Thierse, blockier se! Eine kurze Nachbetrachtung zum 1. Mai in Berlin

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Bewährungsprobe hervorragend bestanden, sagt Berlins Innensenator am Tag danach. Soll klingen wie: Wir haben Schlimmeres verhindert. Es ist die Stunde der Statistik: Festnahmen, Haftbefehle, Verletzungen. Unter dem Strich kommen dann so schöne Sätze wie jener der Frankfurter Allgemeinen heraus: "Die Ausschreitungen zum 1. Mai sind in Berlin friedlicher verlaufen als im Vorjahr."

Friedliche Ausschreitungen! Doch auch dieser 1. Mai hat seine besonderen Geschichten. Da wären zum Beispiel das Gerücht von dem schwer verletzten Polizisten und das Video von dem brutalen Beamten, der einer am Boden liegenden Person aus vollem Lauf an den Kopf tritt. Sie ragen ein paar Zentimeter aus dem seit Jahren bekannten Brei aus „ritualisierter Randale“, „steinewerfenden Linksautonomen“ und „nächtlichen Gewaltausbrüchen“ heraus.

Aus vollem Lauf






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Die Süddeutsche berichtet: „Auf Youtube ist ein Handyvideo zu sehen: Es zeigt, wie Dutzende linke Demonstranten vor Polizisten wegrennen. Ein in schwarz gekleideter Mann fällt auf den Boden (nicht nur die Tageszeitung wird später von einer jungen Frau schreiben), mehrere Beamten laufen an ihm vorbei, einer fällt fast über den jungen Mann. Dann ist auf dem Handyfilm zu sehen, wie ein Polizeibeamter mit dem Fuß ausholt und den Kopf des Demonstranten trifft. In Internet-Foren und via Twitter wird der Vorfall erhitzt diskutiert. Kurz darauf eskaliert die Situation. In der Wiener Straße geht der Polizist schwer verletzt zu Boden, die Stimmung ist aufgeheizt.“

Welcher Polizist? Ist da etwa jener gemeint, von dem am Abend gerüchtweise erzählt wird, es habe eine Messerattacke auf ihn gegeben? Und wenn es so wäre, was soll uns der Zusammenhang sagen, der von der Süddeutschen da unterstellt wird: erst erhitzt diskutiert, dann Situation eskaliert? Oder alles nur ein Missverständnis und es sollte in Wahrheit "der Demonstrant" heißen?

Ein Grücht

Der Tagesspiegel jedenfalls berichtet: „Anfänglich hieß es von der Polizei, er habe möglicherweise einen Messerstich erhalten. Dies wurde später dementiert. Er musste aber dennoch mit dem Krankenwagen abtransportiert werden. Nach Tagesspiegel-Informationen hatte der Beamte im Bereich der Wiener Straße die Verletzung am Rücken erlitten. Ein Messerstich wäre ein beispielloser Vorfall bei den Mai-Krawallen gewesen. Die Kripo hat die Ermittlungen aufgenommen. Weiteres zu dem Vorfall war zunächst nicht bekannt.“ Dem Berliner Krawallblatt B.Z. war das egal, am Sonntag sollte es jeder in der Hauptstadt wissen: „Chaot verletzt Polizist mit Waffe.“ Man darf annehmen, dass diese Meldung des Polizeipräsidenten es nicht auf die Titelseite schafft: „Die Verletzung des Polizeibeamten, der am Abend mit einem Rettungswagen ins Krankenhaus gebracht wurde, hat sich inzwischen als weniger schwer als zunächst befürchtet herausgestellt.“

Nicht so toll – oder doch?

Eine kleine Wette geht heraus in Sachen Wolfgang Thierse. Der Bundestagsvizepräsident hatte sich an der erfolgreichen Blockade des Naziaufmarsch im Prenzlauer Berg beteiligt. Eine empörende Chance, die der eine oder andere Kommentator nicht auslassen wird. Rechtsstaat und so.

Dabei hatte es ganz sympathisch begonnen: „Ich habe Herrn Thierse auf der Bornholmer Straße getroffen und habe, weil ich gesehen habe, dass es nötig ist, ihm Rechtsbelehrung erteilt, freundschaftlich“, erzählt Parteifreund und Innensenator Ehrhart Körting. Es sei schließlich „nicht so toll, wenn Mitglieder von Verfassungsorganen sich an solchen rechtswidrigen Aktionen beteiligen“. Thierse hörte wohl nicht richtig zu oder war, das kann man ihm ja auch zugute halten, der Meinung, dass es in diesem Fall richtiger sein würde, nicht auf Berlins Oberpolizisten zu hören. Der Sozialdemokrat blieb also sitzen, angefeuert vom Ruf: „Thierse, blockier se!“ Neben ihm hatten auch ein paar andere Berliner Politprominente Platz genommen. Als die Polizei die Aktion beendete, war der stellvertretende Parlamentspräsident standesgemäß als erster dran. Später sagte er auf die Frage der Tageszeitung, ob eine Sitzblockade das richtige Mittel gegen die Nazis sei: „Ich weiß es nicht, aber es war in jedem Fall ein Zeichen gegen die Rechtsextremen. Es richtete sich ja nicht gegen die Polizei, sondern gegen die Neonazis. Es ist unsere Pflicht, Gesicht zu zeigen, und es ist traurig, dass viele andere nicht die Möglichkeit dazu hatten, weil ihre Gegenkundgebung verboten wurde.“ Das sieht Parteifreund Körting anders. „Ich werte das als rechtswidrige Handlung“ - und ein bisschen schwingt da auch Kränkung mit, dass Thierse nicht auf ihn gehört hat. „Er ist ja jünger als ich“, sagt Körting.

Hamburgs CDU-Innensenator Christoph Ahlhaus befand die Aktion inzwischen „völlig inakzeptabel“. Der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Konrad Freiberg, nannte Thierses Blockadebeteiligung sogar „würdelos“. Es sei „unerträglich, wenn Vertreter von Verfassungsorganen aus billigem Populismus gegen Recht und Gesetz verstoßen. Bei allem Verständnis für die Wut auf Neonazis lässt sich die Demokratie sicher nicht durch Rechtsbruch verteidigen.“

Und zum Schluss: die Papierschwalbe

Womit wir abschließend bei Reinhard Mohr wären, der irgendwie auch mal auf der Linken stand, seine diesbezügliche biografische Schuld heute aber glaubt per Zeilengeld bei Springer und Co. abarbeiten zu müssen. „Das Gewaltmonopol des demokratischen Rechtsstaats ist hier nur eine Papierschwalbe“, weiß der Mann in der Welt über Berlin zu berichten. Eine Papierschwalbe mit Helm, Schlagstock und einer Neigung zum, wie sagt man heute so schön: Gewaltausbruch. Fragen sie den jungen Menschen aus der Wiener Straße.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Tom Strohschneider

vom "Blauen" zum "Roten" geworden

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