „anderen Fortschritt“ gesprochen hat und Einsichten verbreitete, die in der Linken von heute, deren Mitglied Oskar Lafontaine in Reaktion auf die Agenda-Wende der SPD geworden ist, zwar „im Spagat“, aber wenigstens überhaupt diskutiert werden.

Es geht nicht darum, Oskar Lafontaine als neuen Klassiker zu empfehlen. Aber ein Blick auf alte Papiere vermag sowohl die Fallhöhe der SPD zu illustrieren als auch bei der Einordnung mancher Diskussion in der Linkspartei helfen. Der Spiegel gewährte dem saarländischen Ministerpräsidenten 1985 in zwei Ausgaben (hier und hier) jede Menge Raum für einen Vorabdruck aus Der andere Fortschritt - Verantwortung statt Verweigerung. Mit dem Buch empfahl sich Lafontaine einerseits für höhere Aufgaben in der SPD (was in dem Hamburger Magazin damals offenbar für unterstützenswert gehalten wurde), es reagierte auf den Aufstieg der Grünen und warf die Frage nach der Zusammenarbeit mit der Ökopartei auf. Lafontaine zeigt hier schon einen Begriff von Wachstumskritik auf der Höhe unserer Zeit und kritisierte eine Realpolitik, die „meint, sich Utopien nicht leisten zu können“. 1988 tauchen viele Punkte in Die Gesellschaft der Zukunft wieder auf (erneut gab es einen Vorabdruck im Spiegel) - und provozierten eine Diskussion, über die ein zeitgenössisches Forschungsprojekt von Frigga Haug von 1989 Auskunft gibt, dessen Ergebnisse damals in der Zeitschrift Argument erschienen. Allein was an politisch umkämpften Begriffen seinerzeit auf den Tisch kam, von wem diese mit welchen Argumenten begrüßt oder zurückgewiesen worden, wie Presse, Gewerkschaften und Bevölkerung darauf reagierten, wo die Verkürzungen und Fallstricke einer „Perestroika auf sozialdemokratisch“ gesehen wurden - all das ist gerade heute, wo die Linke (nicht nur die so genannte Partei) wieder um Grundeinkommen und Lohnarbeitszentriertheit, über Wachstum und demokratische Planung diskutiert, immer noch lesenswert.

(auch erschienen auf lafontaines-linke.de)

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Geschrieben von

Tom Strohschneider

vom "Blauen" zum "Roten" geworden

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