Shitstorm und Windschatten: JMStV, NRW-Grüne und das rot-rote Berlin

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Die Grünen im Landtag von Nordrhein-Westfalen suchen zurzeit einen Pressesprecher. Genau einen solchen hätte die Fraktion gestern gut gebrauchen können, auch wenn Studien nahe legen, dass das vielleicht gar nichts genützt hätte. Jedenfalls: Offenbar haben sich SPD und Grüne in NRW darauf geeinigt, den umstrittenen Jugendmedien-Staatsvertrag zu ratifizieren. Wenngleich nicht so sehr in den „alten Medien“, so wird das Thema doch in der netzpolitischen Szene mit großer Aufmerksamkeit verfolgt. Dafür gibt es viele gute Gründe, denn der Jugendmedien-Staatsvertrag (JMStV) verbessert kurz gesagt nichts und verschlechtert vor allem für kleine unabhängige Netzanbieter, Blogger etc. einiges gravierend. Der Umgang mit dem JMStV ist mehr noch zu so etwas wie dem netzpolitischen Lackmustest geworden, an dem Parteien gemessen werden.

Pottblog: Grüne und SPD für JMStV
Freitag.de: Weder frei, noch sicher
Alvar Freude: Stellungnahme zum JMStV

Telemedicus: Was bringt der neue JMStV?
JMStV: eine technische Betrachtung
Brief des AK Zensus an die Ministerpräsidenten

Die NRW-Grünen sind, siehe oben, durchgefallen. Und zwar heftig. Zwar beharrt die Partei auf ihrer Position – der Tweet, mit dem auf den Unterschied zwischen Landesverband und Fraktionsentscheidung hingewiesen werden sollte, erwies sich jedoch als der berühmte Falter-Flügelschlag, der einen Orkan auslöst – in diesem Fall einen beachtlichen Shitstorm. „Wir sind weiterhin gegen den #JMStV, die Fraktion hat sich aufgrund parlamentarischer Zwänge anders entschlossen.“ Man kann das auch als Kritik an den eigenen Abgeordneten verstehen. Internetbewohner und Netzaktivisten haben es anders gelesen und fanden es vor allem überhaupt nicht witzig. Auch wenn einige Reaktionen genau das waren: lustig. Noch am Montagabend erblickte eine persiflierende Webseite das Licht der Onlinewelt, gefakte Wahlplakate der Grünen machten die Runde. Die Partei versuchte vergeblich, die Lage zu erklären. Die mit dem Hinweis „Wir verstehen den Ärger“ verbundene Ankündigung eines „offiziellen Statements“ wurde mit Hohn quittiert.

Grüne: Empfehlung, den JMStV abzulehnen
gruenennrw: Wir sind weiterhin dagegen
Rückgratlose Opportunisten: Twittern gegen Grüne
Thomas Knüver: Unwählbare Parteien - eine Wutrede
Geleakt: Neues Wahlplakat der Grünen
Parlamentarische Zwänge: die Webseite

Man kann einiges aus der Dynamik lernen, die sich da am Montag von ersten Tweets bis zu Wutreden emporschwang. Man erlebte eine schnell mobilisierbare aber eben doch relativ begrenzte Öffentlichkeit. Man fragt sich, ob die Empörung genauso groß war, als andere Bundesländer den Staatsvertrag ratifizierten (in NRW steht das noch bevor), warum man diese dann womöglich nicht mitbekommen hat, wieso Kritik, Argumente und auch „Bewegung“ so wenig Einfluss auf die 1.0-Politik entfalten.

Was in NRW offenbar nicht zu einer Ablehnung des JMStV führte, offene Briefe und die Aktivierung zumindest der netzpolitisch aufgeschlossenen Parteienvertreter, geht jetzt übrigens in Berlin weiter - gestern stand die Entwicklung dort etwas im Windschatten des NRW-Sturms. Aber auch in der Hauptstadt ist es „5 vor 12“, die Linke ist hier wie die Grünen in NRW „eigentlich“ gegen den Jugendmedien-Staatsvertrag, hat sich aber aus „taktischen Erwägungen“ in einer Vorabstimmung für die Ratifizierung ausgesprochen. Die SPD glaubt, ohnehin nichts ändern zu können und will den Staatsvertrag nicht "aufmachen". Am Montag haben Netzaktivisten, Blogger und Medienarbeiter einen Offenen Brief an die Berliner Abgeordneten von SPD und Linkspartei gerichtet, am heutigen Dienstag soll das Thema noch einmal im Senat und der Linksfraktion angesprochen werden.

Annalist: 5 vor 12 für Internetsperren 2.0
Nein sagen wollen? Die Berliner Linke und der JMStV
Die beste Entscheidung: Offener Brief an SPD und Linke

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Geschrieben von

Tom Strohschneider

vom "Blauen" zum "Roten" geworden

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