Vor die Füße: Wie Künast versucht, schwarz-grünes Blei abzuwerfen

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Man kann ziemlich genau sagen, wann am Donnerstagabend die Temperatur im Berliner Wahlkampfkessel aufgedreht wurde: Es war gegen halb neun, als die ARD die Zahlen ihrer neuesten Umfrage für die Hauptstadt vorab über Nachrichtenagenturen verbreitete. Und was da noch mit Sperrfrist versehen war, ließ aufhorchen – die Piraten segeln mit 6,5 Prozent demoskopischem Rückenwind in die Vorwahlwoche, ein Einzug ins Abgeordnetenhaus liegt im Bereich des Möglichen. Etwa zur selben Zeit diskutierten Renate Künast und Klaus Wowereit im RBB-Duell gerade über den Ausbau der Stadtautobahn A100. Man stritt darüber, ob die grüne Spitzenkandidatin sich an anderer Stelle auch so deutlich gegen das umstrittene Verkehrsprojekt ausgesprochen habe. „Da haken Sie nicht nach“, beschwerte sich der SPD-Bürgermeister beim Moderator – und plötzlich sagte Künast einen Satz, der nun als Wende im Wahlkampf der Grünen interpretiert wird: „Ich sage ihnen jetzt einmal ganz klar: Ich werde meiner Partei nicht vorschlagen, eine Koalition mit der CDU einzugehen.“








Das Umfragehoch der Piraten und Künasts Absage an die Union hängen eng zusammen. Die Realo-Grüne hatte im Wahlkampf bisher eine einigermaßen klare Aussage zu den Bündnisvorlieben der Partei vermieden, die kommunikative Strategie setzt auf das Schlagwort „Eigenständigkeit“, verfing aber schon länger nicht. An jedem Wahlkampfstand, hieß es vor ein paar Tagen in der Süddeutschen, würden die Grünen jetzt gefragt, ob sie womöglich mit der CDU koalieren. „Immer sagen sie dann, dass sie sich Grün-Schwarz offen halten, schon um bei Koalitionsverhandlungen mit der SPD eine stärkere Position zu haben.“ So richtig glaubten das weder die Anhänger noch die eigene Parteifreunde.

Schon seit längerem ist der linke Flügel der Grünen nervös. Der Bürgermeister des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg, gewissermaßen das Wohnzimmer der Berliner Grünen, warnte unlängst: „Wir haben von Anfang an gesagt, mit der Option Grün-Schwarz zu spielen, ist falsch.“ Nicht das Drohen mit Grün-Schwarz würde Wowereit in Koalitionsverhandlungen beeindrucken, so Franz Schulz, sondern ein starkes grünes Ergebnis. Die linke Abgeordnete Anja Kofbinger wurde in der Tageszeitung mit den Worten zitiert, sie „persönlich stehe für dieses Modell nicht zur Verfügung“ – und wie nervös die Partei ist, konnte man daran sehen, dass Kofbinger ihre Aussage mit einer Gegendarstellung aus der Welt schaffen wollte. Die Behauptung, es gäbe eine grün-schwarze oder schwarz-grüne Strategie, sagt der Berliner Fraktionschef Volker Ratzmann, sei „ein von der SPD gestreutes Gerücht“.

Die Sache mit der Botschaftsdepesche

So richtig wurden die Grünen den grün-schwarzen Umhang aber nicht los. Wie ein Bleigewicht zog schon das bloße Reden über die vage Möglichkeit die Partei von ihrem Umfragehoch herunter – von über 30 auf unter 20 Prozent. Und dann auch noch das: Vor ein paar Tagen machte eine jener US-Botschaftsdepeschen die Runde, die einst für mediale Furore sorgten und inzwischen zum Konfliktstoff zwischen Wikileaks und Openleaks geworden sind. In einem der Cable aus dem Jahr 2009 war von einem Gespräch zwischen dem US-Botschafter in Berlin und Künast die Rede, die Grüne habe erklärt, sie wolle nicht, dass sich die Partei als Teil eines linken Blocks verstehe. Und: In Zukunft sollten die Grünen auf eine Koalition mit der CDU auch im Bund hinarbeiten. Zu jener Zeit hatte sich der saarländische Landesverband gerade für ein Jamaika-Bündnis ausgesprochen, der Bruch der schwarz-grünen Koalition in Hamburg lag noch in der Zukunft, ebenso der Grünen-Parteitag in Rostock Ende Oktober 2009 mit seinem Beschluss zur „Strategie der Eigenständigkeit“.

Dass Künast zu denen in ihrer Partei gehört, die schwarz-grün nicht ablehnen, wäre eigentlich keine Überraschung gewesen. Dass nun das zwei Jahre alte Cable ausgerechnet im Berliner Wahlkampf zum Gegenstand von Berichterstattung wurde, machte das Koalitionsdilemma der Grünen aber noch ein bisschen größer. Im Internet wurde die Depesche wie eine Enthüllung herumgereicht, ja bisweilen sogar zum alles entscheidenden Beleg aufgeblasen. Zugute kommt das wohl den Piraten, weil sich nun Wähler entscheiden, die sonst vielleicht noch am ehesten für die Grünen gestimmt hätten.

Künast, die es in Berlin ohnehin schwer hat, Sympathie zu gewinnen, verlor immer mehr. Zu einer Spitzenkandidatur hatte sie sich zu einer Zeit entschieden, als ein Wahlsieg der Grünen noch im Bereich des Möglichen schien. Dass die Fraktionsvorsitzende im Bundestag nur in der Hauptstadt bleiben würde, wenn es zum Bürgermeisterinnen-Amt reicht, war auch von Anfang an klar. Wowereit hatte mehrfach signalisiert, dass er keine Koalition nach Stuttgarter Vorbild anstrebe – und irgendwann sprachen dann auch die Umfragen eine deutliche Sprache. Die Zahlen, die am Donnerstagabend in der ARD veröffentlicht wurden, sehen die SPD bei 29,5 Prozent und die Grünen zwei Punkte hinter der CDU bei 20 Prozent. Ziehen die Piraten ein und fliegt die FDP aus dem Abgeordnetenhaus raus, würde es für eine rot-rote Koalition nicht reichen, weil die Linke bei elf Prozent verharrt.

Kater Klaus will nicht

Man wird Künasts Satz im TV-Duell mit Wowereit jetzt sicher hin und her wenden. Einerseits hat die Grüne sich auch früher schon auf eine Weise geäußert, die man als Vorliebe für ein Bündnis mit der SPD interpretieren konnte. Andererseits ist, wenn Künast ihrer Partei ein Bündnis mit der CDU nicht vorschlagen will, ja immer noch denkbar, dass dies ein anderer Grüner tut. Den Umfragen zufolge hat die grüne Spitzenkandidatin gar keine realistische Chance mehr, Wowereit aus dem Amt zu drängen – die SPD liegt zu weit vorn und selbst wenn die Grünen die CDU noch überholen können, kommt wohl keine grün-schwarze Mehrheit mehr zustande. Künast ist gewissermaßen schon auf dem Sprung zurück in die Bundespolitik, wo Co-Fraktionschef Jürgen Trittin in den vergangenen Monaten ihre Abwesenheit genutzt hat, sich mit Blick auf die Bundestagswahlen 2013 als die eigentliche Nummer eins der Partei in Szene zu setzen.

Der jüngsten Hauptstadt-Umfrage zufolge wäre knapp die Hälfte der Berliner mit einem Bündnis zwischen SPD und Grünen zufrieden, ein Drittel wünscht die Fortsetzung von Rot-Rot. Nur noch knapp dahinter in der Wählergunst liegt allerdings eine große Koalition. Ganz am Ende der Beliebtheitsskala vertrocknet die Idee eines grün-schwarzen Bündnisses, die der Kandidatin Künast nun so zu schaffen macht. Ihre Koalitionsbotschaft im TV-Duell, heißt es auf Spiegel-Online unter Berufung auf das Umfeld der Spitzenkandidatin, habe Künast bewusst formuliert – „weil man sich Sorgen um die Mobilisierung der eigenen Leute machte“. Nicht nur beim Thema Stadtautobahn, sondern „auch bei der Inneren Sicherheit, beim Thema Bildung“ erlebe Künast die CDU „immer mehr von Tag zu Tag als rückwärts gewandte Partei“, erklärte sie im RBB-Streitgespräch. Sie habe „wiederholt gesagt, wir haben die grüßten Schnittmengen mit der SPD“. Und ein Bündnis mit den Sozialdemokraten wäre ihr „das Liebste“.

Klaus Wowereit, den ein Magazin unlängst als dicken, gemütlichen Kater im Roten Rathaus beschrieb, blieb ungerührt – da half alles nichts. „Wenn ich ihnen sage, ich schlage meiner Partei eine Koalition mit der CDU nicht vor, liegt der Ball jetzt bei ihnen, vor ihren Füßen“, drängte Künast. „Und sie dürfen sich jetzt mal dazu äußern, ob sie dann Rot-Grün machen oder Rot-Schwarz“. Wowereit durfte, wollte aber nicht.

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Geschrieben von

Tom Strohschneider

vom "Blauen" zum "Roten" geworden

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